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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 2 / Ausland
Milei gegen Pressefreiheit

»Der Angriff gilt letztlich allen Medien«

Argentinien: Regierung will staatliche Nachrichtenagentur Télam schließen. Ein Gespräch mit Tomás Elíaschev
Interview: Frederic Schnatterer
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Proteste vor dem Gebäude der Nachrichtenagentur Telam (Buenos Aires, 4.3.2024)

Wie steht es aktuell um die von der Schließung bedrohte staatliche Nachrichtenagentur Télam in Argentinien?

Es ist beklemmend, wir sind sehr in Sorge. Wir Beschäftigten sind seit Anfang März von unserer Arbeit freigestellt. In Mails wurde uns mitgeteilt, dass wir nicht an unseren Arbeitsplätzen erscheinen müssen, während wir weiter bezahlt werden. Wir wollen aber arbeiten, weshalb wir trotzdem jeden Tag aufs neue zur Agentur gehen.

Erst kürzlich hat Präsident Javier Milei erneut betont, dass Télam für ihn bereits Geschichte sei. Das wollen wir selbstverständlich verhindern. Wir haben zwei Protestcamps errichtet, am vergangenen Wochenende haben wir ein Musikfestival organisiert.

Was würde die endgültige Schließung von Télam für Argentinien und die argentinische Presselandschaft bedeuten?

Das wäre ein sehr harter Schlag für die Presse in Argentinien. In einem so großen Land wie dem unseren ist die Presse, ebenso wie die politische Macht, in Buenos Aires zentralisiert. Die Schließung von Télam wäre zunächst ein Attentat gegen den Föderalismus: Viele Regionen des Landes würden in der Berichterstattung nicht mehr vorkommen, sie würden auch an viele Infos nicht mehr herankommen. Die Nachrichtenagentur ist fundamental für die Entwicklung der Medien unseres Landes, sowohl in den Provinzen als auch in der Hauptstadt, sowohl für kleine als auch große Medien. Abgesehen davon, dass er die Pressefreiheit angreift, beraubt sich der Staat zudem der Möglichkeit, öffentliche Kampagnen durchzuführen.

Einige Beschäftigte gründeten das Onlineportal »Somos Télam«, also »Wir sind Télam«, um weiter zu arbeiten. Wie haben Sie als Gewerkschafter auf die Ankündigung von Milei reagiert?

Wir als Gewerkschaft der Pressearbeiter in Buenos Aires, Sipreba, haben gemeinsam mit den anderen Teilgewerkschaften der Fatpren sehr energisch reagiert. Wir fordern, zu unseren Arbeitsplätzen gelassen zu werden. Wir wollen arbeiten. Am ersten Tag nach der Ankündigung von Milei, haben wir dazu aufgerufen, Télam symbolisch zu umarmen. Wir haben eine Menschenkette um die Zentrale in Buenos Aires gebildet. Wichtige Gewerkschaftsführer haben daran teilgenommen, ebenso wie Vertreter von sozialen Bewegungen, von Menschenrechtsgruppen, Akademiker- und Studierendenorganisationen und viele mehr. Das zeigt, dass wir viel Unterstützung haben.

Nicht nur Télam ist in Gefahr. Wie lässt sich die Position der Milei-Regierung gegenüber der staatlichen Presse, aber auch der Presse allgemein charakterisieren?

Milei hat die Presse zu seiner Feindin erklärt. Journalisten greift er ununterbrochen an. Wenn ein Journalist etwas sagt, das Milei nicht gefällt, schickt er seine Trollarmee los, um den Journalisten in den sozialen Medien zu attackieren. Er selbst agiert wie ein Troll, indem er Andersdenkende und insbesondere Frauen öffentlich attackiert und beleidigt. Auch wenn Milei vor allem die staatlichen Medien angreift, gilt der Angriff letztlich allen Medien. Milei ist die freie Ausübung von Journalismus ein Dorn im Auge.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen für Journalisten und andere Pressemitarbeiter seit dem Amtsantritt von Milei am 10. Dezember 2023 konkret verändert?

Sie sind immer schlechter geworden. Bereits zuvor waren unsere Löhne sehr niedrig. Viele Kolleginnen und Kollegen leben in Armut. Einige brauchen mindestens vier Jobs, um über die Runden kommen zu können, um genug zu essen zu haben oder eine Wohnung mieten zu können. Es gibt immer weniger Arbeitsplätze, die Inflation ist enorm.

Hinzu kommen die Aggressionen, von denen ich bereits gesprochen habe. Sie können durchaus auch körperlich werden. Während der Proteste gegen das sogenannte Omnibusgesetz Anfang Februar sind mehrere Kollegen mit Gummischrot, mit Knüppeln und mit Tränengas angegriffen worden. 25 Journalisten wurden damals verletzt, während sie ihren Job gemacht haben. Es kommt also viel zusammen: physische Gewalt, symbolische Gewalt in den sozialen Medien und eine sehr schlechte Wirtschaftslage.

Tomás Elíaschev arbeitet bei der staatlichen Nachrichtenagentur Télam und ist Mitglied der Pressegewerkschaft von Buenos Aires (Sipreba). Sipreba ist Teil der Argentinischen Vereinigung der Pressearbeiter (Fatpren)

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