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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 8 / Ansichten

Müde und tüchtig

Debatte um »Krieg einfrieren«
Von Arnold Schölzel
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»Mützenich verkörpert die angestrebte Harmonie von Kriegsmüdigkeit und -tüchtigkeit, damit das Sterben von Ukrainern und Russen erst einmal weitergehen kann …«

Nach fünf Tagen reichte es also dem Kanzler, und er tat die ganze Debatte ums »Einfrieren« oder mit der deutschen Präzisionswaffe TAURUS Moskau und Russland beschießen als »peinlich für uns als Land« ab. Das Wutgebrüll der hemmungslos kriegstüchtigen TAURUS-Fans über den Verrat des angeblich kriegsmüden Rolf Mützenich wird er damit nicht stoppen. Will er auch nicht, sondern beides zugleich: Müdigkeit und Tüchtigkeit. Da Frieden als Vokabel im offiziellen deutschen Sprachgebrauch nicht mehr existiert, schon gar nicht einer mit Russland oder China, wurde das Unwort durch »Besonnenheit« ersetzt. Besonnen ist, wer von Mützenich nicht das »einfrieren« übernimmt. Das tun weder Scholz noch sein Kriegstüchtigkeitsminister Boris Pistorius, beide aber verteidigen dennoch den SPD-Genossen. Mützenich, sagt Scholz, unterstütze ihn nämlich hervorragend. Einig sei er sich mit ihm, dass Kiew so lange geholfen werde wie nötig – also Milliarden und Abermilliarden Euro aus dem deutschen Staatssäckel erhält. Denn Mützenich verkörpert die angestrebte Harmonie von Kriegsmüdigkeit und -tüchtigkeit, damit das Sterben von Ukrainern und Russen, eingeschlossen einige Franzosen, Briten, Deutsche und andere, erst einmal unbegrenzt weitergehen kann, zugleich aber Putin das Signal erhält: Keine Angst, der TAURUS erwischt dich nicht.

Der russische Pelz wird durchlöchert, ohne ihn zu pulverisieren – so sieht moderne sozialdemokratische Kriegführung 110 Jahre nach 1914 aus. Außerdem: 66 Prozent sagen bei Umfragen, dass sie gegen ­TAURUS-Lieferungen an Kiew sind? Und nur die Wähler von Grünen und FDP sind mehrheitlich dafür? Kann nur heißen: Mindestens bis zum nächsten Wahltag am 9. Juni dürfen sich die 66 Prozent über »Besonnenheit« von der SPD freuen, die anderen sind ohnehin an Brugger und Strack-Zimmermann verloren. Das Wutgeblöke gilt nur zum Teil Mützenich, viel mehr dem Wahlkampfmeisterstück des Besonnenheitskanzlers. Von Frieden darf aber, wie gesagt, auch bei der SPD keine Rede sein. So etwas hat Mützenich daher nicht in den Mund genommen. Das überlebt politisch keiner mehr.

Die »Einfrier«-Gegner können Waffenstillstand oder gar Frieden nicht mal ignorieren. Sie heizen ihren Wählern, die nach TAURUS rufen, klimawandelmäßig ein. Am Montag abend mobilisierte die Völkerrechtlerin und Historikerin Annalena Baerbock auf X noch einmal gegen Putin: »Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen.« Baerbock begreift sich schon längst als verkörperter Sprengkopf, der dem russischen Huhn den Kopf abreißt. Die Gefolgschaft nicht nur des »grünen« Herrenvolks ist ihr sicher.

Es ist Wahlkampfzeit und da wird getrennt marschiert. Aber dass der Russe gemeinsam geschlagen werden muss, bleibt – müde und tüchtig. Die Koalition wird den 9. Juni überstehen.

