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Aus: Ausgabe vom 23.03.2024, Seite 8 / Ansichten

1999: Die Zeitenwende

NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Gastkommentar
Von Żaklin Nastić
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Demonstranten protestieren gegen den NATO-Angriff auf Jugoslawien anlässlich des Sonderparteitages von Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Thema in Bielefeld (13.5.1999)

Vor 25 Jahren beteiligte sich die damalige »rot-grüne« Bundesregierung an einem Krieg, der das Völkerrecht und die Menschenrechte auf den Müllhaufen der Geschichte bomben sollte: Unter sträflichster Instrumentalisierung des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte verstieß man gegen die UN-Charta. Deren Artikel 2 Absatz 4 verbietet die »Androhung und Anwendung« zwischenstaatlicher Gewalt. Ausgerechnet Deutschland, das völlig zu Recht unter Willy Brandt dem Leitmotiv »Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!« folgte, trat das Grundgesetz und den Zwei-plus-vier-Vertrag, der die deutsche Einheit herbeigeführt hatte und dazu verpflichtet, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen darf, mit Füßen.

Im Jahr 1999 läuteten die wertebasierten Regime-Changer und humanitären Interventionisten der Grünen mit dem ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr gegen die Bundesrepublik Jugoslawien die außenpolitische Zeitenwende ein. Wie später in Afghanistan, Libyen, Syrien oder Venezuela ging es schon damals nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um das Vorantreiben eigener geopolitischer Interessen sowie die Schwächung Russlands. Ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats begingen sie den angeblich »unvermeidlichen« Völkerrechtsbruch, zerstörten gezielt Brücken, Schulen, Kliniken, Strom- und Wasserversorgung. Die NATO setzte über 30.000 Urangeschosse ein, bombardierte Chemiezentren in Pančevo, Novi Sad und Bor.

Die »rot-grüne« Regierung belog die kriegsskeptische Bevölkerung, um sie – wie es auch heute Verteidigungsminister Pistorius fordert– kriegstüchtig zu machen. Der Grünen-Staatsminister Ludger Volmer hatte noch kurz vor Kriegsbeginn wahrheitswidrig behauptet, nur mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats werde man militärisch intervenieren, während sein Chef Joseph Fischer den unvorstellbaren Tabubruch des Auschwitz-Vergleiches beging und damit das schwerste Verbrechen der deutschen Geschichte zu instrumentalisieren und zu relativieren versuchte. Auch das Versprechen, der Jugoslawien-Krieg solle nicht zum Präzedenzfall für künftige Kriege werden, wurde gebrochen.

Und heute? Erst kürzlich erklärte die Grünen-Bundesaußenministerin Baerbock, sie wolle auf dem Balkan, den Deutschland bis heute als seinen Hinterhof betrachtet, »Flanken schließen, die Russland für seine Politik der Destabilisierung, Desinformation und Unterwanderung nutzen kann«. Und wie schon 1999 und später in Syrien, Venezuela oder der Ukraine kommen vom Westen geförderte »Umsturz-GmbHs« (Süddeutsche Zeitung) wie die »Otpor«-Gruppe zum Einsatz, die Hass und Chaos säen und den Willen der Mehrheitsbevölkerung missachten.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Schreibtischtäter straflos bleiben. Weder die von damals noch die heutigen Protagonisten der Zeitenwende. Das sind wir den Opfern schuldig.

Żaklin Nastić ist Bundestagsabgeordnete und Mitglied im BSW

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  • Leserbrief von Doris Prato (26. März 2024 um 12:11 Uhr)
    Für die Beteiligung an diesem Aggressionskrieg stellte die BRD die Weichen schon im September 1991 auf einem »Fürstenfeldbrucker Symposium«, das die Rückkehr zum deutschen Weltherrschaftsanspruch als »Partner in Leadership« mit den USA verkündete. Ein Jahr nach dem Anschluss der DDR an die BRD trafen sich auf dieser von der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, der Führung der Hardthöhe und der Rechtsaußen angesiedelten Clausewitz-Gesellschaft auf dieser Veranstaltung führende Vertreter der Industrie- und Bankenwelt mit hochrangigen Generälen der Bundeswehr mit dem damaligen Verteidigungsminister Ruppert Scholz (CDU) an der Spitze, um das neue Expansionsprogramm der BRD zu beschließen. Es verkündete die Rückkehr zu weltweiter Expansionspolitik als Wiederherstellung der »Normalität« Deutschlands und gab vor, die Teilnahme am Kampf um den Weltherrschaftsanspruch als »Partner in Leadership« mit den USA zu führen. Unmissverständlich war von Militäreinsätzen der Bundeswehr out of Area die Rede, von ihrer Umstrukturierung zur Herstellung der Einsatzfähigkeit entlang einer 4.000 km langen EU-Außengrenze, der Bildung eigener Eingreifkräfte, die das »Selbstbestimmungsrecht« von Minderheiten und »unterdrückten« Völkern durchsetzen, sich der Gefährdung von Rohstoffzufuhr, der Begegnung von Immigrationswellen und diversen ähnlichen Problemen zuwenden sollten. Diese Tagung hatte bereits die Zerschlagung Jugoslawiens im Blick. Ruppert Scholz erinnerte daran, dass »der Jugoslawienkonflikt unbestreitbar fundamentale gesamtdeutsche Bedeutung« habe, da mit ihm »die wichtigsten Folgen des Zweiten Weltkrieges überwunden und bewältigt« werden müssten. Diese nach dem Ersten Weltkrieg errichtete Barriere gegen den »Deutschen Drang nach Osten«, galt es nach Rupperts Worten zu beseitigen, wozu dann mit der einseitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die BRD, gefolgt von Österreich und dem Vatikan, der Weg frei gemacht wurde. Die so durch den liberalen Außenminister Genscher in Gang gesetzte Internationalisierung des Konflikts ermögliche, international in Jugoslawien zu intervenieren (siehe Ullrich Sander: Die Macht im Hintergrund. Papyrossa Verlag, Köln 2004).

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