4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 12 / Thema
Drogenpolitik

Raus aus der Grauzone

In den Niederlanden darf in einigen Orten seit Ende des vergangenen Jahres legal Marihuana verkauft werden. Die Maßnahme dient der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität
Von Gerrit Hoekman
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Erstmals wirklich legal: Gesundheitsminister Ernst Kuipers gemeinsam mit den Bürgermeistern von Tilburg, Theo Weterings, und Breda, Paul Depla (v.l.n.r.), bei der öffentlichen Vorstellung des Experiments der geschlossenen Coffeeshop-Ketten (Breda, 12.12.2023)

Am 15. Dezember 2023 konnten Kiffer zum ersten Mal in den Niederlanden legal gezogenes Cannabis kaufen. Das Experiment, das der Staat über Jahre akribisch vorbereitet hatte, startete in den Städten Breda und Tilburg. Dort soll getestet werden, ob es möglich ist, eine durchgehend legale Kette zwischen Anbau, Lieferung und Verkauf aufzubauen. Was viele außerhalb der Niederlande nämlich gar nicht wissen: Bis jetzt ist der Verkauf von Marihuana und Haschisch in den offiziell etwa 570 sogenannten Coffeeshops nur geduldet. Anbau und Lieferung sind aber verboten.

»Ziel des Experiments ist es herauszufinden, ob und wie Züchter qualitätskontrolliertes, entkriminalisiertes Cannabis an Coffeeshops liefern können«, erklärt die Regierung auf ihrer Internetseite Rijksoverheid.nl. »Entkriminalisierung bedeutet, dass die Gesetzgebung so geändert wurde, dass die Herstellung, der Vertrieb und der Verkauf im Rahmen des Experiments nicht mehr strafbar sind.« Der Test ist auf vier Jahre angelegt. Neben Breda und Tilburg haben die beiden verantwortlichen Ministerien für Justiz und für Gesundheit acht weitere Städte ausgewählt: Arnhem, Almere, Groningen, Heerlen, Voorne aan Zee, Maastricht, Nijmegen und Zaanstad. Wann das Experiment dort beginnt, ist allerdings immer noch unklar.

Staatlich gezüchtet

Alle Coffeeshops in diesen Kommunen müssen an dem in der vergangenen Legislaturperiode per Gesetz beschlossenen Experiment »Gesloten Coffeeshopketen« oder kurz »Wietwet« (Gras- oder Cannabisgesetz) teilnehmen. Sie werden von staatlich geprüften und kontrollierten Cannabiszüchtern beliefert. 42 Firmen hatten sich um die Aufgabe beworben, zehn davon wurden Anfang Dezember 2023 per Los ausgewählt. Auf diese Weise will der Staat die Produktion von Cannabis besser kontrollieren und auch einer schlechten Qualität der Produkte vorbeugen. Die zukünftigen Anbaubetriebe müssen unter anderem darlegen, wie sie ihre Pflanzen und Produkte vor Diebstahl schützen wollen. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich die kriminelle Drogenmafia nicht so einfach aus dem einträglichen Geschäft verdrängen lässt. Angriffe auf die legalen Betriebe, in welcher Form auch immer, sind nicht auszuschließen.

Die Hauptstadt Amsterdam hätte auch gerne an dem Experiment teilgenommen. Das Kabinett Rutte IV empfahl am Ende der letzten Legislaturperiode, den Stadtteil Amsterdam-Oost als elften Standort in die Liste aufzunehmen. Dazu wäre eine Änderung des »Wietwet« nötig gewesen, in dem nur zehn Kommunen vorgesehen waren. Das Ergebnis der Parlamentswahl im November 2023, das eine konservative Mehrheit hervorbrachte, verringerte aber den politischen Rückhalt für das Experiment. Anfang März stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten gegen die Ausweitung auf Amsterdam-Oost. Die christdemokratische CDA, die protestantische Christenunie und die calvinistische SGP halten wenig von dem »Wietwet«. Auch der Nieuw Sociaal Contract (NSC) von Pieter Omtzigt und die Boer-Burger-Beweging (BBB) sind skeptisch.