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (20. März 2024 um 11:52 Uhr)
    Der Gedanke liegt nahe, dass ein gottloser Landsknechtehaufen, samt Marketenderinnen und hoher Minne (gemeint sind etablierte PR-Medien) in Bataillonsstärke den Deutschen Bundestag eroberten. Der wird nicht in der Lage sein, das nach britischem und mongolischen ehemals drittgrößte Reich der Weltgeschichte (Russisches Kaiserreich) zu unterwerfen. Geführt vom Don Quichotte aus Übersee, dem deutschen Sancho Pansa und der polnischen Dulcinea. »Mit einer Frontalattacke gegen das sogenannte Bürgergeld holt die CDU zum Schlag gegen Arme aus«, schreibt Ralf Wurzbacher. Wohnraum brauchen Arme und Soldaten nach dem Selbstverständnis der CDU zukünftig vermutlich nicht in Deutschland. Neuland ruft in Litauen zur deutschnationalen Bewährung und Besiedlung und ein Dr. Eisenbart macht das Gesundheitsministerium »Kriegsfest« für Soldateska aus der Ukraine. Kinder finden oft weder Krankenhaus noch Ärzte. Es ist völlig klar, dass ein alliiertes Kriegsvolk, das nach 20 Jahren im wilden Afghanistan scheiterte, nicht in der Lage sein wird, jenen russischen Vielvölkerstaat gefügig zu machen. Dem neuen vermeintlich Roten Zaren wird es übrigens eben sowenig gelingen, den Staatenbund Europa zu unterwerfen. Wenn nicht an Sprachbarrieren (nicht nur Ostfriesen sprechen kein Russisch) würde so ein Unterfangen an rebellischen Krankenpflegerinnen, demonstrierenden Traktor –, Lastwagenlenkern oder Handwerkern scheitern, die ihre Blutsauger (EU-Staatenlenker) von den Schultern werfen wollen. Abgesehen davon, dass Wälder und Gebirge solches Ansinnen ausschließen. Es bräuchte zu viele russische Soldaten, die vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft mit Adidas in die europäische Menschengemeinschaft »eingepflegt« werden, was unter dem Begriff Fraternität bekannt ist. Spätestens am Ballermann scheitert jede Putin-Invasion. An der Ostfront jeder europäische Ampel-Überfall. Wiederholen wir den größten Friedenszug aller Zeiten »Schwerter zu Pflugscharen« im Osten, Friedensbewegung »Pershing raus« im Westen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. März 2024 um 09:55 Uhr)
    Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, ist bekannt für seine Sanftmut, aber auch für seine Entschlossenheit, wenn es um seine Überzeugungen geht. Als promovierter Friedensforscher war er bisher ein Befürworter der Entspannungspolitik. Obwohl er vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erschüttert wurde, hat er seine Ostpolitik nicht grundlegend in Frage gestellt. Es ist nicht überraschend, dass Mützenich darüber nachdenkt, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine einzufrieren, um den Krieg zu beenden. Dies sollte jedoch im Kontext politischer Überlegungen betrachtet werden, insbesondere mit Blick auf kommende Wahlen. Die Frage, ob Kiew den Krieg siegreich beenden kann, ist angesichts der russischen Übermacht unrealistisch. In Kriegszeiten herrscht grenzenlose Gewalt, während im Frieden Begrenzung und Proportion herrschen sollten. Ein Kompromiss wird unausweichlich sein und Zugeständnisse auf beiden Seiten erfordern. Letztendlich enden alle Kriege mit diplomatischen Verhandlungen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (20. März 2024 um 17:53 Uhr)
