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Aus: Ausgabe vom 16.03.2024, Seite 1 / Titel
Krieg in Gaza

Kein Ausweg aus Rafah

Gaza: Netanjahu befiehlt Offensive im Süden. Hilfesuchende und Helfer im Visier der israelischen Armee. Kritik vom Chef der US-Demokraten im Senat
Von Wiebke Diehl
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Nach dem Angriff des israelischen Militärs auf ein Hilfsgüterlager im Flüchtlingslager Al-Nuseirat (14. März)

Die Lage im Gazastreifen wird zunehmend katastrophaler. So steht die vielfach angekündigte israelische Offensive auf die Stadt Rafah bevor, in der 1,5 Millionen Menschen Zuflucht gesucht haben. Zunächst hatten unter anderem Äußerungen des Armeesprechers Shalicar darauf hingedeutet, der am Freitag behauptete, man werde Zivilisten an »sichere Orte bringen«, wie man es »auch in den letzten Monaten gemacht« habe. Am Nachmittag billigte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Angaben seines Büros die Pläne für einen Militäreinsatz in Rafah. Die Gesundheitsbehörden Gazas meldeten derweil, mehr als 31.300 Palästinenser seien seit Beginn des Kriegs getötet worden – 70 Prozent davon Frauen und Kinder.

Auch am Donnerstag abend wurden im nördlichen Gazastreifen nach Angaben der Hamas mindestens 20 Menschen durch Granatenbeschuss »aus Panzern und Hubschraubern« getötet, während sie am »Kuwait«-Kreisverkehrsplatz, wo schon am Vorabend sechs Personen von israelischen Soldaten erschossen worden waren, auf humanitäre Hilfslieferungen warteten. Bei einem israelischen Luftangriff auf ein Hilfsgüterverteilzentrum im Lager Al-Nuseirat seien mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. Die israelische Armee hingegen behauptete am Freitag mittag, »bewaffnete Palästinenser« hätten die Schüsse abgegeben.

Schon am 29. Februar hatte das israelische Militär alle Anschuldigungen von sich gewiesen, nachdem 118 Palästinenser beim sogenannten Mehlmassaker getötet worden waren. Es habe sich um eine Massenpanik gehandelt, so die Behauptung, die später zumindest teilweise revidiert werden musste, weil die Mehrzahl der Toten Schussverletzungen aufwiesen. Israelische Angriffe auf humanitäre Helfer und Hilfesuchende haben zuletzt zugenommen. Schon Ende Dezember hatte das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge UNRWA von 140 getöteten Mitarbeitern gesprochen. Wie die WHO Anfang Januar mitteilte, waren bis zu diesem Zeitpunkt außerdem über 600 medizinische Einrichtungen im Gazastreifen und im Westjordanland gezielt angegriffen und unzählige Krankenwagen zerstört worden.

Am Freitag vormittag traf das erste aus Zypern kommende Schiff mit Hilfsgütern nach drei Tagen Fahrt vor der Küste Gazas ein. Den 2,4 Millionen Einwohnern droht nach Einschätzung des Welternährungsprogramms (WFP) eine Hungersnot. Die »Open Arms« der gleichnamigen spanischen Nichtregierungsorganisation schleppt einen Lastkahn mit 200 Tonnen Lebensmitteln. Diese erste Lieferung gilt als Test, ob die Nahrungsmittel vor der Küstenenklave, die über keinen adäquaten Hafen verfügt, überhaupt über die eigens errichtete schwimmende Anlegestelle entladen werden können. Der Bau eines provisorischen Hafens, den die US-Regierung angekündigt hatte, wird mindestens mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Hilfsorganisationen kritisieren die Hilfen auf dem Seeweg und den Abwurf von Hilfspaketen aus der Luft als ineffektiv und fordern statt dessen eine Ausweitung der von Israel blockierten Lkw-Transporte.

Scharfe Kritik an Benjamin Netanjahu übte am Donnerstag (Ortszeit) der Chef der US-Demokraten im Senat, Charles »Chuck« Schumer. Der enge Verbündete von Präsident Joseph Biden und ranghöchste US-Politiker jüdischen Glaubens, der Israel stets unterstützt hat, nannte den israelischen Premier ein »Hindernis für den Frieden« und forderte Neuwahlen in Israel. Denn, so Schumer, Israel könne »nicht überleben, wenn es zum Pariah wird«.

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (16. März 2024 um 22:30 Uhr)
    Die Hamas trägt die Schuld an diesem Terroranschlag gegen wehrlose Menschen. Doch die Vorgeschichte seit 1948 sparen die Mainstreammedien in der Regel aus. Sie zu erwähnen, wird gesetzlich als angebliche Rechtfertigung sogar unter Strafe gestellt, ähnlich wie beim Ukraine-Krieg. Man lässt die Geschichte willkürlich an bestimmten Daten beginnen, wo es der eigenen politischen Richtung genehm ist und unterdrückt die Erwähnung des Restes. Natürlich haben die Palästinenser seit 1948 ungleich mehr Opfer und Unterdrückung zu beklagen als umgekehrt die Israelis. Bereits das steht in keinem Verhältnis zu den Taten der Gegenseite, nicht nur die jetzige Reaktion Israels. Das ist kein Whataboutismus. Auch die Polizei muss immer die Verhältnismäßigkeit der Mittel beim Schusswaffengebrauch beachten. Ein Polizist, der das nicht tut, kommt vor Gericht. Hinzu kommen sieben Punkte, die dann vor dem IStGH mit bewertet werden müssten: Erstens: Die Hamas wurde von Israel über Jahre finanziert und gefördert, speziell unter Netanyahu. Zweitens: Von der ägyptischen Regierung und anderen Informationsquellen kamen eine Woche vor dem Anschlag Informationen, welche die israelische Regierung vorwarnten. Drittens: Entgegen diesen Vorwarnungen wurden sogar militärische Kräfte von der Grenze zu Gaza ins Westjordanland abgezogen, diese damit ungeschützt gemacht, sodass sich die palästinensische Seite bei dem Anschlag wunderte, was denn da eigentlich los sei. Viertens: Es ist absolut unglaubhaft, dass es nicht möglich war, eine der am besten geschützten Grenzen der Welt mit einer der am besten ausgebildeten Armeen der Welt vor einem Anschlag der Hamas zu schützen, von dem man vorher wusste. Fünftens: Warum wurde ein Jugendfestival nach (!) der Vorwarnung aus Ägypten an diese Grenze verlegt? Sechstens: Warum traf Hilfe erst nach sieben Stunden ein? Siebentens: Israel erhebt Anspruch auf das gesamte Territorium. Brauchte jemand für tabula rasa vor der Welt eine Begründung?

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