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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Maritime Wirtschaft

Steuerprivileg im Seehandel

Seit Jahrzehnten profitieren Reedereien von der sogenannten Tonnagesteuer. Doch die Subvention der maritimen Wirtschaft erntet zunehmend Kritik
Von Burkhard Ilschner
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Man stelle sich vor: Der Gewinn des Logistikunternehmens würde nach LkW-Größe und Fahrzeit besteuert

Tonnagesteuer – eigentlich ist der Begriff falsch, denn es ist das Gegenteil von Besteuerung gemeint: weitgehender Besteuerungsverzicht. Manche sagen, die irreführende Bezeichnung sei politische Absicht, um zu verschleiern, dass diese Subvention die Öffentlichkeit sehr viel Steuergeld kostet; treffender ist es, von Tonnagebesteuerung zu reden. In der Schweiz droht diese Debatte gerade in einen nationalen Skandal zu münden.

Es geht um staatliche Begünstigung von Reedereien. In der Bundesrepublik seit 1999 üblich (siehe Hintergrund), ist derlei auch in anderen Ländern weit verbreitet. Hierzulande hatte es 2022 zwar von der Spitze der größten Reederei, Hapag-Lloyd, vorsichtige Kritik gegeben, leider ohne politisches Echo. In Dänemark gab es dem Magazin Hansa zufolge jüngst Rufe, einige bestehende Förderungen abzuschaffen – zum Entsetzen nationaler Reeder. Und aktuell erlitt vorige Woche in der Schweiz die geplante Einführung einer Tonnagebesteuerung vorerst Schiffbruch.

Gerade dieser Fall ist eine genauere Betrachtung wert. Denn laut einem Bericht des Recherchemagazins Reflekt geht es dort vor allem um politische Beeinflussung durch die in Genf ansässige weltgrößte Reederei, den Familienkonzern Mediterranean Shipping Company (MSC). Deren Name ist in der BRD gerade in den Schlagzeilen, weil der Hamburger Senat die Genfer gerne deutlich am lokalen Hafenbetreiber HHLA beteiligen möchte. MSC ist mit einem Marktanteil von knapp 20 Prozent die mit Abstand weltgrößte Containerreederei, besitzt die drittgrößte Flotte an Kreuzfahrtschiffen und kontrolliert zudem global noch etliche Häfen.

Reflekt enthüllte jüngst, wie MSC drastischen Druck ausgeübt habe, um auch in der Schweiz eine Tonnagebesteuerung einzuführen. Das Rechercheteam hatte, unter Ausnutzung nationalen Informationsrechts, interne Verwaltungsdokumente ausgewertet – mit sensationellem Ergebnis: MSC, so Reflekt, habe über einen Schweizer Reederverband direkt »Einfluss auf die Eidgenössische Steuerverwaltung genommen«. 2019 bereits habe ein MSC-Mitarbeiter per E-Mail gedrängelt, »man frage sich, warum der Bundesrat (die Schweizer Regierung) die Konsultationen zur neuen Tonnagesteuer noch immer nicht gestartet habe«.

Zweck einer Tonnagebesteuerung ist, wie angerissen, die Begünstigung von Reedern: Sie müssen sich keiner normalen Gewinnversteuerung unterwerfen, wie sie für andere Unternehmen gilt. Statt dessen können sie ihre Steuerschuld nur aus der Größe eines Schiffs und der Anzahl seiner Betriebstage berechnen lassen – transportierte Fracht oder erzielte Gewinne bleiben unberücksichtigt. Gerade mit Blick auf die teilweise fulminanten Profite, die viele Reedereien in jüngerer Zeit einstreichen konnten, wird diese Form von Subventionierung immer öfter kritisch gesehen. MSC veröffentlicht keine Bilanzen, aber wenn man das deutsche Beispiel (siehe Hintergrund) auf die ungleich größere Genfer Reederei überträgt, lässt sich erahnen, um wie viel Geld es in der Schweizer Debatte geht.

