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Aus: Ausgabe vom 25.03.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Deutsche Kommunisten

Ohrfeige vom Ortsgruppenleiter

Ein Buch erzählt vom Leben des Kommunisten Alois Thoma
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Inzwischen Geschichte: Die Papierfabrik Baienfurt wurde 2008 vom finnisch-schwedischen Mutterkonzern Stora Enso stillgelegt (Aufnahme vom Juli 2006)

Die VVN-BdA Ravensburg/Oberschwaben hat ein Büchlein des Autors Werner Heinz herausgegeben, in dem eine interessante Lebensgeschichte nachgezeichnet wird: Die des 1927 in Ravensburg geborenen Alois Thoma. Thoma war bzw. ist Mitglied der KPD, der DKP und der VVN-BdA. Die Schrift von Werner Heinz ist auch die Geschichte einer »roten« Familie im katholischen Oberschwaben. Erzählt wird von sozialen und politischen Kämpfen im lokalen und regionalen Maßstab, die kaum je den Weg in die historische Literatur finden.

In Oberschwaben gab es früher lokale Hochburgen der Arbeiterbewegung. Der heute 96jährige Alois Thoma kommt aus dieser Tradition: Baienfurt, wo Thoma nahezu sein ganzes Leben lang gewohnt hat, war mit seiner großen Papierfabrik eine Hochburg. Der Vater, 1920 Gründungsmitglied der KPD in Baienfurt, hatte schon 1907 am Sozialistenkongress in Stuttgart teilgenommen, wo er Clara Zetkin und Lenin sah. Die KPD war in ihren ersten Jahren mit 150 Mitgliedern die stärkste Partei in Baienfurt, schreibt Heinz. 1923 klauen die Genossen der rechten Bürgerwehr die Gewehre. Noch Jahre später vernimmt die Gestapo deswegen Beteiligte, die aber nichts darüber sagen konnten, »wo die Waffen letztlich gelandet waren«.

Als die Papierfabrik 1932 Arbeiter entlassen muss, trifft das ausschließlich Mitglieder der KPD und der mit ihr verbundenen Gewerkschaftsopposition. Vom Direktor der Papierfabrik ist der Satz überliefert: »Wer mir den Kampf ansagt, den werde ich vernichten.« Der Ortsgruppenleiter der NSDAP ist Pförtner der Papierfabrik, also sein Angestellter. 1933 und danach »verschwinden« auch Bekannte der Familie Thoma in den Lagern Dachau, Welzheim und auf dem Heuberg. Der junge Alois Thoma wird einmal vom Ortsgruppenleiter geohrfeigt, empfand seine Situation, wie er Heinz berichtet hat, aber insgesamt »nicht als so bedrohlich, weil sich auch die politischen Gegner vor Ort persönlich kannten, Nachbarn waren, und einander nicht unbedingt schaden wollten«. Noch im Herbst 1944 wird der 17jährige Lehrling eingezogen und kehrt 1945, auf 42 Kilogramm abgemagert, aus einem US-Kriegsgefangenenlager bei Bingen zurück. Viele Nachbarn und Schulfreunde kommen nicht zurück.

In Baienfurt wurden wenige Tage vor Kriegsende in der Bäckerei die Unterlagen der NSDAP und der Gemeindeverwaltung verbrannt. 1948 tritt der ehemalige Nazibürgermeister erneut bei der Bürgermeisterwahl an. Im September 1946 gibt es bei der ersten Gemeinderatswahl nach dem Krieg eine »Listenkopplung« von KPD und SPD. Die KPD habe damals durch den Widerstand gegen die Nazis »ein Renommee« gehabt, erinnert sich Thoma. 1948 stellt ihn die Partei bei der Gemeinderatswahl auf, Mitglied wird er erst 1951.

Als die KPD im August 1956 verboten wird, gibt es auch bei Alois Thoma eine Hausdurchsuchung. Andere folgen später. Er bleibt in der verbotenen Partei aktiv, wird 1966 bei der Rückkehr aus Westberlin in Stuttgart festgenommen und muss in Karlsruhe sechs Monate in Beugehaft. Er soll zu Aussagen über die illegale Arbeit gezwungen werden.

1966 trat Alois Thoma auch der VVN bei. Bis heute ist er insbesondere in der antifaschistischen und in der Friedensbewegung aktiv. Auch davon erzählt dieses lesenswerte Buch. (jW)

Werner Heinz: Sie machen weite Reisen, Herr Thoma! Ein politisches Leben in Oberschwaben. Verlag Druckerei Kleb, Wangen im Allgäu 2023, 122 Seiten, 14,80 Euro

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