Die sogenannte Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten und Wahlsiegers Geert Wilders legte einen eigenen Antrag vor, in dem sie verlangte, den gesamten Test zu beenden. »Kein Experimentieren mit unserer Jugend«, zitierte die niederländische Nachrichtenagentur APN am 29. Februar den PVV-Abgeordneten René Claassen. »Welches Signal wollen wir als Staat aussenden? Dass Drogengebrauch normal ist oder dass wir gesund leben und aufwachsen müssen?« Der Vorschlag der rechtspopulistischen PVV erhielt aber keine ausreichende Unterstützung im Parlament. Abbrechen wollen die meisten Abgeordneten das erst im Dezember begonnene Experiment (noch) nicht. Inzwischen ist es aber möglich, dass es bei Breda und Tilburg als Testorte bleibt und die anderen ausgewählten Kommunen nicht mehr teilnehmen dürfen.

»Das Experiment verbessert überhaupt nicht den Zugang junger Menschen zu Drogen, es entzieht Kriminellen lediglich die Verteilung und Produktion«, widersprach Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema (Groenlinks) laut der Tageszeitung Het Parool am 5. März den Argumenten der Gegenseite. Die geplante Legalisierung der Lieferkette schütze vielmehr die öffentliche Gesundheit. »Wer den Cannabiskonsum besser kontrollieren will, muss auch die Hintertür überwachen.« Die Reaktion der Coffeeshops in Amsterdam-Oost ist gemischt: »Manche sind enttäuscht und manche sind froh«, berichtete der Verband des Cannabiseinzelhandels der Internetseite AT5 am 6. März.

Paul Depla, der sozialdemokratische Bürgermeister von Breda, bedauert laut der niederländischen Nachrichtenagentur ANP am 6. März ebenfalls, dass Amsterdam-Oost nicht am Wiet-Experiment teilnehmen darf, »weil es eine einzigartige Gegend mit vielen Cafés ist«. Dem Experiment wäre damit sehr geholfen gewesen, so Depla. Der Bürgermeister ist jedenfalls erleichtert, dass die PVV sich mit ihrem Antrag nicht durchsetzen konnte. »Hier geht es nicht um die Wahl: Bist du für oder gegen Gras? Sondern darum, ob man für oder gegen Kriminalität ist.« Ziel müsse sein, der »bankrotten Toleranzpolitik und dem Verdienstmodell der kriminellen Welt ein Ende zu setzen und die Qualität der Produkte im Sinne der öffentlichen Gesundheit zu überwachen«.

Nicht Fakten, sondern eine rückwärtsgewandte Weltanschauung ist auch die Triebfeder deutscher Konservativer, die gegen die Legalisierung von weichen Drogen wettern, die der Deutsche Bundestag unlängst mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossen hat. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verweist zum Beispiel gerne auf die angeblich negativen Erfahrungen in den Niederlanden. Seine bierseligen Zuhörer in bayerischen Festzelten klatschen begeistert Beifall und nehmen den nächsten tiefen Schluck aus dem Maßkrug.

Nie offiziell erlaubt

Söders Argument könnte falscher nicht sein, denn in den Niederlanden hat es nie eine echte Legalisierung gegeben. Die Betreiber der Coffeeshops agieren seit Jahrzehnten in einer gesetzlichen Grauzone. Der Staat toleriert zwar, dass sie Cannabis verkaufen, aber wenn sie sich von einem Zwischenhändler beliefern lassen, machen sich Betreiber und Lieferanten streng genommen strafbar. Auch der Anbau ist verboten. »Tatsächlich legt man mit einem vollständigen Verbot den roten Teppich für Kriminelle aus«, führte der emeritierte Strafrechtsprofessor Theodorus de Roos am 23. Februar in der Onlineausgabe von RTL Nieuws Söder ad absurdum. »Die Probleme ergeben sich gerade aus der Toleranzkonstruktion in den Niederlanden, einer Art Halblegalisierung.«

Die Betreiber der Coffeeshops können ihr Geschäft also gar nicht anders führen, als beim Einkauf der Ware mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Denn entweder stammt das Cannabis aus unerlaubtem Anbau in den Niederlanden oder ist aus dem Ausland durch Schmuggel ins Land gekommen. Die Coffeeshops dürfen einen Vorrat von 500 Gramm bereithalten und jedem Kunden maximal fünf Gramm verkaufen. Das heißt: Nach 100 Kunden ist der Vorrat bereits aufgebraucht. Wer einen sehr gut laufenden Coffeeshop hat, muss also ständig bei einem illegalen Händler Nachschub besorgen, teilweise mehrmals am Tag. Der Staat weiß das natürlich und schaut darüber hinweg. Gleichzeitig ist die Polizei in den letzten Jahren aber härter gegen den Cannabisanbau in den Niederlanden vorgegangen.

