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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Sabotage an Pipeline

Gasprom klagt

Versicherer wollen nicht für Schäden durch den Sprengstoffangriff auf die Nord-Stream-Gasleitungen zahlen
Von Knut Mellenthin
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Verweigerungshaltung: Niemand will für die finanziellen Folgen des Sabotageaktes aufkommen

Um den nach wie vor unaufgeklärten Sprengstoffangriff vom 26. September 2022, bei dem drei der vier Stränge der Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 erheblich beschädigt und dauerhaft unterbrochen wurden, war es in den letzten Monaten auffallend still geworden. Jetzt könnte in den fast schon kalten Fall neue Bewegung kommen: Wie in der vergangenen Woche zuerst durch einen Bericht der Financial Times bekannt wurde, hat das Betreiberkonsortium der Pipelines, die Nord Stream AG, bereits im Februar beim Londoner High Court eine Klage gegen mehrere in England ansässige Versicherungen eingereicht. Das in der Schweiz registrierte Konsortium will die Gegenseite auf dem Rechtsweg zwingen, für die Schäden an den Leitungen annähernd 400 Millionen Euro zu zahlen. Unter den Beklagten ist mit dem Lloyd’s of London der führende Versicherungsmarkt der Welt.

Die Nord Stream AG ist eine im Dezember 2005 zum Zweck des Baus der Pipeline Nord Stream 1 gegründete Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Der russische Konzern Gasprom hält mit 51 Prozent die Aktienmehrheit. Beteiligt sind außerdem die deutsche Wintershall Dea AG und mehrere andere internationale Unternehmen. Davon zu unterscheiden ist die 2015 für den Bau der zweiten Pipeline gegründete Nord Stream 2 AG. Sie ist ebenfalls in der Schweiz ansässig, befindet sich aber zu 100 Prozent im Besitz von Gasprom.

Welche der beiden Firmen jetzt wirklich als Klägerin auftritt oder warum nicht beide klagen, ist aufgrund der mageren Fakten, die bisher bekannt sind, nicht eindeutig festzustellen. Unklar bleibt auch, wie die in den Medien gemeldete Klagesumme von rund 400 Millionen Euro errechnet wurde. Die Nord Stream AG hatte zu einem früheren Zeitpunkt die Kosten für die Entfernung des eingedrungenen Meerwassers aus den beschädigten Leitungen, für die Reparaturen und für die Stabilisierung des Betriebs der Pipeline zusammen mit dem Wert des durch die Explosionen entwichenen Gases auf 1,2 bis 1,35 Milliarden Euro geschätzt. Das scheint sich nur auf Nord Stream 1 bezogen zu haben, stellt also nicht die geschätzte Summe des Gesamtschadens dar. Bisher bewegen sich die genannten Zahlen weitgehend im Reich der Theorie, da Gasprom kein Interesse an Reparaturmaßnahmen hat, solange es aufgrund der westlichen Sanktionen keine Abnehmer für das russische Erdgas gibt, dass durch die Nord-Stream-Pipelines transportiert werden könnte.

Allein für den Bau der ersten Pipeline, die im Oktober 2012 vollständig in Betrieb genommen wurde, mussten nach Angaben der Nord Stream AG 7,4 Milliarden Euro ausgegeben werden, die zu 30 Prozent von den Beteiligten des Konsortiums und im übrigen auf dem internationalen Kapitalmarkt aufgebracht wurden. Projekte dieser außerordentlichen Größenordnung erfordern ein kompliziertes Geflecht von Versicherungen, Zusatzversicherungen und Rückversicherungen zwischen mehreren Großunternehmen der Branche.

Dass es Probleme bei der Zahlung von Entschädigungen geben würde, war schon bald nach dem Sprengstoffangriff vom 26. September 2022 Gegenstand von Erörterungen in den Medien, die allerdings durch einen Mangel an Informationen beeinträchtigt wurden. So ist anscheinend nicht einmal bekannt, welche Schadensursachen durch das Konglomerat an verschiedenen Versicherungen und Zusatzversicherungen grundsätzlich und bis zu welcher Höhe abgedeckt sind. Auch über die von den Versicherern angeführten Gründe für die Verweigerung von Entschädigungszahlungen und über den genauen Inhalt der im Februar auf den Weg gebrachten Klage der Nord Stream AG ist noch nichts bekannt: Beide Seiten des Rechtsstreits reagierten nicht auf Anfragen der Medien oder lehnten einen Kommentar ohne Begründung ab.

Ermittlungen zu den Angriffen auf die Nord-Stream-Pipelines wurden in Deutschland, Schweden und Dänemark eingeleitet. Stockholm hat im Februar deren Einstellung wegen Unzuständigkeit mitgeteilt, da schwedische Staatsangehörige weder als Geschädigte noch als Tatverdächtige in Betracht kämen.

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