      »Letztendlich enden alle Kriege mit diplomatischen Verhandlungen.« Tut mir leid, lieber Istvan Hidy, wenn Sie schon diesen albernen Gemeinplatz bedienen, sei die Frage gestattet, welche Verhandlungen denn bitte dem jeweiligen Ende der beiden Weltkriege vorausgingen. Soweit mich meine Geschichtskenntnisse nicht im Stich lassen, endeten diese mit der bedingungslosen (!) Kapitulation der unterlegenen Partei – konkret: Deutschlands. Ich kann diese hohle Floskel einfach nicht mehr ertragen; sie stammt aus der Feder von Leuten, die sich anmaßen, Kriege anzuzetteln und zu befeuern, unter der Hybris, dass sie es sein werden, die zu gegebener Zeit Bedingungen diktieren. Dieselben Schmierfinken haben aber offenbar in Geschichte gepennt, denn es ist ihnen entgangen, dass man der Logik des Krieges, wenn er einmal entfesselt, nicht durch wohlfeile Worthülsen entkommen kann, zumal wenn einer Partei (hier: Russland) jedes Vertrauen in Verträge, durch dieselbe vernichtende Maßnahme (z. B. Minsk II, NATO-Osterweiterung trotz gegenteiliger Zusagen, einseitige Kündigung von Abrüstungsverträgen etc.) genommen wurde. Dieser Krieg wird demzufolge, meiner bescheidenen Meinung nach, zwar »am Verhandlungstisch« enden aber nur um dort eine im Blut des Verlierers handgeschriebene bedingungslose Kapitulation zu unterzeichnen. Der Witz am »Verhandlungstisch« ist nämlich, dass implizit jedem bei Verstand klar ist, dass dieser sonst (!) für gewöhnlich Verhandlungen dient, jedoch in solchen Situationen lediglich als feste Schreibunterlage. Von daher ist die Phrase, die sonst immer lautet: »Alle Kriege enden am Verhandlungstisch(!)«, ja auch vollkommen korrekt. Wer drauf reinfällt, ist eben selbst schuld.
      P.S.: Übrigens sind Kriege das Ergebnis gescheiterter (!) Diplomatie, was im vorliegenden Fall klarer nicht sein könnte. Welchen Weg soll es also innerhalb der Kriegslogik (!) geben, zu ihr zurückzukehren? Noch dazu, wenn westliche »Diplomaten« sich aufführen wie der Elefant im Porzellanladen. Die vom Völkerrecht Kommende hat z.B. an ihr Diplomatenkorps die Losung ausgegeben, ruhig mit deutlichem und besonders markigem Vokabular bei den »zum Völkerrecht zu Bringenden« aufzutreten (https://www.nachdenkseiten.de/?p=103079); also quasi die Antithese von Diplomatie! Nicht besser sieht es bei denen auf der anderen Seite des großen Teichs aus, von den Briten ganz zu schweigen und erst recht von der Ukraine, die so Kaliber wie Andreij Melnyk zum diplomatischem Rap Battle schickt. Der »Spitzendiplomat« Walerij Saluschnyj, General a.D., Kriegsverbrecher und Architekt der aktuellen Schlachtfeldsituation, ist jetzt Botschafter in London. Noch Fragen?
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (22. März 2024 um 11:03 Uhr)
        Für mich stehen »diplomatische Verhandlungen«, wie sie beispielsweise bei der Konferenz von Jalta stattfanden, keineswegs für demokratische Prozesse, bei denen alle Kriegsparteien einbezogen werden. Als jemand, der in Ungarn aufgewachsen ist, erinnere ich mich lebhaft an die Folgen des Friedensdiktats von Trianon und was es für Ungarn bedeutete. »Wehe den Besiegten!« – Dieses Prinzip scheint in der Diplomatie stets zu gelten.
      • Leserbrief von Franz Döring (21. März 2024 um 12:37 Uhr)
        Ja! Was wäre für Russland gewonnen, wenn sie die Ukraine militärisch besiegt hätte? Ein verwüstetes Land und ein Hinterland voller Partisanen, eine um Schweden und Finnland erweiterte, hochgerüstete NATO an allen Westgrenzen, geschwächte kommunistische Parteien in Europa, weil Putin die rechtsradikalen Parteien unterstützt. Das russische Ansehen vor allem in Osteuropa wäre irreversibel gestört! Finden Sie das alles belanglos und richtig?
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (21. März 2024 um 16:39 Uhr)
