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Aus: Ausgabe vom 23.03.2024, Seite 15 / Geschichte
Naziverbrechen in Italien

Brutale Rache

Vor 80 Jahren verübten die Nazis in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom einen Geiselmord, dem 335 Menschen zum Opfer fielen
Von Gerhard Feldbauer
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Festnahme von Zivilisten nach dem Attentat in der Via Rasella (Rom, 23.3.1944)

Als Rache für einen Partisanenanschlag am 23. März 1944 in der Via Rasella im Zentrum von Rom, bei dem 33 Angehörige des SS-Polizeiregiments »Bozen« ums Leben gekommen waren, schlug der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, vor, für jeden toten SS-Mann zehn Italiener zu erschießen. Adolf Hitler sanktionierte den Plan. Kappler meldete sich daraufhin selbst zur Ausführung des Geiselmordes (entgegen seiner späteren Behauptung, er habe nur Befehle ausgeführt). Er war, wie der italienische Historiker Guido Gerosa nachwies, »der große nazistische Kontrolleur des Terrors, der oberste Leiter der Vernichtung des jüdischen Ghettos«, ein »besonders fanatischer Nazi, der skrupellos wie ein wildes Tier mordete«.

Kappler holte mit seinem Stellvertreter, Sturmbannführer Erich Priebke, die Geiseln persönlich aus den Gefängnissen in Rom. Zur Leitung des Exekutionskommandos gehörten weiter Sturmbannführer Karl Hass und Hauptsturmführer Carl-Theodor Schütz. Die Opfer wurden, die Hände mit Stricken hinter dem Rücken zusammengebunden, auf Lastwagen in die Fosse Ardeatine an der Via Appia Antica bei Rom transportiert, wo sie in die Sandsteinhöhlen hinunter getrieben wurden, dort in Gruppen zu fünf Mann niederknien mussten und auf Kommando durch Genickschüsse abwechselnd von den etwa 80 bis 90 SS-Leuten des Kommandos umgebracht wurden. Die nächsten Opfer mussten auf die vorher Erschossenen steigen. Die Wartenden hörten während der etwa fünf Stunden dauernden Exekution die Schüsse. Um seine Leute anzufeuern, exekutierte Kappler selbst mehrere Geiseln. Es wurde nicht kontrolliert, ob die Opfer tot waren. Bei den Bergungen nach 1945 wurden bei einem Opfer Notizen gefunden, die darauf hinwiesen, dass es lebendig Begrabene gab. Als sich am Ende herausstellte, dass zwei Personen zu viel zusammengetrieben worden waren, wurden auch diese getötet. Man wollte keine Mitwisser am Leben lassen. Nach Abschluss des Massakers, dem 335 Menschen zum Opfer fielen, wurden die Höhlen gesprengt.

Bestialisches Verbrechen

Die Historiker Roberto Battaglia und Giuseppe Garritano schrieben in »Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945« (Berlin/DDR 1964), Opfer dieses »bestialischen, in jeder seiner einzelnen Handlungen unmenschlichen Verbrechens« wurden »Menschen der verschiedenen Richtungen, Klassen und Altersstufen, die noch in ihrem Tode ein Zeugnis von der Einheit ablegten, die die Italiener im Befreiungskampf zusammenschloss«. Schulter an Schulter fielen der kommunistische Professor Gioacchino Gesmundo und der Oberst Giuseppe Montezemolo, Organisator des Widerstandes in Militärkreisen, Professor Pilo Albertelli von der Radikaldemokratischen Aktionspartei und General Simone Simoni, dekorierter Held des Ersten Weltkrieges, General Dardano Fenulli, stellvertretender Kommandeur der Division »Ariete«, die im Herbst 1943 der Okkupation der Hitler-Wehrmacht entgegengetreten war, und der Arbeiter Valerio Fiorentini, der den Widerstand in den Städten organisiert hatte. Insgesamt waren 77 Arbeiter, 57 Angestellte und Beamte, 54 Angehörige kaufmännischer Berufe, 38 Offiziere, darunter fünf Generäle, 17 Straßenhändler, zwölf Bauern, zwölf Rechtsanwälte, neun Studenten, acht Künstler, sechs Architekten und Ingenieure, fünf Professoren bzw. Lehrer, fünf Industrielle, fünf Soldaten, vier Metzger, drei Ärzte, ein Bankkaufmann und ein Priester ermordet worden. Der jüngste Tote war 15 Jahre alt, der älteste 74.

Kriegsverbrechen wie in den Ardeatinischen Höhlen fanden auch in anderen italienischen Gemeinden statt, beispielsweise in Marzabotto in der Nähe von Bologna, wo Ende September 770 Bewohnerinnen und Bewohner, vor allem alte Männer, Frauen und Kinder, viehisch umgebracht wurden. In Mailand war SS-Hauptsturmführer Theo Saevecke, der »Henker von Mailand«, für die Ermordung von über 2.000 Juden und Widerstandskämpfern verantwortlich.

