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Aus: Ausgabe vom 25.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Film

Der Kampf um die Bilder

25 Jahre nach Beginn des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien: Zwei Dokumentarfilme zu Uranwaffen auf einem Symposion in Berlin
Von Gerd Schumann
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Spezialisten messen radioaktive Belastung in einem Vorort von Sarajevo (Vogošća, 15.1.2001)

»Das Wichtigste ist, dass der Feind nicht das Monopol auf die Bilder haben darf.«

Jamie Shea, Sprecher der NATO,zum Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999

Nachdem  am 24. März 1999, fast genau vor einem Vierteljahrhundert, die ersten Tarnkappenbomber unter Bruch des Völkerrechts auf Belgrad geflogen waren, erreichten die Bilder vom Luftterror der NATO umgehend die Welt. Adäquat zum Leid der Menschen in den Bunkern, den »Kollateralschäden« zerbombter ziviler Ziele, von Eisenbahnzügen, Häusern und Brücken, brennenden Chemiefabriken und qualmenden Ölraffinerien, den Attacken auf Märkte zerbröselten mit der Meinungsführerschaft des Westens die Vorgaben, wie dieser Krieg zu lesen sei. Die Politik hierzulande konterte mit Lügen und Manipulationen. Jamie Shea: »Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, hätten wir das ganze Bündnis verloren.«

Dass in Kriegen zuallererst die Wahrheit auf der Strecke bleibt, ist bekannt und oft genug zitiert. Der Zweck, die Oberhoheit über die Köpfe zu sichern, blieb bis in die Gegenwart das Nonplusultra aller Nachrichtensendungen und Medienberichte in Deutschland und wurde Dreh- und Angelpunkt der Geschichtsschreibung (vergleiche auch die Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt). Dazu gehört das Schweigen über den für davon Betroffene und die Umwelt mit schrecklichen Folgen verbundenen Einsatz von »DU« (»Depleted Uranium«) als Munition panzerbrechender Waffen in den Kriegen seit 1991, aktuell auch in der Ukraine. Ein Tabu, medial wie politisch, das offensichtlich nur von unten gebrochen werden kann.

In Berlin zeigte am 21. März im Zeiss-Großplanetarium in Berlin-Prenzlauer Berg ein Bündnis von Atomwaffengegnern, Filmschaffenden, Wissenschaftlern, Juristen, Ärzten, Naturschützern (das International Center for Multigenerational Legacies of Trauma – ICMGLT) zwei Dokumentarfilme der besonderen Art. Sie stießen damit (auch bei der anschließenden Diskussion) auf – überraschend – starkes Interesse. Ein Hinweis auf wachsendes Informationsbedürfnis? Dem Publikum im vollen Kinosaal des Zeiss-Großplanetariums eröffnete sich jedenfalls ein tiefer Einblick in die Konsequenzen des Einsatzes derartiger Waffen. Berichte von Zeitzeugen über persönlich Erlebtes und Erlittenes verdichten sich zur Tragödie, Erläuterungen von Experten erhellen Hintergründe. Beide Filme können als Warnung vor einer menschheitsgefährdenden Katastrophe gesehen werden, machen verantwortliche Herrschaftsstrukturen erahnbar und passen offensichtlich nicht in die politische Landschaft.

Die Recherchen für seinen Film »Toxic NATO – Srđan Aleksić’s Long Way to Justice« hatte der Filmemacher und Journalist Moritz Enders ursprünglich für eine Arte-Produktion vorgesehen. Das Projekt kam nicht zustande. Aus dem Material entstand schließlich unter großen Mühen und mit finanziellen Engpässen die aufgeführte Fassung von 26 Minuten Länge. Sie lief bisher auf einem Symposium im südserbischen Niš und in der vergangenen Woche in Berlin. Im Mai soll der Film beim 13. Internationalen Uranium Film Festival in Rio de Janeiro gezeigt werden. Enders versteht die derzeitige Version als Preview, sie könnte auf ein längeres Format erweitert werden. Dabei setzt er, wie er im Gespräch mit jW sagte, mangels Auftraggebern weiterhin verstärkt auf Crowdfunding.

Protagonist seiner Doku ist der international bekannte Jurist Srđan Aleksić (siehe jW vom 14.6.2023), der seit Jahren als eine Art »Volksanwalt« gegen die NATO klagt. Seine Eltern, weitere Angehörige und viele Freunde starben an den Folgen des Beschusses der südserbischen Region Buštranje mit DU-Geschossen. Ganze Landstriche in der Region und vor allem im benachbarten Kosovo wurden verstrahlt, die Krebsrate stieg exorbitant, die Zahl von Missbildungen ebenfalls. Es gibt Tausende Tote, die genaue Zahl lässt sich nur schätzen. Aleksić, Rechtsanwalt aus der Stadt Niš, wurde durch seinen Einsatz zu einer Schlüsselfigur des Widerstands gegen Atommunition.

»Mit hohem, bewundernswertem Engagement kämpft er mit Mitteln des Rechts für die Entschädigung von Opfern der DU-Munition«, so Manfred Mohr, Professor für Völkerrecht und Sprecher der Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen. Er ordnet in Enders’ Film die Bedeutung der »scheußlichen Waffengattungen« ein, für die Uran verwendet wird. Die Veranstaltung sei sozusagen eine »Weltpremiere«, erklärte er, weil sie erstmals zwei unterschiedliche Themenkomplexe zum »Teufelsstoff Uran« verbinde: Umweltzerstörung durch Uranmunition und durch Atomwaffen.

Die zweite Dokumentation »How far from Ground Zero« von Brian Cowden aus dem Jahr 2022 überzeugt vor allem durch die Fülle an Interviews. Sie veranschaulichen die Auswirkungen von Atomwaffentests auf die indigene Bevölkerung, beteiligte Soldaten und Zivilpersonen und geben den Überlebenden Gesicht und Stimme. Anhand von Beispielen aus dem pazifischen Raum der Marshallinseln mit dem Bikini-Atoll, Kiritimati und Mururoa – alles ehemalige Kolonialgebiete – wird die Dimension der Verseuchung deutlich, welche die USA und Frankreich zwischen 1946 und 1996 mit Hunderten Atomtests hinterlassen haben. Halbwertzeit des Abbaus: vier Milliarden Jahre.

Die Vergiftung ganzer Regionen bleibt ebenso, wie eine penetrante Propaganda den Einsatz immer neuer und effektiverer Waffensysteme relativiert und für unverzichtbar erklärt. Manchen gelten sie sogar als überlebenswichtig: eine paranoide Verherrlichung des Krieges.   

»How far from Ground Zero«, Regie: Brian Cowden, USA, 2022, 30 Min., Youtube

»Toxic NATO – Srdan Aleksic’s Long Way to Justice«, Regie: Moritz Enders, BRD 2023, 26 Min.

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