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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 5 / Inland
Gesundheitspolitik

Klinik weg, kein Ersatz

Studie widerlegt Darstellung, wonach Versorgung nach Standortschließungen weiter gewährleistet sei. Lauterbach-Reform verschärft Kapazitätsnöte
Von Ralf Wurzbacher
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Relikte nach Klinikkahlschlag: Fachärztliche Utensilien wie Stethoskope

Die Alarmsirenen schrillen: Am Wochenende legte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Referentenentwurf für seine »große Krankenhausreform« vor. Kritiker sehen darin den Generalplan für einen systematischen Klinikkahlschlag. Die Versorgung werde sich »sehr stark in den größeren Krankenhäusern und verdichteten Regionen konzentrieren«, bilanzierte am Montag die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Vor allem den künftig zu sogenannten Level-1i-Einrichtungen, sprich »sektorenübergreifenden Versorgungszentren« umzuwandelnden Standorten drohe die Abwicklung, warnte am Dienstag das »Bündnis Klinikrettung«. Konkret geht es um 358 Hospitäler, die künftig nur noch ambulanten Charakter und keine Notfallabteilung mehr haben sollen. Die Aktivisten fürchten, dass davon allein 300 früher oder später von der Bildfläche verschwinden werden.

Wie kommen sie darauf? Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verspricht für alle geschlossenen Häuser Ersatzlösungen, sogar mit qualitativem Mehrwert in der Breite. Nimmt man die Erfahrungswerte der zurückliegenden vier Jahre, erscheint das wie Augenwischerei. In einer am Dienstag per Onlinepressekonferenz vorgestellten Analyse hat das Bündnis die Folgen der Schließung von insgesamt 66 Allgemeinkrankenhäusern seit 2020 nachgezeichnet. In 51 gingen für immer die Lichter aus, womit in 77 Prozent der Fälle die stationären Betten vollständig wegfielen, 7.632 an der Zahl. Erhalten blieben lediglich 1.059 Betten, entweder infolge der Umwandlung in kleinere Fachkliniken oder durch Verlagerung an andere Standorte. Komplett kompensiert wurde der Verlust an Kapazitäten nur bei drei Schließungen, wobei die Betten auch hier »ganz oder teilweise« an andere Stelle »umgezogen« sind. Die Konsequenz: »Geschätzt 400.000 Menschen mehr« erreichten das nächste Krankenhaus nicht mehr innerhalb einer Fahrzeit von maximal 30 Minuten.

Für die Autoren der Studie ist das eine »verheerende Bilanz«. Mit Klinikschließungen gingen in aller Regel massive Kapazitätsverluste einher und sehr häufig kämen entgegen anderslautender Ankündigungen keine Ersatzlösungen zustande. Und wo dies doch passiere, stellten diese »keinen angemessenen Ersatz für Allgemeinkrankenhäuser mit Notfallversorgung« dar. Gemäß der Untersuchung entstand nach erfolgter Schließung in einem Drittel der Fälle gar kein neues Angebot vor Ort. In nur knapp 30 Prozent der Fälle sei der Bau von Gesundheitszentren in Angriff genommen worden, wobei diese nach Fertigstellung »nur unzureichend ausgestattet« seien. Alternativ wären Alten- und Pflegeheime (neun Prozent), Ärztehäuser oder Tageskliniken (vier Prozent) sowie Fach- und Rehakliniken aufgetaucht. Gerade Menschen auf dem Land werden im Zuge dieser Entwicklung von einer Rundumversorgung abgeschnitten. Statt dessen blüht ihnen einen Spießrutenlauf von einem Spezialisten zum nächsten.

Bei akuten Ereignissen sei die schnellstmögliche Hilfe entscheidend, äußerte sich Bernd Hontschik, Facharzt für Chirurgie und Buchautor, während der Onlinepressekonferenz. »Zentralisierte Krankenhäuser mit großartigen personellen und technischen Voraussetzungen helfen nicht, wenn der Patient sie nicht mehr erreicht.« Nur da, wo an die Stelle einer Klinik ein Gesundheitszentrum tritt, bestehen laut Studie überhaupt Regelungen zur Notfallversorgung. Alternativ greift allenfalls noch der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen. In kleinstädtischen und ländlichen Regionen mit akutem Ärztemangel sei dieses reduzierte Angebot aber »nicht rund um die Uhr gewährleistet«. Massive Versorgungslücken beziehungsweise riesige Anfahrtswege für Betroffene gibt es schon heute im Bereich der Geburtshilfe. Laut der Studie sind die entsprechenden Abteilungen in den untersuchten 66 Fällen ohne Ausnahme »völlig verlorengegangen«. Dabei verfügt schon heute nur mehr ein Drittel aller Krankenhäuser über eine Entbindungsstation.

Lauterbachs Reformpläne verschlimmerten diese Missstände noch, mahnten die Aktivisten. Die Bundesregierung müsse dringend finanzielle Hilfen für bedrohte Häuser bereitstellen und alle geplanten Abwicklungen stoppen. »Statt Zentralisierung braucht es einen Wiederaufbau verlorengegangener Krankenhäuser.«

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