Flucht in die Bundesrepublik

Der für Geiselerschießungen verantwortliche Befehlshaber für Italien, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, wurde 1947 von einem britischen Militärgericht unter anderem wegen des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen zum Tode verurteilt. Später wurde das Urteil in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt, 1952 kam er frei. Im Prozess sagte Kesselring aus, dass mit den Geiselerschießungen nach dem Überfall in der Via Rasella auch der römischen Widerstandsbewegung ein entscheidender Stoß versetzt werden sollte. Herbert Kappler wurde von einem römischen Militärgericht 1948 wegen der Geiselerschießungen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er in Italien verbüßte. Im Sommer 1977 verhalfen deutsche und italienische Gesinnungskomplizen ihm zur Flucht in die Bundesrepublik. Die westdeutschen Justizbehörden verweigerten eine von Rom geforderte Auslieferung. Guido Gerosa und italienische Zeitungen verwiesen damals darauf, dass führende Politiker der Bundesrepublik, darunter 232 Bundestagsabgeordnete und Mitglieder der damaligen von der CDU als auch der SPD geführten Bundesregierung, die Freilassung Kapplers gefordert hatten.

Der an dem Geiselmord beteiligte Carl-Theodor Schütz wurde 1950 in der Bundesrepublik als Mitläufer »entnazifiziert«. 1952 übernahm ihn die Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND). Reinhard Gehlen empfahl ihn als »charakterlich einwandfreie, ausgereifte, sensible Persönlichkeit«, die »jederzeit ein Vorbild« gewesen sei. Als sich der BND später von allzu NS-belasteten Mitarbeitern trennen musste, wurde Schütz 1964 entlassen und erhielt eine Abfindung von 70.000 D-Mark. Der ebenfalls an dem Massaker beteiligte Karl Hass lebte unter falschem Namen in Italien. Nach seiner Entdeckung verurteilte ihn ein Militärgericht in Rom 1998 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die in Hausarrest umgewandelt wurde. Er starb 2004. Dem SS-Hauptsturmführer Erich Priebke hatte der Vatikan auf der sogenannten Rattenlinie zur Flucht nach Argentinien verholfen, wo er fünfzig Jahre unbehelligt lebte. In der BRD war ein Verfahren gegen den Kriegsverbrecher bereits 1977 eingestellt worden. 1996 wurde er in Argentinien entdeckt und an Italien ausgeliefert, wo er 1998 eine lebenslange Haftstrafe erhielt, die ebenfalls in Hausarrest umgewandelt wurde. Er verstarb 2013.

In den Fosse Ardeatine wurde am 24. März 1949 ein Denkmal und Mausoleum, in dem die Gebeine der Toten beigesetzt sind, eröffnet. In einem Pinienhain oberhalb der Gedenkstätte würdigt ein Museum des italienischen Widerstands den Befreiungskampf und Sieg des italienischen Volkes über die deutsche Besatzung und den italienischen Faschismus.

»Rechtmäßige Aktion«

Anfang 1944 hatte die deutsche Besatzungsmacht einer Vereinbarung zugestimmt, Rom zur »offenen Stadt« zu erklären. Die Wehrmacht zog jedoch ihre Truppen nicht ab, woraufhin die Alliierten am 19. März 1944 einen schweren Luftangriff auf Rom flogen. Daraufhin beschloss der Militärausschuss des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) für den 23. März nachmittags einen Überfall auf eine deutsche Militärkolonne in der Via Rasella. Mit dem Anschlag wurden Angehörige der örtlichen, zumeist kommunistischen, »Gruppen der Patriotischen Aktion« (GAP) beauftragt. Sie deponierten in einem Müllkarren eine präparierte Mörsergranate, die sie, als eine Kompanie des SS-Regiments Bozen (Südtirol) die Straße passierte, zündeten. Anschließend eröffneten sie das Feuer. Bei dem Überfall kamen 33 Soldaten ums Leben.

Behauptungen in rechten und faschistischen Kreisen, der Anschlag sei eine »illegitime Operation« gewesen, wies das Appellationsgericht von Rom 1954 zurück und entschied, es habe sich um eine in »voller Rechtmäßigkeit« durchgeführte »Aktion des Krieges« gehandelt.

Das Massaker wurde mehrfach in Filmen gestaltet, so 1973 von dem italienischen Regisseur Georgios Pan Cosmatos in einer italienisch-französischen Koproduktion, die in der BRD als »Das Massaker in Rom – der Fall Kappler« mit Richard Burton in der Hauptrolle herauskam. Der Abspann nennt alle Namen der Opfer mit Alter und Berufsstand.

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