Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 16 / Sport

Strafbefehl für Sozialarbeiter

Fanprojekte fordern Zeugnisverweigerungsrecht. Kundgebung vor Justizministerium in Berlin
Von Oliver Rast
imago1018777096h.jpg
Jubiläum: Die rebellische Kurve in Feuer- und Feierlaune (Karlsruhe, 12.11.2022)

Dichte Rauchschwaden in blau-weiß, dazu Raketenfontänen und Böller. Es war eine pyro­nale Megashow am 12. November 2022 im Wildparkstadion. Der Anlass: Geburtstagsparty zum 20. Jahrestag der Ultrà-Gruppe »Rheinfire 2002« des Karlsruher Sportclubs (KSC). Auf dem Zaunbanner entlang der Fankurve stand: »Raufen, saufen, Händel suchen – 2002–2022«. Aktive Fans wohl auch mit barockem Opernfimmel für die alljährlichen Festspiele in Karlsruhe für den Komponisten.

Zum Kick: Den zweitklassigen Heimauftritt der Badener gegen den FC St. Pauli hatte Schiri Florian Lechner wegen des Tohuwabohus im Block erst verspätet antrillern können, 15 Minuten nach eins. Ausgang: Sechs Tore in Halbzeit eins, gleich verteilt; und zwei in zwei, Remis 4:4. Spektakuläres auf dem Rasen, auf den Rängen. Mit Folgen, Kollateralschäden nämlich.

Zehn Zuschauer hatten sich während der kolossalen Pyrochoreo verletzt, mussten teils notärztlich wegen des Verdachts auf Rauchvergiftung behandelt werden. Beschäftigte des Fanprojekts Karlsruhe baten Ultravertreter Tage später zum internen Plausch. Ein Versuch, pädagogisch zu regulieren. Davon bekam wiederum die ermittelnde örtliche Staatsanwaltschaft Wind. Die emsigen Anwälte zur Durchsetzung der Staatsautorität forderten die Fanprojektler auf, auszusagen. Dies verweigerten jene – trotz verhängtem Ordnungsgeld – mit Verweis auf die zugesagte Vertraulichkeit der Gespräche. Die Staatsanwälte ließen nicht locker, drohten gar mit Beugehaft, um Aussagen zu erzwingen. Dazu kam es nicht. Aber dazu: Die Betroffenen hätten nun »Strafbefehle wegen Strafvereitelung in Höhe von jeweils 120 Tagessätzen à 60 Euro« erhalten, teilte das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit (BfZ) am Freitag abend mit.

Der Einzelfall in Karlsruhe könnte zu einem Präzedenzfall werden – und sei dann eine »eklatante Bedrohung der Sozialen Arbeit insgesamt«, wird Georg Grohmann, Sprecher des BfZ, im Statement zitiert. Die Weitergabe »sensibler Informationen« an die Staatsanwaltschaft war für die Fanprojektler keine Option, »eine mögliche Schließung des Fanprojekts aufgrund von Vertrauensverlust eine realistische Folge«, heißt es weiter. Das Problem: Zwar unterliegen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen der strafrechtlichen Schweigepflicht und Geheimhaltung, ein Zeugnisverweigerungsrecht indes fehlt. Das moniert auch Linda Röttig: »Die Arbeit der Fanprojekte ist ein hohes Gut. Sie geben Fußballfans geschützte Räume für ihr Engagement und stehen mit Rat und Tat zur Seite«, betonte die Sprecherin des Dachverbands der Fanhilfen am Sonnabend in einer Soli-Erklärung. Selbst aus dem Bundestag kommt Unterstützung. Philip Krämer (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte am Freitag via X den Erlass der Strafbefehle und sagte, Sozialarbeit benötige endlich ein Zeugnisverweigerungsrecht.

Um den Druck dafür zu verstärken, ruft das BfZ für Dienstag, dem Internationalen Tag der Sozialen Arbeit, zu einer Kundgebung von 15.30 bis 17.30 Uhr vor dem Bundesjustizministerium in Berlin auf – Motto: »Vertrauen schützen« – damit Stunk um Pyronales klubintern bleibt.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Mehr aus: Sport