          Zunächst ging und geht es für Russland nicht direkt um einen Sieg in der Ukraine, sondern darum, dass die Alternativen noch schlechter gewesen wären. Aber das wissen Sie bereits. Ich wiederhole mich ungern, deshalb verweise ich auf meine anderen an Sie gerichteten Leserbriefe diesbzgl. Russland interessieren die kommunistischen Parteien an der Stelle auch überhaupt nicht; das ist ein Luxusproblem, zumal man selbst ja nicht mehr kommunistisch ist. Und Sie sind auch immer noch Beweise für »Putins« angebliche Unterstützung rechtsradikaler Parteien schuldig; die Propaganda von den Scharfmachermedien zählt leider nicht, also bitte Butter bei die Fische. Schweden und Finnland werden auch noch merken, dass sie sich keinen Gefallen getan haben, insbesondere Finnland. Bis zu dessen Beitritt zur NATO waren die Beziehungen zu Russland beiderseits prächtig. Mittlerweile hat Russland den Militärdistrikt St. Petersburg als Reaktion aufgebaut und die Grenze, die vorher quasi grün (eher weiß wegen Schnee) war, wird nun militarisiert. Bei einem heißen Konflikt werden diese Militärzwerge auch nicht viel zu lachen haben, denn sie haben sich freiwillig und ohne Not als Schlachtfeld angeboten. Man hätte seine Neutralität behalten und nicht auf die irrationalen Angstmacher hören sollen. Übrigens fing es bei der Ukraine auch damit an, dass diese ihre Verfassung änderte, um eben jene Neutralität zu streichen (https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/508099/standpunkt-neutralitaet-als-option/). Just saying.
          • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude, Russland (22. März 2024 um 09:26 Uhr)
            »Schweden und Finnland werden auch noch merken, dass sie sich keinen Gefallen getan haben, insbesondere Finnland.« Finnland errichtete sofort nach der Unabhängigkeit 1918 Konzentrationslager für Anhänger der Bolschewiki in denen ca. 10.000 Menschen ermordet wurden. »Humaner« Weise wurde allerdings zuvor die notwendige Anzahl Waisenhäuser gebaut. Getötet wurden nur Männer und Frauen. Der finnische Präsident Mannerheim, der später ein Verbündeter Hitlers war, gab das auch zu (!), log jedoch, er hätte davon nichts gewusst. Ähnliche faschistische Bewegungen gab es auch in den baltischen Staaten. Die Aufnahme eines Gesprächs zwischen Hitler und Mannerheim belegen neben der faschistischen Thematik übrigens, dass Hitler sich in vollkommen ruhigem und verständnisvollen Tonfall wie jeder Alltagsmensch am Kaffeetisch unterhalten konnte. Alles andere bei ihm war einstudierte Show. Millionenfaches Töten war normal und wurde in freundlicher Konversation geplant. Ebenso normal ist es, dass im EU-Land Finnland Denkmäler dieses Faschisten Mannerheim stehen und SS-Aufmärsche im Baltikum stattfinden dürfen. Finnland merkte im Zweiten Weltkrieg etwa zeitgleich wie Italien, dass die UdSSR den Krieg gewinnt. Beide Länder sprangen als Verbündete Deutschlands ab und verließen das sinkende Schiff. Das klappt aber beim nächsten Mal nicht. Aus der NATO kann man zwar auch austreten, wie General de Gaulles bewies. Doch nicht alle Länder haben das Gewicht Frankreichs. Die USA werden zu den Finnen dann sagen: »April, April. Das Hotel ist gebucht (14 USA-Militärbasen). Wen wir von dort aus womit beschießen, ist unsere Sache.« Den gleichen Grund hat auch der neue Mammut- US-Stützpunkt in Rumänien. Die USA sind ein Gast, der nie wieder freiwillig geht. Ich möchte nicht in der Haut der Finnen stecken, welche im Augenblick manipuliert noch für die NATO sind. Das Nachbarschaftsverhältnis zu Russland war seit 1945 nahezu problemlos. Mit Schweden gab es 200 Jahre keinen Krieg.

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