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Aus: Ausgabe vom 25.03.2024, Seite 16 / Sport
Sportökonomie

Die große Misere

Studie des Bundesinstituts für Sportwissenschaft: Investitionsrückstand bei kommunalen Sportstätten ist eklatant
Von Andreas Müller
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Die jüngste SSK-Erhebung beziffert den momentanen »Sanierungsstau« für Sportstätten und Bäder auf insgesamt 13 Milliarden Euro

Fast zwei Drittel der Kommunen zwischen Usedom und Breisgau würden bei ihren Sportstätten gerne einen Neubau, eine Generalsanierung oder eine gründliche Modernisierung erwirken. 61 Prozent melden dieses Interesse in bezug auf Bäder an, 60 Prozent bei Sporthallen und 51 Prozent bei Sportplätzen. Investiert wurden von den Städten und Gemeinden in die Infrastruktur ihrer Sportstätten 2022 gerade einmal 17,10 Euro pro Einwohner. Das waren zwar zwei Euro mehr als noch im Jahr 2019, aber nur ein sehr bescheidenes Plus vor dem Hintergrund immer größerer Kosten, mit denen die Bürgermeister und Gemeindeämter für Betrieb und Unterhalt ihrer Sportstätten zu rechnen haben. Seit 2010 haben sich diese Kosten durchschnittlich um fast ein Fünftel erhöht.

Weiterhin mit Krümeln

Nachzulesen ist dies im neuesten sogenannten Sportsatellitenkonto (SSK), einer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) in Bonn regelmäßig für das gesamte Bundesgebiet in Auftrag gegebenen Studie. Die SSK-Geschichte reicht bis ins Jahr 2008 zurück, seitdem werden regelmäßig aus verschiedenen Blickwinkeln fundierte Daten zur wirtschaftlichen Bedeutung des Sports ermittelt bzw. zusammengeführt. Diesmal hatten sich insgesamt 369 Kommunen zum Zustand ihrer Sportstätten im Jahr 2022 geäußert. »Mit den Ergebnissen wenden wir uns an Entscheidungsträger in Sportpolitik und Sportpraxis, an Sportverbände und Vereine, an die Wirtschaft und die Wissenschaft«, erklärte Sven Repenning, Leiter der Studie, gegenüber jW. Bleibt zu hoffen, dass dieses aktuelle, basisorientierte und aussagekräftige Zahlenwerk vor allem von Haushältern des Bundes möglichst aufmerksam gelesen wird, um Länder und Kommunen beim »Dauerbrenner Sportstätten« nicht wie seit Jahrzehnten weiterhin mit Krümeln abzuspeisen.

Ende 2022 hatte die Ampel-Regierung bereits den »Investitionspakt Sportstätten« beerdigt. Nun droht dem letzten noch übriggebliebenen Programm zur »Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur« (SJK) dasselbe Schicksal. Gerade noch mit lumpigen 200 Millionen Euro wurde dieser Etat für 2024 ausgestattet. Ganz offensichtlich ein ziviles »Auslaufmodell«, während auf militärischem Sektor im politischen Berlin nach dem ersten Sondervermögen von über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereits über ein nachfolgendes Paket von bis zu 300 Milliarden Euro schwadroniert wird.

Bedauerlicherweise wird der über Jahrzehnte entstandene Investitionsrückstand bei den Sportstätten vom jüngsten SSK nicht exakt ermittelt, da beispielsweise der Zustand von Schulturnhallen und Sportplätzen unberücksichtigt blieb. Der Nachholbedarf reiht sich in den »Infrastrukturbereich Schulen« ein. Dafür werde ein aktueller Investitionsrückstand von bundesweit 47,4 Milliarden Euro angenommen, berichtete Sven Repenning unter Hinweis auf eine Erhebung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus dem Vorjahr.

