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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Mikrofinanzbranche

Minischritt gegen Kredithaie

Nepal: Regierung kündigt Untersuchungskommission wegen gravierender Überschuldung an
Von Thomas Berger, Manila
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Bauern und kleine Gewerbetreibende wehren sich gegen Abzocker und Absahner (Kathmandu, 23.2.2024)

Kehrt an der Protestfront gegen Kredithaie in Nepal Ruhe ein? Zumindest kündigte Innenminister und Vizepremier Rabi Lamichhane vergangene Woche an, dass ein Vierpunktekatalog, auf den sich Regierung und Aktivisten nach zweitägigen Verhandlungen geeinigt hatten, nun zügig umgesetzt werden soll. Die Vereinbarung sieht unter anderem vor, dass die Regierung eine dreiköpfige Untersuchungskommission einsetzt, um kriminellen Geldverleihern das Handwerk zu legen. Dabei sollen nicht nur Kredithaie, sondern auch in die Kritik geratene Mikrofinanzinstitutionen und Kooperativen mit kriminellen Geschäftspraktiken ins Visier genommen werden, heißt es.

Darüber hinaus hat die Regierung versprochen, die Abhängigkeit armer Bevölkerungsschichten von Kreditgebern durch mehr Sozialhilfe zu verringern. Außerdem sollen Gesetzesänderungen in Bezug auf Mikrokredite geprüft werden. Abadesh Prasad Kisha­waha von der Organisation »Kampfkomitee« kündigte an, dass die Demonstranten, die aus verschiedenen Teilen des Landes in die Hauptstadt Kathmandu gekommen waren und seit mehr als zwei Wochen auf ihre Probleme aufmerksam gemacht hatten, ihre Protestaktionen einstellen würden.

Die Untersuchungskommission hat den Auftrag, Kreditverträge daraufhin zu überprüfen, ob die Kreditgeber beispielsweise überhöhte Zinsen verlangen oder Druck auf die Kreditnehmer ausüben, damit diese Dokumente unterzeichnen, die nicht die tatsächlichen Bedingungen wiedergeben. Kriminelle Fälle sollen dann an staatliche Behörden oder die Justiz weitergeleitet werden. Das Problem: Eine ähnliche Kommission gab es bereits unter dem früheren Obersten Richter Gauri Bahadur Karki, wie die Kathmandu Post Ende vergangener Woche berichtete. Sie habe ihre Aufgabe zwar ernst genommen, aber am Grundproblem wenig ändern können.

Die Karki-Kommission, die Anfang April 2023 nach monatelangen Protesten eingesetzt worden war, hatte Mitte Dezember ihren Abschlussbericht vorgelegt. In den achteinhalb Monaten ihrer Tätigkeit hatte sie mehr als 27.500 Beschwerden untersucht und in 5.188 Fällen durch Mediation eine Einigung erzielt, wodurch die von den Gläubigern geforderte Gesamtschuld von 7,62 Milliarden Rupien auf 1,72 Milliarden Rupien reduziert werden konnte.

Karki hatte gegenüber der Presse erklärt, dass es »in vielen Fällen eine Verbindung zwischen politischen Führern und Geldverleihern« gebe. Geldverleiher hätten oft politische Patronage, während es für den ärmeren Teil der Bevölkerung fast unmöglich sei, Kredite von Banken zu bekommen, die ihr Geld nur in viel größeren Summen an die Reichen verleihen würden. Skandalös sei auch, so der ehemalige Chefrichter, dass sich beispielsweise Menschen, die eine Arbeit im Ausland annehmen, dafür vorher verschulden müssten.

Die Hochzeit der Tochter (in Nepal müssen die Eltern der Braut für die Kosten des Festes aufkommen), medizinische Notfälle oder krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit: Es gibt viele Anlässe, die arme Nepalesen in die Fänge von Kredithaien treiben, die ihr Geschäft mit verlockenden Versprechungen, Wucherzinsen und Druck bei ausbleibender Rückzahlung betreiben. Analphabeten – mehr als ein Drittel der rund 30 Millionen Nepalesen kann nicht lesen – oder wenig Gebildete verstehen zudem kaum die Dokumente, die sie unterschreiben.

Auch der Mikrofinanzsektor, einst als Ausweg aus dieser Krisensituation in vielen Ländern des Südens gepriesen, hat in Nepal inzwischen einen denkbar schlechten Ruf. Viele Institute treiben in teils krimineller Weise die Kreditsummen so in die Höhe, dass sie von den Schuldnern realistischerweise kaum mehr zurückgezahlt werden können. Allein in der nepalesischen Provinz Sudurpaschim haben sich in den vergangenen zwei Jahren 78 Menschen das Leben genommen, weil sie ihre Kredite an Mikrofinanzinstitutionen nicht zurückzahlen konnten.

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