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Aus: Ausgabe vom 26.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Bilaterale Wirtschaftspolitik

Chinas Hightech-Offensive

Volksrepublik bleibt für US-Konzernbosse »attraktivster Markt der Welt«. Beijing kündigt »Produktivkräfte neuer Qualität« an
Von Jörg Kronauer
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Mehr Unabhängigkeit: Techniker der Volksrepublik setzen auf eigene Produktionslinien (Zhejiang, 27.4.2023)

China und die USA: Wer die beiden Länder in einem Atemzug erwähnt, muss von heftigen Spannungen, von harten Sanktionen, vom viel diskutierten Decoupling sprechen – das sollte man jedenfalls meinen, wenn man die Entwicklungen in der Weltpolitik aufmerksam verfolgt. Das China Development Forum, das am Sonntag und am Montag in Beijing stattfand, zeigte neben allerlei anderem eines: Die Lage ist trotz – oder wegen – des sich stark zuspitzenden Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik komplex. Unter den knapp 90 Konzernbossen, die zu der Veranstaltung mit chinesischen Regierungsmitgliedern in die chinesische Hauptstadt gereist waren, waren führende Manager US-amerikanischer Konzerne – mehr als 30 – klar die stärkste Gruppe. Es waren Manager, deren Unternehmen in China viel Geld verdienen und die sich jetzt die Frage stellen, die Stephen Orlins, Präsident des National Committee on US-China Relations, im Gespräch mit CGTN klar benannte: Soll man in China noch mehr investieren oder eher nicht?

Apple versus Huawei

Die Antwort auf die Frage ist für Leute wie Apple-Boss Tim Cook oder die Chefin des US-Chipkonzerns AMD, Lisa Su, nicht leicht – und das ist der Grund, weshalb sie und eine größere Anzahl weiterer US-Spitzenmanager zum China Development Forum gekommen waren. Klar ist eines: Die heftigen Spannungen zwischen den USA und China werden weiter steigen. Klar ist aber auch: Mit ihren 1,4 Milliarden Menschen, deren Wohlstand weiterhin wächst, ist die Volksrepublik perspektivisch der wohl attraktivste Markt der Welt. Solange es möglich ist, dort gutes Geld zu verdienen, werden Konzernchefs alles daran setzen, dies zu tun. Die Frage stellt sich aber inzwischen, inwieweit das in China künftig machbar sein wird. Denn Beijing räumt zur Zeit dem Plan absolute Priorität ein, die Hightechprodukte, die Washington ihm mit Sanktionen gezielt vorenthält, in China selbst zu entwickeln und zu fertigen, um technologisch umfassend in die Weltspitze vorzustoßen. Präsident Xi Jinping spricht seit einiger Zeit von »Produktivkräften neuer Qualität«.

Wenn die Volksrepublik aber, von US-Sanktionen faktisch dazu genötigt, alles eigenständig herstellen will – welche Rolle, welche Spielräume bleiben dann noch Unternehmen etwa aus den USA? Soll zum Beispiel die chinesische Chipbranche in die Lage versetzt werden, modernste Halbleiter selbst zu produzieren, dann muss sie ihre Forschungsetats gezielt füllen können, also viel Geld verdienen; chinesische Aufträge müssen mehr denn je an sie gehen, nicht an Firmen aus den USA. Als Lisa Su am Sonntag beim China Development Forum eintraf, da konnte sie in der Financial Times lesen, die Volksrepublik habe soeben Richtlinien eingeführt, laut denen die Mikroprozessoren ihres Unternehmens in chinesischen Regierungscomputern nichts mehr zu suchen hätten. Hat AMD in China noch eine Zukunft? Su wird in Beijing klärende Gespräche mit Regierungsvertretern gesucht haben. Oder Apple: In den ersten sechs Wochen 2024 fiel der Konzern auf Chinas Smartphonemarkt von Platz zwei mit 19 Prozent Marktanteil auf Platz vier mit 15,7 Prozent. Wird Apple von Hightechfirmen mit Heimvorteil wie Huawei einfach abgehängt?

Ministerpräsident Li Qiang bekräftigte auf dem China Development Forum explizit, Beijing habe weiterhin Interesse an ausländischen Investoren: »Ein offeneres China« bringe der Welt mehr Chancen, erklärte er. Li habe durchblicken lassen, berichtete das Handelsblatt, es gebe Bedarf an Investitionen vor allem in grüne Technologien und in die Modernisierung der Industrie. Er führte den westlichen Wirtschaftsbossen aber auch vor Augen, was sie ihrerseits an China haben. Die Volksrepublik sei 2023 mit einem Plus von 5,2 Prozent eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften weltweit gewesen, erklärte er; damit habe sie rund 30 Prozent zum globalen Wachstum beigetragen. Allein während des chinesischen Neujahrsfests hätten die 1,4 Milliarden Chinesen Onlinezahlungen im Wert von mehr als zehn Billionen Renminbi Yuan getätigt, allein für touristische Aktivitäten seien in dieser kurzen Zeit mehr als 630 Milliarden Renminbi Yuan ausgegeben worden. Das Geschäftspotenzial in China, sollte das heißen, ist unverändert immens.