Die jüngste SSK-Erhebung beziffert den momentanen »Sanierungsstau« für Sportstätten und Bäder auf insgesamt 13 Milliarden Euro. Hinzu kommen mindestens noch die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) kommunizierten und dringend benötigten zehn Milliarden Euro für Renovierung, Instandhaltung und Modernisierung vereinseigener Sportstätten. Für deren Unterhaltung berappten knapp 5.200 Sportvereine nach Angaben aus dem Jahr 2020 übrigens zirka 456 Millionen Euro aus dem eigenen Budget. Einen Hinweis auf das wahre Ausmaß der bundesweiten Sportstättenmisere können jene 184 Euro geben, die Gemeinden und Kommunen nach eigenen Angaben pro Einwohner investieren müssten, um bauliche Mängel und Rückstände endlich beheben zu können. Diese Pro-Kopf-Summe gelte laut Repenning allerdings nur für jene Kommunen, die in der Studie ihren Nachholbedarf mit »gravierend« bzw. »nennenswert« bezeichneten.

Nöte und Forderungen

Ein Prädikat, das traurigerweise über die Hälfte der Umfrageteilnehmer als fürs eigene Stadt- und Gemeindegebiet zutreffend reklamierte. 2015 hatten bei der Frage nach den Investitionen für Sportstätten vor Ort rund acht Prozent der Kommunen einen »gravierenden Rückstand« beklagt und 38 Prozent einen »nennenswerte Rückstand«, insgesamt also 46 Prozent. Sieben Jahre später hatte sich dieser Rückstand um insgesamt 10 Prozent vergrößert. 14 Prozent der Kommunen bezeichneten ihn als »gravierend«, 42 Prozent als »nennenswert«. 2022 teilten nur noch 39 Prozent der Kommunen mit, es gebe bei ihren Sportstätten gar keinen oder nur einen geringen Investitionsrückstand, 2015 waren es noch 52 Prozent. Folgerichtig wuchsen die Zwänge, etwas gegen den Verfall zu unternehmen. In der jüngsten SSK-Befragung äußerte mehr als ein Viertel der Kommunen, dass es einen »hohen Bedarf« an Neubauten für die sportliche Infrastruktur gebe. 39 Prozent bezeichneten den Bedarf bei Modernisierungen als »hoch«, 37 Prozent den Bedarf an Generalsanierungen – Nöte und Forderungen der sportlichen Basis, die sich wie ein Hilfeschrei an die Politik ausnehmen.

Dem neuesten SSK zufolge existieren im Bundesgebiet derzeit rund 225.000 verschiedene Sportanlagen. Die Hälfte davon machen ungefähr 40.000 Sporthallen, zirka 66.000 Sportplätze und rund 6.500 Bäder aus. Die andere Hälfte besteht unter anderem aus Tennisplätzen und -hallen, Fitnessstudios, (Mini-)Golfplätzen, Kletterhallen oder Boule- und Wasserskianlagen. Hinzu kommen rund 310.000 Kilometer »Sportstätten in Linienform« wie Rad- und Wanderwege. Die wirtschaftliche Bedeutung des Sportstättenbaus belief sich im Jahr 2022 auf rund 27,4 Milliarden Euro, eine Steigerung von 3,3 Milliarden Euro gegenüber 2010. Was laut Sven Repenning »zu großen Teilen auf Preissteigerungen im Bausektor« zurückzuführen sei »und nicht auf ein Mehr an Sportstätten«. Die Gesamtausgaben verteilten sich auf Betriebskosten inklusive Instandhaltung (41 Prozent), Bauinvestitionen (32 Prozent), Personalkosten (24 Prozent) und Investitionen in Ausrüstung (drei Prozent).

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. März 2024 um 11:24 Uhr)
    Sportmisere! Die drängenden Bedürfnisse nach neuen Einrichtungen, Modernisierungen und Generalsanierungen werden von den kommunalen Verantwortlichen als Hilfeschrei an die Politik formuliert. Die im Artikel erwähnten Zahlen sind nicht nur statistische Daten, sondern Spiegelbilder der tatsächlichen Bedürfnisse und Nöte unserer Jugend und sportlichen Gemeinschaft. In Anbetracht der wirtschaftlichen Bedeutung des Sportstättenbaus und des unbestreitbaren gesellschaftlichen Wertes des Sports ist die Vernachlässigung seiner Infrastruktur ein Versagen unserer Gesellschaft. Es ist an der Zeit, dass politische Entscheidungsträger die dringenden Rufe nach Investitionen in die sportliche Infrastruktur ernst nehmen und angemessene Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass unsere Jugend die Möglichkeit hat, gesund aufzuwachsen und sich sportlich zu entfalten.