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Aus: Ausgabe vom 27.03.2024, Seite 5 / Inland
Landwirtschaftspolitik

Bauernmacht wirkt

EU-Agrarrat senkt Ökostandards. DBV präsentiert Forderungen. Umwelthilfe befürchtet Artensterben
Von Oliver Rast
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Antagonismus: Stehen sich feindlich gegenüber, Treckerfahrer und Uniformträger (Brüssel, 26.2.2024)

Es ist wieder mal soweit: Der EU-Agrarministerrat trat am Dienstag in Brüssel zusammen. Das motivierte wiederum Bauern, Straßen im Europaviertel samt wichtiger Einfahrtsstraßen in die Stadt mit Hunderten Traktoren zu blockieren. Länderübergreifend protestieren seit Beginn des Jahres Landwirteorganisationen gegen dreierlei: hohe Produktionskosten, rigide Umweltauflagen und billige Agrarimporte.

Bereits Ende Februar hatten wütende Bauern vor dem Gebäude der EU-Kommission Barrikaden errichtet, Heuballen und Autoreifen in Brand gesetzt, ferner Einsatzkräfte und Fassaden mit Gülle bespritzt. Vergleichbare, aber weniger »gewalttätige« Szenen spielten sich am Dienstag mittag in Belgiens Hauptstadt ab.

Um Zündstoff zu minimieren, hatten EU-Mitgliedstaaten am Montag morgen schon »weitreichende Zugeständnisse an die Bauern vorläufig durchgewunken«, berichtete AFP am Dienstag. Und die nun vom Agrarministerrat mehrheitlich beschlossen wurden. Die Kommissare der EU hatten vorgeschlagen, Umweltauflagen für den Anbau von Zwischenfrüchten und den Erhalt von Wiesenflächen zu lockern. Kleine Höfe mit weniger als zehn Hektar werden zudem von Kontrollen und Strafen verschont. Der Vorsitzende des Agrarausschusses des EU-Parlaments, Norbert Lins (CDU), begrüßte die geplanten Änderungen laut dpa am Dienstag. Er rechnet damit, dass »die Anpassungen« auch von den Parlamentariern schnell angenommen werden – im Eilverfahren. Das heißt: Wenn sich im April ebenfalls im EU-Parlament eine Mehrheit findet, könnten die Änderungen schon Ende des Frühlings in Kraft treten. Bemerkenswert: Als die aktuellen Regeln für die EU-Agrarpolitik ursprünglich ausgehandelt wurden, ging dem ein jahrelanges Hickhack innerhalb der EU-Institutionen voraus. Anders ausgedrückt: Bauernmacht wirkt.

Das weiß auch der europäische Bauernverband Copa-Cogeca, der gleichfalls die Kommissionsvorschläge unterstützt, indes Nachbesserungen fordert. Wie der Deutsche Bauernverband (DBV), Mitglied im Copa-Cogeca. DBV-Präsident Joachim Rukwied präsentierte am Dienstag das Positionspapier »Forderungen zu Entlastungen der Landwirtschaft und zum Bürokratieabbau«. Eine Art Wunschzettel, denn besonders nach dem fixen Auslaufen der Agrardieselbeihilfe sei »eine gleichwertige Kompensation der Mehrbelastung« nötig. Etwa mittels steuerlicher Entlastungen und Maßnahmen zur Stärkung des einzelbetrieblichen Risikomanagements, vor allem eine sogenannte Tarifglättung. Mit jener soll die Besteuerung der land- und forstwirtschaftlichen Einkünfte auf Grundlage des Durchschnittsgewinns aus einem Dreijahreszeitraum erfolgen. So gleichen sich gute und schlechte Ertragsjahre der Landwirte aus. Zudem verlangt der DBV eine Steuerbefreiung für den Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe – und ein Moratorium neuer Ökoauflagen, die die hiesige »Wettbewerbsfähigkeit« weiter einschränken würden. »Statt nationaler Sonderwege und rechtlicher Alleingänge ist eine Angleichung an europäische Vorgaben dringend erforderlich«, um EU-weit wieder konkurrenzfähig zu sein, meint der DBV.

Und wie reagierte Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) auf die Ergebnisse im EU-Agrarrat? Verhalten. Bürokratieabbau solle nicht bedeuten, dass der Umweltschutz leide, so der Bundeslandwirtschaftsminister am Dienstag. »Was wir heute verloren geben, muss um so mühsamer wiederaufgebaut werden.« Schärfer reagierte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner: »Im Blitzverfahren sollen innerhalb weniger Wochen über Jahre erarbeitete Fortschritte für eine umweltfreundliche Landwirtschaft einfach über Bord geworfen werden.« Die EU stelle damit die Weichen Richtung Umweltzerstörung und Artensterben. Kontrollen und Meldepflichten sollen auf Kosten von Verbraucher- und Naturschutz gestrichen werden, so Müller-Kraenner weiter. »Das bringt den protestierenden Bäuerinnen und Bauern nichts« – und gehe zulasten aller.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. März 2024 um 14:36 Uhr)
    Gülle nach Brüssel!? Als ich die Bilder sah, fragte ich mich sofort, ob es wirklich angebracht ist, die bereits überquellende Bürokratie in Brüssel mit weiterem Dünger zu versorgen, um das Leben der Bauern weiter zu erschweren. Bürokratie gedeiht ohnehin schon prächtig von selbst, sie bedarf weder Düngung noch Bewässerung!

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