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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Kitsch im Regen

Halber Bierdeckel: Jade Halley Bartletts dusseliges Softpornodebüt »Miller’s Girl«
Von André Weikard
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Feuchter amerikanischer Traum? Nein, bloß Jenna Ortega

Irgendwann einmal wird eine »künstliche Intelligenz« (KI) Drehbücher schreiben. Und egal, was dabei herauskommt, es wird kaum generischer, aufgeblähter, hohler sein können als Jade Halley Bartletts seelenloses Debüt »Miller’s Girl«. Der Plot passt auf einen halben Bierdeckel: Gelangweilte Schülerin flirtet mit ihrem Literaturprofessor, und als der nicht auf ihre Avancen eingeht, hängt sie ihm einen Übergriff an. Weil die Me-too-Debatte der vergangenen Jahre mitschwingt, galt das Drehbuch vor seiner Verfilmung als eines der aussichtsreichsten, der in Hollywood umhergereichten. Gelesen haben es anscheinend wenige. Sonst wäre dieser Mythos schnell in sich zusammengefallen.

»Miller’s Girl« ist eine auf Spielfilmlänge gedehnte Version von Britney Spears »Hit Me Baby One More Time«. »Wednesday«-Star Jenna Ortega gibt den Vamp in Schulmädchenuniform. In kniehohen Strümpfen, Männerhemden und Hotpants oder ultrakurzem Kleid, bläst sie Rauch aus dem halboffenen Mund, räkelt sich auf dem Lehrerpult und nuckelt an Lollies. Das sommersprossige Gesicht mit dem offenen Haar, Marke Uschi Obermaier, liegt gerne schief. Cairo Sweet, so heißt der »blaue Engel« 2024, sagt es selbst zu ihrer ebenso lasziven Freundin: »Wir sind der feuchte amerikanische Traum.«

Das pubertäre Früchtchen trifft auf den Exhobbit und Ex-Sherlock-sidekick Martin Freeman. Sein Filmcharakter trägt den nicht weniger dusseligen Namen Jonathan Miller, eine plumpe Anspielung auf den »Sexus«-Skandalautor Henry Miller, den Cairo Sweet vergöttert. Der Tweed-Jacket-Träger nimmt sich der Koketten an, weil sie ihm einigermaßen talentiert erscheint. Außerdem hat sie seinen Roman gelesen. Sie sagen einander auswendig gelernte Textstellen ins Gesicht. Sie aus seinem Buch, er aus ihrem Aufsatz. Wen diese Art von Dirty Talk nicht bereits abgeturnt hat, dem setzt Bartlett noch die Szenen einer lustlosen Ehe Millers vor – in Gestalt einer dauerbetrunkenen Frau, die Tag und Nacht in Büstenhalter und Negligé am Küchentisch vor ihrem Laptop hockt.

In diesem als »Erotikthriller« beworbenen Film, von dem schwer zu entscheiden ist, welchem dieser beiden Genres er weniger gerecht wird, kulminiert die Groschenromantik in zwei unsäglich schlechten Szenen. In der einen masturbiert das Millerchen heimlich in der Gartenlaube zu einer anzüglichen Kurzgeschichte seiner Studentin. In der anderen empfängt sie ihn, im Abendkleid auf der Veranda stehend, bei sich zu Hause. Er bleibt staunend stehen. Es regnet. Weil er es nicht macht, geht sie einen Schritt auf ihn zu. Es kommt zum unvermeidlichen Kuss im Regen.

Zwischen den Kitschexzessen werden nichtssagende Zitate eingestreut, wie sie ein Poesiespruchzufallsgenerator an seinem lustlosesten Tag hätte ausgespuckt haben können. Für die Erzählung sind sie, wie die meisten Dialoge, überflüssig. Die Handlung ist ein einziges Stilleben und kommt nie über die anfangs beschriebene Bierdeckelskizze hinaus. Trotz der intellektuellen Kulisse gelingt es dem 90Minüter, jede Berührung mit aktuellen Debatten um Sexualität und Macht zu verfehlen. Der Jenna-Ortega-Softporno versumpft statt dessen im Rekapitulieren von Genreklischees. Darunter eine Reihe von Szenen, in denen der tumbe Mr. Miller sich ausdauernd von Frauen wegen seiner Mittelmäßigkeit beschimpfen lassen muss. Mag sein, dass solche Szenen beim ein oder anderen Zuschauer Verzückung auslösen. Jenseits von Masochistenkreisen wird der Film aber schwerlich ein Publikum finden.

Miller’s Girl, Regie: Jade Halley Bartlett, USA 2024, 93 Min., bereits angelaufen

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