4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 2 / Ausland
Bauernproteste in der EU

»Die Agrarpolitik des freien Marktes ist gescheitert«

Baskische Bauern protestieren gegen zu geringes Einkommen und fehlende Perspektiven. Ein Gespräch mit Unzalu Salterain
Interview: Jan Tillmanns
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Protest gegen Preisdruck, Steuern und Umweltregulierung im baskischen Lasarte (12.2.2024)

Seit mehreren Wochen finden in vielen Ländern der EU Proteste von Landwirten statt. In der Bundesrepublik war die Streichung von steuerlichen Vergünstigungen bei Kraftstoffen der Auslöser. Was löste die Proteste im Baskenland aus?

Auch im Baskenland liegen die Ursachen für die Proteste in der massiven Unzufriedenheit über die gegenwärtige Situation. Es mangelt an Einkommen und Zukunftsperspektiven für die große Mehrheit der Landwirte. Ein Aspekt, der weitgehend auf die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte zurückzuführen ist.

Können Sie genauer beschreiben, wie sich die Proteste entwickelt haben?

Im Zeitraum von mehreren Wochen konnten wir unzählige Blockaden und Demonstrationen mit Traktoren organisieren. Eindrucksvoll waren sicherlich die Traktordemos in den Provinzhauptstädten der Baskisch Autonomen Gemeinschaft. In der Provinz Bizkaia ist es uns gelungen, mehr als einhundert Traktoren vor dem Fußballstadion San Mamés zu versammeln. Gleichzeitig haben wir einen Markt abgehalten, bei dem wir der Bevölkerung lokale und nachhaltige Produkte wie zum Beispiel Lammsteaks zu fairen Preisen anboten.

Welche Forderungen und Ziele wollte Ihre Gewerkschaft ­EHNE durch die Mobilisierungen erreichen?

Das Hauptziel bestand darin, eine mehrheitliche gesellschaftliche Unterstützung für uns zu erreichen, die es uns ermöglicht, einen Dialog mit den Institutionen zu eröffnen. So können die Themen angegangen werden, für die wir auf der Straße waren. Wir haben es geschafft, einen institutionellen Dialog auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene zu beginnen. Das betrifft den Abbau von bürokratischen Regelungen sowie unsere Forderung nach einer gesetzlichen Regulation des Lebensmittelmarktes. Da die Mobilisierung in einen regionalen Wahlprozess eingebettet war, hat sie vor allem dazu gedient, die Aktionslinien einer neuen baskischen Regierung in den kommenden Jahren zu definieren. Es braucht mehr Zeit, bis wir den Dialog mit den Institutionen als Erfolg bezeichnen können, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Ich mache mir mehr Sorgen über den Ausgang der EU-Wahlen …

Können Sie Ihre Vorstellungen für eine gesetzliche Regulierung des Lebensmittelmarktes erläutern?

Eckpfeiler eines solchen Gesetzes bestünden in einer fairen Entlohnung der Erzeuger bei gleichzeitiger Kontrolle der Preise, die in der Produktionskette bis zum Endverbraucher auftreten. So könnten Regierungen gezwungen werden, den Marktmissbrauch durch multinationale Konzerne, Großhändler, Supermarktketten und weitere Akteure zu kontrollieren und zu sanktionieren.

Was ist Ihre Vision von einer »anderen« Landwirtschaft?

Die Agrarpolitik des freien Marktes ist gescheitert. Es gibt keine günstigen Lebensmittel für Verbraucher mehr. Die globalisierten Lebensmittelsysteme sind zusammengebrochen. Die Liberalisierung des Lebensmittelmarktes hat dazu geführt, dass Finanzmächte – multinationale Konzerne, Investmentfonds und andere – in Lebensmittel investieren und damit Spekulationsprozesse in Gang setzen, die unmittelbar den Anstieg der Lebensmittelpreise bewirken. Die Alternative zu diesem System ist die Verlagerung der Lebensmittelsysteme, die Förderung eines Modells der landwirtschaftlichen Produktion mit höherer Widerstandsfähigkeit durch Agrarökologie und die Formulierung einer öffentlichen Politik, in der die Lebensmittel im Mittelpunkt stehen.

Was bedeutet das konkret?

Für die EHNE in Bizkaia muss die öffentliche Beschaffung von Lebensmitteln eine der Achsen sein, die als Hebel für einen Wandel im Lebensmittelsystem fungieren. Wir schlagen vor, dass die öffentliche Beschaffung von Lebensmitteln durch baskische Institutionen – Krankenhäuser, Wohnheime, Schulkantinen – innerhalb von fünf Jahren zu 40 Prozent und bis 2034 zu 70 Prozent aus lokalen Lebensmitteln bestehen soll. Wir müssen einen Übergangsprozess für alle Erzeuger formulieren, unabhängig vom Produktionsmodell, in dem sie installiert sind. In diesem Prozess müsste die Agrarökologie als Methode für den Übergang zu einer nachhaltigen Produktion angewendet werden.

Unzalu Salterain arbeitet als Gewerkschaftssekretär bei der baskischen Landwirtschaftsgewerkschaft EHNE (Euskal Herriko Nekazarien Elkartasuna)

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