Laut Reflekt hat MSC einen zuvor unbedeutenden Lobbyverein »gekapert«, dort einen MSC-Steuerexperten als Generalsekretär etabliert und dann zu einem einflussreichen Reederverband umgebaut. Ausführlich dokumentiert das Magazin die direkte Einflussnahme dieser Swiss Shipowners Association auf den nach besagter E-Mail folgsam begonnenen Gesetzgebungsprozess. Heraus kam ein Gesetzentwurf, der Reflekt zufolge Verfassungsbedenken ebenso ignoriert wie Gewerkschaftswiderstand, der nachweislich Formulierungen aus dem Hause MSC wörtlich widergibt, als ungenügend kritisierte Regelungen enthält und die Folgen für den Nationalhaushalt ausklammert.

Trotzdem verabschiedete der Nationalrat (das Schweizer Parlament) das Gesetz im Dezember 2022 mit 99:85 Stimmen. Was fehlte, war die Zustimmung des Ständerats (die Kammer der Kantone). Dort konzentrierte sich der Widerstand, die Kammer zoffte sich ein Jahr lang mit Steuerverwaltung, Reederverband und weiteren Lobbyisten. Mit überraschendem Erfolg: Vorige Woche votierte der Ständerat mit 29:15 gegen das Vorhaben Tonnagebesteuerung.

»Dieses Privileg lässt sich dem Volk nicht erklären«, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung diesen Beschluss. Ob das Thema final erledigt ist, muss sich erst zeigen. Mindestens ein Nachspiel steht noch aus: Eine Nationalrätin der Grünen verlangt unter Hinweis auf die Reflekt-Enthüllungen eine Untersuchung des Zustandekommens. Zumindest aber ist die Öffentlichkeit jetzt sensibilisiert, auch für Reaktionen seitens Reederverband oder MSC.

Hintergrund: Kuhhandel für Beflaggung

Tonnagebesteuerung ist – leider – weit verbreitet. 23 europäische und mindestens sechs außereuropäische Staaten haben sie in jeweils leicht unterschiedlichen Formen. In der BRD wurde sie 1999 von der SPD-Grünen-Koalition eingeführt. Eigentlich war ein Quid-pro-quo-Deal geplant: Das neu ausgerufene »Maritime Bündnis« sollte Reeder stark begünstigen und diese sollten dafür Hunderte ausgeflaggte Schiffe zurückholen unter »Schwarzrotgold«. Daraus wurde nichts – die Reeder kassierten, die Ausflaggungsquote ging aber von 65,6 Prozent Ende 2000 erst etwas runter, dann aber wieder rauf und beträgt heute rund 85 Prozent.

Das führt zu der Frage, wie viel Geld dem Staat, also der Allgemeinheit, etwa für Infrastruktur oder Sozialleistungen, denn vorenthalten wird? Der jüngste Subventionsbericht der Bundesregierung vom August 2023 beziffert die Steuermindereinnahmen durch Tonnagebesteuerung für die Jahre 2021–2024 auf 22,58 Milliarden Euro; das sind teilweise zwar Schätzzahlen, allerdings addieren sich mehrere hundert Millionen Euro hinzu für andere Schiffahrtssubventionen.

Ein konkretes Beispiel lieferte Norbert Hackbusch von der Linke-Fraktion in Hamburgs Bürgerschaft im Jahre 2022: »Allein Hapag-Lloyd hat im Jahr 2021 bei einem Gewinn von 9,4 Milliarden Euro nur 61,3 Millionen Euro Steuern bezahlt. Das sind genau 0,65 Prozent.« Immerhin gab Hapag-Chef Rolf Habben Jansen zu, es könne eventuell »fair« sein, an diesem System etwas zu ändern.

Unfair ist auch, dass der Steuersatz für große Schiffe ein Viertel des Satzes für kleinere beträgt; und dass Tonnagebesteuerung im Unterschied zu anderen Subventionen selbst für ausgeflaggte Schiffe gewährt wird: Der Reeder gewinnt also nichts durch Rückflaggung. (bi)

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