4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Metal

Keinen Deut schlechter

»Invincible Shield«, das 19. Studioalbum von Judas Priest
Von Frank Schäfer
11.jpg
Ökonomie der Verschwendung: Judas Priest (Santiago de Chile, 2022)

Mitte der Siebziger unterzieht sich der Hard Rock einem sonischen Verfeinerungsprogramm. Black Sabbath, Led Zeppelin, Deep Purple und all die anderen wollen zeigen, dass noch mehr dazu gehört, als ein paar simple Riffs zu schrubben. Das hatten sie zwar längst bewiesen, aber jetzt musste es plötzlich Kunst sein. Am deutlichsten zeigen das Led Zeppelin bei »Kashmir«. Die Strings und Bläser, die exotischen Mellotron-Arabesken strafen alle Verächter Lügen, die Led Zeppelin immer noch als bloße Heavy-Band abtun wollen. Sogar Black Sabbath sind jetzt plötzlich »progressiv« und laden ein Orchester ins Studio ein, Deep Purple wären am liebsten gleich eine Fusion-Band. Es gibt wie immer eine Gegenbewegung – den forcierten Reduktionismus der AC/DC-Schule. Die Australier sind ein heilsamer Schock, ein Antidot gegen die Überfeinerung des Genres, spielen simplen Blues und Boogie, aber mit der unerbittlichen Härte und verschwenderischen Energie des Punk.

Und dann gibt es die harte Nieten-und-Leder-Masche von Judas Priest. Die Engländer sind zunächst an der Domestizierung des Hard Rock durchaus beteiligt, mit ihren zweistimmigen Melodiesoli und den auf Schönklang setzenden, nicht ganz unvertrackten Kompositionen, aber sie suchen einen Ausweg und finden ihn eben nicht in der Simplifikation – sondern in der Eskalation. Rob Halfords Gesang wird extremer, keifender, sie ziehen das Tempo an und erhöhen die Impulsdichte. Das alles beginnt mit »Let Us Prey / Call for the Priest« vom 1977er Album »Sin After Sin«, einem Song, der nicht zuletzt durch das Double-Bass-Geballer bereits die Umrisse des modernen Metalformats ausstanzt. Und spätestens bei der für damalige Verhältnisse anständig gedroschenen Schlussnummer »Dissident Aggressor« wissen dann wirklich alle, wohin die Reise geht. Auf den beiden folgenden Alben aus dem Jahr 1978, »Stained Class« und »Killing Machine«, sind sie eine komplette Metalband in Volledermontur. Nicht nur der Sound, auch ihr Outfit beeinflusst das Genre maßgeblich. Als im Jahr darauf die New Wave of British Heavy Metal als das nächste große Ding ausgerufen wird und Raven, Samson, Praying Mantis und nicht zuletzt Saxon und Iron Maiden erste Erfolge feiern, können sie sich mit einigem Recht als Vorreiter der Bewegung auf die Schulter klopfen lassen.

Aber auch Judas Priest können der Versuchung nicht widerstehen und lassen sich irgendwann weichspülen: Ihr 1986er Album »Turbo« soll mit aller Macht den US-Markt knacken. Aber vergeblich die Mühe, statt dessen verprellt es die Priest-Puristen. Die vielen Gitarrensynthesizerspuren verwandeln ihre Riffs in etwas erstaunlich gefälliges und zeigen damit den Metalheads ein Ideechen zu deutlich, dass ihre Musik im Kern auch bloß Popmusik ist und nicht das Urböse, das direkt aus der Hölle kommt. Soviel Desillusionierung kommt selten gut an. Vielleicht müsste langsam mal einer eine Lanze brechen für das Album, das mit dem Titelsong »Turbo Lover« oder »Rock You All Around the World« ein paar richtige Hookmonster auf Tasche hat und mit einem konservativeren Sound sicher als weiteres kanonisches Werk rezipiert worden wäre. Ich habe diese These mal bei der Vereinsfeier der Iron Balls Braunschweig vorgebracht und bin dann bald nach Hause gegangen.

