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Aus: Ausgabe vom 16.03.2024, Seite 6 / Ausland
UK

Extremismus neu definiert

UK: Palästina-Solidarität und Umweltaktivisten im Visier. Harsche Kritik an »undemokratischem« Schritt
Von Dieter Reinisch
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Betroffene Gruppen sollen sich nicht mit Politikern treffen können (London, 9.3.2024)

Extrem sind nur die anderen: Am Donnerstag hat die britische Regierung ihre Extremismusdefinition aktualisiert. Dadurch können propalästinensische Organisationen als »extremistisch« eingestuft und radikale Umweltschützer wie »Just Stop Oil« ins Visier genommen werden. Auch Parlamentarier und Staatsangestellte dürfen dadurch nicht mehr mit propalästinensischen oder Klimaprotestlern sprechen oder sie finanziell unterstützen.

In seiner Rede im britischen Parlament am Donnerstag nannte Minister Michael Gove gleich eine Reihe von Organisationen, die die Regierung aufgrund ihrer »islamischen Ausrichtung« mit der neuen Definition »zur Rechenschaft ziehen« wolle. In einer früheren Erklärung begründete Gove die Aktualisierung der Definition damit, dass man »auf das Zunehmen des Antisemitismus« reagieren wolle. Weiter gab er an, es gebe einen Anstieg des Extremismus seit Beginn des Gazakriegs, dieser stelle »eine echte Gefahr« für Großbritannien dar. Die neue Definition solle von Regierungsstellen und Beamten verwendet werden, um »extremistische Organisationen, Einzelpersonen und Verhaltensweisen« zu identifizieren. Organisationen oder Einzelpersonen, die zur Liste hinzugefügt werden, können keine staatlichen oder öffentlichen Mittel mehr erhalten.

Auch in vielen Städten Großbritanniens sind seit dem 7. Oktober Demonstrationen in Solidarität mit den Menschen im Gazastreifen organisiert worden. Mehrmals zogen Hunderttausende Menschen durch die Hauptstadt London und forderten einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende der britischen Waffenlieferungen an Israel. Bei den Demonstrationen treten immer wieder auch linke Abgeordnete wie Jeremy Corbyn und Gewerkschaftsvertreter als Redner auf. Mit Hilfe der neuen Definition will die britische Regierung das wohl verhindern.

Neun Gewerkschaften haben die Regierung und die oppositionelle Labour-Partei daher aufgefordert, die Nennung der Palestine Solidarity Campaign (PSC) auf der Liste extremistischer Organisationen zurückzuweisen. Die Gewerkschaften schrieben in einer Erklärung, die am Dienstag von Labour List veröffentlicht wurde, dass »die Förderung der Menschenrechte und der demokratischen Teilhabe Kernprinzipien unserer Gewerkschaften sind«. Sie seien stolz auf die Arbeit, die die »PSC zur Förderung dieser Werte leistet«. Mick Whelan, Generalsekretär der Lokführergewerkschaft ASLEF, forderte von der Regierung »einen sofortigen Waffenstillstand, damit dringende Hilfe nach Gaza gebracht werden kann«. Doch »statt dessen widmet sie ihre Energie der Dämonisierung der Solidaritätsbewegung und der PSC«, beschwerte sich Whelan.

Auch der Muslim Council of Britain (MCB), die größte muslimische Interessenvertretung in Großbritannien, bezeichnete den Plan in einer Presseerklärung am Mittwoch als »undemokratisch«. Zara Mohammed, Generalsekretärin des MCB, zeigte sich besorgt: »Während die Regierung ihre fragwürdigen Vorschläge vorantreibt, fragen sich viele von uns: Aus welchen Gründen werden diese Gruppen als extremistisch eingestuft, und wird es rechtliche Möglichkeiten geben, solche von der Regierung auferlegten Entscheidungen anzufechten?«

Tribune-Redakteur Taj Ali kritisierte am Freitag in der BBC, dass die neuen Gesetze die Islamophobie weiter schüren würden. »Im Alter von zwölf Jahren wurde mir von den Lehrern gesagt, ich solle zu Hause bleiben, weil die (faschistische, jW) English Defence League in der Stadt ist.« In den vergangenen Jahren seien seine Mutter und Schwestern Opfer islamfeindlicher Hassverbrechen geworden. »Wenn Politiker und Journalisten Muslime dämonisieren, werden unsere Gemeinschaften unter den Konsequenzen leiden«, so Taj Ali weiter. Er stellte auch eine Verbindung zu den vermehrten islamophoben Straftaten in Großbritannien her.

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