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Aus: Ausgabe vom 16.03.2024, Seite 8 / Inland
Tag gegen Polizeigewalt

»Die Bagatellisierung ist für viele nicht nachvollziehbar«

Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt beobachtet schwindendes Vertrauen in Institution Polizei. Ein Gespräch mit Biplab Basu
Interview: Hendrik Pachinger
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Das Bündnis »Justice 4 Mouhamed« hat in Dortmund zur Demonstration für den von Polizisten niedergeschossenen Senegalesen Mouhamed Dramé aufgerufen (19.11.2022)

Immer wieder bringen veröffentlichte Bilder von brutalen Polizeieinsätzen Menschen dazu, auf die Straße zu gehen. Der 15. März gilt auch als internationaler Tag gegen Polizeigewalt. Welche Bedeutung hat dieses Datum für Sie und Ihre Gruppe?

Sowohl Reach Out als auch KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, jW) unterstützen seit langem Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Ethnizität oder Sprache von der Polizei rassistisch behandelt werden. Irgendwann gab es dann aus dem Ausland eine Anfrage, ob wir den 15. März als Tag gegen Polizeigewalt auch hier in Deutschland begehen wollen. Nach langen Überlegungen haben wir uns dafür entschieden, mit dem besonderen Schwerpunkt auf rassistische Polizeigewalt. In diesem Jahr fokussieren wir auf unsere Kampagne »Go film da Police«.

Worauf wollen Sie damit aufmerksam machen?

Diese Kampagne soll Menschen dazu animieren, das Vorgehen der Polizei zu filmen bei Kontrollen oder Gewalt, wenn diese als ungerechtfertigt wahrgenommen werden. Da heutzutage nahezu alle ein Smartphone besitzen, ist das Dokumentieren einfach möglich – auch, um Gerichten Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Die Videos können bei der Feststellung helfen, ob es sich um ungerechtfertigte Gewalt gehandelt hat und ob die Beamten rassistisch vorgegangen sind. Viele Zeugen, aber auch Betroffene fragten sich, wo sie solche Aufnahmen hinschicken können und haben sich deshalb an uns gewandt.

In Deutschland wurde der 15. März vor allem von polizeikritischen Gruppen, wie der KOP initiiert. Sehen Sie eine gesamtgesellschaftlichen Wandel?

Der gesellschaftliche Blick auf die Arbeit der Polizei ist in den letzten, vermutlich zehn Jahren kritischer geworden. Ihre Arbeit wird nicht mehr als neutral wahrgenommen, auch wenn es in Deutschland ein übermäßig großes Vertrauen in die Polizei gibt. Doch es bröckelt, auch was die Darstellung in Justiz, Medien und Politik betrifft. Die häufige nachträgliche Bagatellisierung und Legitimierung ist für viele nicht nachvollziehbar. Daher gehen immer mehr gegen diese Zustände auf die Straße.

Woher kommt die Erosion des Vertrauens in die Polizei?

Ein Punkt ist sicherlich, dass die Leute im Alltag beobachten können, wie die Polizei mit Sinti und Roma, Muslimen, schwarzen Menschen oder Geflüchteten umgeht.

Und welche Maßnahmen müssten aus Ihrer Sicht ergriffen werden, um Polizeigewalt effektiv zu bekämpfen?

Es gibt eine Vielzahl an Maßnahmen, die Institutionen ergreifen müssten. Die wichtigste ist vermutlich eine Bewusstseinsänderung. Denn die leitenden Ebenen müssen verstehen, dass es das Problem der Gewalt überhaupt gibt. Und zum anderen braucht es einen anderen Umgang mit Fehlern. Es kann ja nicht das übliche Vorgehen sein, dass bei Bekanntwerden von Fällen gemauert und direkt gesagt wird, dass es auf keinen Fall so sein könne wie von den Betroffenen geschildert.

Vor kurzem gab es eine Studie des Berliner Senats zur dortigen Polizei. Dabei kam heraus, dass es in der Berliner Polizei keinesfalls institutionellen Rassismus geben könne, maximal ein oder zwei rassistische Beamte. Das ist das Mauern, von dem wir sprechen. Solche Studien sind nicht nur unglaubwürdig, sondern sie schaden auch nur den Behörden selbst. Wenn sie das Problem ständig verleugnen, können die Zustände nicht geändert werden – und das ist, was wir wollen. Wir fordern eine Rechenschaftspflicht der Beamten.

Wie stellen Sie sich eine Rechenschaftspflicht der Polizisten vor?

Möglich wäre das mit einer Kennzeichnungspflicht, wie sie in Berlin bereits eingeführt wurde. Die ist aber leider noch nicht niedrigschwellig genug, da viele sich die Dienstnummern in Stresssituation kaum merken können. Sinnvoller wäre es, wenn die Beamten eine Art Visitenkarte dabeihätten mit ihrer Dienstnummer und der Information, an welche Stelle man sich bei Beschwerden wenden kann. Davon sind wir aber leider noch weit weg. Die zuständigen Stellen glauben, alles, was die Polizei macht, wird schon richtig sein.

Biplab Basu ist aktiv in der Berliner Beratungsstelle »Reach Out« für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

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