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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 1 / Inland
Armut in der BRD

»Wachsende Ungleichheit« in Deutschland

Europarat prangert zunehmende Verarmung in BRD an und kritisiert Sozialpolitik der Ampelkoalition
Von Raphaël Schmeller
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Arm trotz Arbeit: 2022 wurden in Deutschland in 19 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse Niedriglöhne gezahlt

Die Armut in Deutschland hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen – das hat der Europarat jetzt offiziell gerügt. In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht prangert die Organisation die »wachsende Ungleichheit« in der Bundesrepublik an, »die in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes« stehe. Die zuständige Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatović hob in diesem Zusammenhang vor allem die zunehmende Verarmung von Kindern und älteren Menschen hervor.

Entsprechend scharf kritisierte Mijatović in ihrem Bericht die Sozialpolitik der Bundesregierung. Sie forderte die Ampel auf, mit »umfassenden Maßnahmen« gegen die Wohnungsnot vorzugehen. Um Obdachlosigkeit zu verhindern und zu beseitigen, seien umfassende und langfristige Maßnahmen notwendig, etwa Änderungen im Mietrecht. Notwendig sei eine »menschenrechtsbasierte Wohnstrategie«. Zudem müssten die zahlreichen Hindernisse beim Zugang zu sozialen Rechten beseitigt werden.

Ein weiterer Kritikpunkt im Bericht der Menschenrechtskommissarin ist die Situation von Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Bei deren Rechten habe es insgesamt nur begrenzte Fortschritte gegeben. Inklusion und Teilhabe seien in vielen Bereichen nicht möglich. Gründe dafür sieht Mijatović im mangelnden politischen Engagement und in zwar gut finanzierten, aber ausgrenzenden Strukturen wie Behindertenwerkstätten, Förderschulen oder Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen. Ein selbstbestimmtes Leben könne so nur schwer verwirklicht werden. Statt dessen seien inklusive Strukturen notwendig.

Aus Berlin hieß es lediglich, man teile »die Sorgen der Kommissarin hinsichtlich der steigenden Zahl wohnungsloser Menschen in Deutschland«, und verwies darauf, dass erstmals beschlossen worden sei, einen nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Wohnungslosigkeit zu verabschieden. Die Zahlen zeigen jedoch, dass die Ampel in diesem Bereich ihren eigenen Zielen weit hinterherhinkt. Nach Angaben des Mieterbundes fehlen derzeit mehr als 910.000 Sozialwohnungen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. März 2024 um 10:26 Uhr)
    Die eindringlichen Worte von Europaratskommissarin Dunja Mijatović in ihrem Bericht über Deutschlands Sozialsystem werfen ein bedenkliches Licht auf die von der SPD geführte Ampelregierung. Soziale Rechte, die als Grundprinzipien europäischer Sozialpolitik gelten, werden in Deutschland offenbar nicht als rechtlich verbindlich angesehen. Die Ampelregierung scheint sie lediglich dann zu berücksichtigen, wenn gerade ausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen. In der politischen Prioritätenliste rangiert das deutsche Sozialsystem hierzulande bedauerlicherweise weit unten.