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Aus: Ausgabe vom 23.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Film

Fern von der digitalen Kultur

Peter Kubelka, dem radikalsten aller Filmemacher, zum 90. Geburtstag
Von Florian Neuner
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»Ein wichtiger Antrieb meiner Arbeit sind Wut, Aggression, Nichtaushalten von Dingen«, Peter Kubelka, hier etwa 1970

Gegen die »feindliche Übernahme« des Kinos durch digitale Medien setzte Peter Kubelka vor zehn Jahren sein »Monument Film« – Summe und Verdichtung des Mediums am Ende der (analogen) Filmgeschichte. Seinem 1960 entstandenen, wahrscheinlich radikalsten Film »Arnulf Rainer«, in dem sich sechseinhalb Minuten lang schwarze und weiße Kader, Stille und Rauschen abwechseln, setzte Kubelka 2012 mit »Antiphon« einen Film entgegen, in dem spiegelbildlich an die Stelle des Schwarzfilms Licht tritt, während die stillen Abschnitte auf der Tonspur jetzt tönen – und umgekehrt. Die beiden Filme werden nacheinander, nebeneinander, schließlich übereinander projiziert: Am Ende steht die schwarze Leinwand. Peter Kubelka sagt: »Ich wollte mein Lebenswerk mit einem Monument für den Film beschließen, das sich von der digitalen Kultur fernhält.«

Dieses filmische Lebenswerk ergibt in Summe eine Aufführungsdauer von nicht einmal anderthalb Stunden – eine »Grundlagenkunst«, die sich gegen den »Industriefilm«, gegen Schauspieler, Plots, Teamwork und Realismuskonzepte von vorgestern wendet. Der junge Kubelka wollte zeigen, dass Film in der Lage ist, sich mit anderen Kunstgattungen zu messen, und musste dieses Projekt zunächst unter widrigen Bedingungen vorantreiben. Der einminütige, hochverdichtete Film »Schwechater« (1958) verdankt sich einem Auftrag der gleichnamigen Brauerei. Für »Unsere Afrikareise« (1966) begleitete er eine Gruppe von Österreichern, die sich auf Großwildjagd begab und ihr Abenteuer dokumentiert sehen wollte, montierte aber Bild- und Tonspur dergestalt, dass die üble kolonialistische Attitüde seiner Auftraggeber entlarvt wird. In keinem einzigen Moment ist im Film das zu hören, was im Moment der Bildaufnahme zu hören war.

Das führt ins Zentrum des Kubelka’schen Filmdenkens, das ein analytisches ist: Film bildet nicht ab, sondern konstruiert Wirklichkeit. In »­Adebar« (1957) ist eine kurze musikalische Phrase, die einer zeitlichen Ausdehnung von 26 Kadern entspricht, strukturbildend. Mit den Bildern von tanzenden Paaren umspielt Kubelka das Thema Sich-berühren-Wollen und Sich-nicht-berühren-können. »Arnulf Rainer«, der abstraktestmögliche Film, der gleichwohl wirkt wie ein Naturereignis, ist exakt nach einer Partitur komponiert, nach der er jederzeit von jedermann hergestellt werden kann; hier ist nichts »gefilmt«.

»Ein wichtiger Antrieb meiner Arbeit sind Wut, Aggression, Nichtaushalten von Dingen«, beschrieb Kubelka einmal seine Motivation. »Ich bin aus Österreich hinaus, weil mir schlecht wurde von den Dingen, die im Film hier gemacht worden sind.« Der Weg führte ihn 1954 ans ­Centro Sperimentale di Cinematografia in Rom. Seine »metrischen« Filme fanden Anerkennung zunächst in der US-amerikanischen Avantgardeszene. Gemeinsam mit Peter Konlechner gründete Kubelka 1964 das Österreichische Filmmuseum in Wien, das bis 2001 von dem Duo geleitet wurde. Bis heute ist dort regelmäßig das »Zyklische Programm« zu sehen, ein von Peter Kubelka zusammengestellter rigoroser Kanon der Filmkunst – von Kenneth Anger über Carl Theodor Dreyer und Leni Riefenstahl bis Dsiga Wertow und Andy Warhol –, in dem viele Cineasten ihre Lieblinge vermissen, Jean-Luc Godard beispielsweise. Kubelka war 1970 auch am Aufbau der Anthology Film Archives in New York beteiligt, wo er erstmals sein Konzept des »unsichtbaren«, schwarzen, völlig ablenkungsfreien Kinosaals verwirklichen konnte, wie er später auch am Filmmuseum in Wien eingerichtet wurde. 1978 wurde Kubelka an die Städelschule in Frankfurt am Main berufen, wo er eine Klasse für »Film und Kochen als Kunstgattung« leitete.

Die Besinnung auf die »älteste Kunstgattung« steht in Zusammenhang mit Kubelkas konsequenter »Entspezialisierung«. Der Avantgardefilm ist kein abgehobener Spezialdiskurs, sondern führt auf direktem Weg zu den grundlegenden Fragen, wie Kubelka in weitschweifigen Vorträgen darlegt. Seine ungewöhnliche archäologische Sammlung möchte er einmal als »erdgeschichtliche Privatausstellung« in seiner Wohnung in der Wiener Innenstadt zugänglich machen. In einem Text »Über das Wiener Schnitzel« hat Kubelka einmal seine österreichische Version der »Eroberung des Weltalls« beschrieben: »Aus dem Schenkel eines jungen Kuhmädchens wird ein dünnes Stück lebendiges Fleisch herausgeschnitten und mit federnden Schlägen weichmassiert. Es wird geschmückt mit feinen, gestoßenen salzigen Kristallen. Es wird eingehüllt, zuerst in einen Schleier aus den lebend zermalmten Samen einer Pflanze, dann in ein Kleid aus rasch ineinandergeschlagenen, lebenden, ungeborenen Hühnern, dann in einen Mantel zerriebenen Brotes (den Ruinen eines alten Kunstwerkes).«

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