Konjunkturprogramm

Implizit ging Li auch auf Forderungen aus dem Westen ein, Beijing solle den gegenwärtig schwächelnden privaten Konsum mit einem voluminösen Konjunkturprogramm stärken. Derlei Forderungen sind eigennützig: Die Hoffnung lautet, ein Ausgabenfeuerwerk in der Volksrepublik könne die kriselnde westliche Industrie ebenso aus dem Sumpf ziehen, wie es Chinas großes Konjunkturpaket im Anschluss an die globale Finanzkrise im Jahr 2008 tat. Auf dem China Development Forum äußerte sich IWF-Chefin Kristalina Georgiewa ganz in diesem Sinn; sie verlangte, Beijing solle die Wirtschaft noch stärker liberalisieren und mehr Geld ausgeben, um den Konsum anzukurbeln. Li setzte dem entgegen, China werde sich nicht von seinem Kurs abbringen lassen und seinem technologischen Durchbruch Vorrang einräumen, der Entwicklung der »Produktivkräfte neuer Qualität« – denn schließlich soll sie verhindern, dass die Volksrepublik in ihrem Ausstieg noch in letzter Sekunde gestoppt wird und auf Dauer in der zweiten Liga der Weltwirtschaft festhängt.

Trifft ein Bericht des Wall Street Journal zu, dann werden einige der US-Konzernbosse und -Wirtschaftsvertreter am morgigen Mittwoch zusätzlich von Präsident Xi Jinping empfangen, darunter Orlins, Craig Allen, der Präsident des US-China Business Council und Evan Greenberg, der Chef des US-Versicherungskonzerns Chubb. Kommt das Treffen tatsächlich zustande, dann darf man es als Beleg dafür ansehen, dass Beijing der Präsenz von US-Konzernen in der Tat noch einen hohen Stellenwert einräumt. Eine offizielle Bestätigung für die Zusammenkunft lag am gestrigen Montag allerdings noch nicht vor.

Hintergrund: China Development Forum

Zu den Themen, die auf dem China Development Forum in Beijing thematisiert wurden, gehörten die in manchen Branchen stark wachsenden chinesischen Exporte. Ein Beispiel ist die Solarindustrie; chinesische Hersteller arbeiten dort seit Jahren so effizient, dass sie die Konkurrenz in Europa mehr oder weniger ausgeknockt haben. Ein weiteres Beispiel dürften die Elektroautos werden. Auch diese werden in der Volksrepublik in hoher Qualität und dennoch billiger als im Westen gefertigt. Die Folge: Chinesische Hersteller schicken sich an, im großen Stil nach Europa zu exportieren – und dies könnte die Marktanteile der röhrenden hiesigen Platzhirsche, nicht zuletzt der deutschen, reduzieren. Vergangene Woche wetterte Jens Eskelund, Präsident der EU-Handelskammer in China: »Ich denke nicht, dass Europa eine Deindustrialisierung akzeptieren wird, weil China seine Überkapazitäten exportiert. Es muss bald etwas passieren.« Und in der Tat: Die EU-Kommission bereitet, ganz Trump, Strafzölle auf die Einfuhr chinesischer Elektroautos vor.

Eskelund wollte sich am Wochenende in Beijing für eine rasche Kurskorrektur stark machen. »Eine der Hauptursachen ist, dass es in China eine zu geringe Nachfrage gibt«, äußerte er vorab; es müsse also die Nachfrage, sprich: der Konsum gestärkt werden. Nun ist der private Konsum in der Volksrepublik mit einem Anteil an der Wirtschaftsleistung von zuletzt 38,5 Prozent – der Vergleichswert in Deutschland liegt bei 51,2 Prozent – tatsächlich recht niedrig; doch ist das nur ein Teilaspekt. Denn es stellt sich ja nicht nur die Frage, ob man – systemimmanent gedacht – von dem Grundsatz des Kapitals, dass der effizienteste Produzent gewinnt, plötzlich abweichen soll, wenn man davon gerade mal nicht selbst profitiert. Eine weitere Frage ist, ob ein Land mit nur 84 Millionen Einwohnern auf Dauer darauf insistieren kann, größere Marktanteile zu halten als ein Land mit gut 1,4 Milliarden Einwohnern. Die tiefen Umbrüche, in denen die Welt derzeit steckt, bringen Anpassungsprozesse mit sich, die für die bisherigen Herren des Globus tendenziell schmerzlich sind. In Europa haben sie gerade begonnen. (jk)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (25. März 2024 um 22:27 Uhr)
    Die Idee von Kristalina, mehr Geld für Konsum auszugeben, wäre auch im »Westen« nützlich. Was sagt das Fräulein zur Austeritätspolitik daselbst?

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