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Aus: Ausgabe vom 26.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Extremwetter in der Mongolei

Massenhaftes Viehsterben durch Dsud

Extremwetterereignisse sorgen für große Verluste in der mongolischen Viehwirtschaft
Von Eike Seidel
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Gerade kleine Halter mit geringerem Viehbestand können durch Dsud vollständig ruiniert werden

Schon im zweiten Winter hintereinander erleidet die Viehwirtschaft in der Mongolei große Verluste. Mitte März wurde ein Verlust von annähernd fünf Millionen verendeter Weidetiere gemeldet. Das sind etwa sieben Prozent der insgesamt etwa 70 Millionen Nutztiere.

Mit dem Begriff Dsud wird das verschiedenartige Verenden der Tiere aufgrund schlechter Weidebedingungen bezeichnet. So steht etwa der »weiße Dsud« für den Umstand, dass zu tiefer Schnee die Tiere daran hindert, an das spärliche Gras zu gelangen; im Frühjahr ist dieser oft kombiniert mit dem »eisernen Dsud«, bei dem schwankende Temperaturen den Schnee tauen und wieder frieren lassen, und die Tiere durch diese Eisdecke nicht an das Futter kommen. Der »schwarze Dsud« bezeichnet eine Situation, in der überhaupt kein Schnee liegt und so die Tiere in der Kälte verdursten.

Die Ursachen für Dsud liegen in Abweichungen vom »normalen« Wetterverlauf mit warmen, feuchten Sommern und kalten, trockenen Wintern. In letzter Zeit kam es im Winter 2010 zu einem Verlust von 25 Prozent der Weidetiere, auch die Jahre 1999 und 2000 ließen die Steppe »weiß von Knochen« werden. Der historisch gesicherte relativ größte Tierverlust durch Dsud ereignete sich im Winter 1944 /45 mit über vier Millionen verendeter Tiere, damals etwa 35 Prozent des Bestands.

Die Klimaveränderung betrifft die Mongolei auch insofern, als die Niederschläge sich in das Winterhalbjahr verschieben und sich damit die Gefahr des Dsud vergrößert. Die Zerstörung der mobilen Weidewirtschaft ist aber nicht auf diese Veränderungen zurückzuführen, sondern auf die Unfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsweise, gesellschaftliche Herausforderungen zum Wohle aller anzugehen.

Totalverluste treten in Dsud-Wintern immer wieder auf, insbesondere bei Haltern mit geringem Viehbestand. Als Strategie gegen dieses Risiko wurde zu Zeiten der Mongolischen Volksrepublik (1921–1991) die kollektive Verantwortung für die Tierwirtschaft eingeführt. Es wurden Winterställe gebaut und die Nachzucht der Tiere organisiert. Es wurde die Tiermedizin flächendeckend eingeführt; es wurden zentrale Futtervorräte angelegt, für die bestimmte Gegenden gegen die Nutzung als Weiden gesperrt wurden. Insgesamt bestanden auf der gesamten Fläche der Mongolei ca. 240 »Negdel« genannte Produktionsgenossenschaften, die bis 1991 ca. 23 Millionen Weidetiere bewirtschafteten. Zur Versorgung der Städte wurden auch große Milchtierställe nach DDR-Vorbild errichtet, um etwa die Milchversorgung über das gesamte Jahr hinweg zu gewährleisten.

Der Zusammenbruch dieser gesellschaftlichen Risikovorsorge ab 1991 führte zu einer Zersplitterung der Viehhaltung in kleine Familienbetriebe, die in den beiden Dsud-Katastrophen 1999/2001 und 2010 große Teile des Viehbestands verloren haben. Diese verarmten Familien bilden heute die Elendsviertel insbesondere um die Hauptstadt Ulaanbaatar. Wenn heute von noch etwa 180.000 Familien als Viehhalter gesprochen wird, so trügt diese Zahl: Oft sind es Menschen mit nur wenigen Dutzend Schafen und Ziegen, deren Ertrag unterhalb des Eigenbedarfs liegt.

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine zunehmende Konzentration des Viehbestands in großen Kombinaten, die mit angestellten Knechten wirtschaften oder »scheinselbständige« Viehhalter durch langfristige Verträge an sich gebunden haben. Einen »kleinbäuerlichen« Widerstand gegen diese Entwicklung gibt es seit einigen Jahren – mit bisher mäßigem Erfolg in neuen Genossenschaften. Diese können aber nur überleben, wenn es ihnen gelingt, ihre ländlichen Erzeugnisse erfolgreich im urbanen Raum zu vermarkten. Damit stecken sie aber in derselben Falle wie alle kleinbäuerlichen Strukturen im Kapitalismus weltweit, die durch die »Terms of Trade«, also die Verschlechterung der Austauschverhältnisse Stadt-Land zuungunsten des Landes um ihre Existenz kämpfen.

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