Vollständig rehabilitieren sich Judas Priest erst wieder mit »Painkiller« (1990), dem Album, das noch einmal, wie es der Metal-DNA entspricht, ganz auf Steigerung setzt und die Band mit dem Speed Metal kokettieren lässt. Hier sind sie ein vorerst letztes Mal völlig einer Meinung mit der Szene, und die Souveränität, die sie in der folgenden Tour an den Tag legen, kann schlicht nicht mehr größer werden. Die Iron Balls machten einen Familienausflug und sahen sie am 12. Februar 1991 in der Eilenriedehalle zu Hannover. Rob Halford kam an den Bühnenrand geschlendert, blieb breitbeinig stehen in seinem kettenbehängten, schwerstvernieteten Lederschwulen-Ornat und sang den Opener »Hell Bent for Leather« völlig bewegungslos, mit dem linken Arm sein Gesicht schützend, als sei er geblendet von der eigenen Strahlkraft oder als müsse er vor dem Elend der Welt die Augen bedecken. Dreieinhalb Minuten Stasis. Natürlich war das eine komplett alberne, grenzenlos übertriebene Pathosgeste, aber Scheiß der Hund drauf, mein Vordermann drehte sich um zu mir, völlig ungläubig. »Alter, ich hab ’ne Erektion!« Robert Halford hatte die Crowd im Griff, heißt es dann ja immer, aber das stimmt nicht, er musste sie gar nicht im Griff haben, sondern einfach nur dastehen. Er konnte sich schlicht alles erlauben.

Bald danach geht Heavy Metal den Bach runter und mit ihm Judas Priest. Die Band wird älter, nimmt Alben auf, die sich natürlich alle kaufen, aber keiner mehr hört, man trennt sich für eine Weile, kommt wieder zusammen und verliert sich in prätentiösem, fulminant langweiligem Konzeptmetal. Schließlich versuchen sie ihren klassischen Sound wiederzubeleben, aber so richtig klappt das erst, als Andy Sneap auf den Plan tritt. Sneap ist ein großer Produzent und ein noch viel größerer Priest-Fan. Mit ihm ist alles wie früher. Ihr erste Kollaboration »Firepower« (2018) enthält dann auch kein bloßes Gebretter mehr, das den Jüngeren sowieso leichter von der Hand geht, sondern Hymnen, die einen durch die tiefe Nacht begleiten, Refrains, die nicht mehr den Umweg über das Zerebrum machen müssen, sondern sich gleich mit dem vegetativen Nervensystem verbinden, und Hammerslogans, die der Heldentenor Halford mit der ihm eigenen Intensität ins Langzeitgedächtnis meißelt. »Rising from Ruins«, genau!

Ihr neues Album, erneut von Sneap produziert, ist keinen Deut schlechter. Die erste Singleauskopplung »Panic Attack« hat die Judas-Priest-Orthodoxie in Aufregung versetzt, weil die 80er Synthies ein bisschen zu offensichtlich an »Turbo« erinnern. Aber es können alle beruhigt sein, »Invincible Shield« ist eine beeindruckend stimmige Melange aus »Screaming for Vengeance« und »Defenders of the Faith« mit ein paar Zutaten »Painkiller«, natürlich heißgemacht für die Jetztzeit. Wegen seiner Parkinsonerkrankung kann Leadgitarrist Glenn Tipton nur mehr sporadisch auf der Bühne stehen, als Songwriter jedoch ist er unentbehrlich. Das beweist dieses Album, das noch einmal Melodram, Eingängigkeit und Härte in eine suggestive Form gießt und mindestens vier weitere Singles vorhält. »Invincible Shield« ist zu lang wie alle Alben der Ikonen in letzter Zeit, aber auch nicht so sehr wie die der Konkurrenz.

Judas Priest: »Invincible Shield« (Columbia/Sony)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Mehr aus: Feuilleton