Dieses kuriose Konstrukt wurde 1976 eingeführt, mit der Absicht die Märkte für weiche und harte Drogen zu trennen. Wer Haschisch kaufen will, geht in den Coffeeshop. Er kann die Ware mit nach Hause nehmen oder gleich vor Ort konsumieren, wo er auch noch eine Tasse Kaffee oder eine Limonade trinken kann. Der Verkauf von Alkohol ist seit 2007 in den Coffeeshops nicht mehr erlaubt. Sogenannte harte Drogen wie Heroin, Kokain oder Crystal Meth vertreiben Coffeshops ohnehin nicht.

Geregelt ist das Ganze im »Opiumwet«, zu deutsch Opiumgesetz, das 1927 erlassen wurde, zu einer Zeit als Opium neben Alkohol noch die gebräuchlichste Droge war. Es wurde im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Seit 1976 unterscheidet das »Opiumwet« zwischen harten Drogen und den weichen Drogen Marihuana und Haschisch. Einige Experten zweifeln allerdings, ob manche Haschischsorten aus dem Ausland überhaupt noch als »weiche Drogen« gelten können, weil sich bei ihnen der Anteil des berauschenden THC (Tetrahydrocannabinol) in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt hat. Aus ähnlichem Grund erlaubt es der Staat zwar, maximal fünf Cannabispflanzen auf der Fensterbank zu ziehen – allerdings nur, wenn keine Wärme spendenden Lampen eingesetzt werden, die den THC-Gehalt in die Höhe treiben.

Cannabis aus illegalen Quellen enthält außerdem häufig Pestizide, Schwermetalle oder Schimmel. Die Verunreinigung ist laut der staatlichen niederländischen Gesundheitsbehörde RIVM aber unterhalb der zulässigen Grenzwerte. 2020 und 2021 stellten die Behörden fest, dass manche Sorten mit synthetischen Cannabinoiden versetzt waren. Das ist sicher mit ein Grund, warum die staatlich kontrollierte Ware im Rahmen des Experiments in Breda und Tilburg auf Anhieb von den Kundinnen und Kunden sehr gut angenommen worden ist.

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Entgegen der weitverbreiteten Annahme gab es in den Niederlanden nie eine wirkliche Legalisierung von Marihuana (Verbotsschild in Amsterdam)

Schnell ausverkauft

In den beiden Städten appellierten die Betreiber der Coffeeshops schon Anfang Februar an die Regierung, einen größeren Vorrat an Ware vorhalten zu dürfen. Die neuen Sorten seien schnell ausverkauft. Der Hintergrund: In der Testphase dürfen die Coffeeshops neben den üblichen 500 Gramm des unerlaubten Cannabis, die gleiche Menge an legal angebautem vorrätig haben. »Das ist zu wenig, auch für die Vielfalt der Produkte, die man anbieten will. Die 500-Gramm-Regel steht dem Erfolg des Experiments im Weg«, erklärte Jasper Rutten, der in Tilburg den Coffeeshop The Grass Company führt, am 7. Februar gegenüber der Tageszeitung BN De Stem.

Denn wenn die Kunden die legale Ware nicht erhalten können, greifen sie auf die illegale zurück – was durch das Experiment ja verhindert werden soll. Die Bürgermeister von Breda und Tilburg unterstützten den Appell. Ende Februar gestattete die kommissarische Gesundheitsministerin Pia Dijkstra den Coffeeshops, mehr Vorrat vom legalen Cannabis anzulegen. Laut dem »Nationale Drug monitor« sind Marihuana und Haschisch aus dem überwachten Anbau übrigens nicht teurer: Der Preis liegt zwischen acht und elf Euro pro Gramm. Für ein Gramm des starken, illegal in den Niederlanden gezogenen und beliebten »Nederwiet« waren im Jahr 2022 demnach rund 15 Euro auf den Ladentisch zu legen.

Das Wiet-Experiment ist nicht der erste, aber der wohl vielversprechendste Versuch, den negativen Begleiterscheinungen der halbgaren Toleranzpolitik beizukommen. Beispielsweise dem Cannabistourismus aus Belgien, Frankreich und vor allem aus Deutschland. Die Begrenzung auf fünf Gramm pro Kundin oder Kunde führt dazu, dass Konsumenten aus dem Ausland, zum Beispiel aus Deutschland, in den grenznahen Städten wie Venlo, Enschede oder Groningen von Coffeeshop zu Coffeeshop tingeln, um eine größere Menge für den Eigengebrauch über die Grenze nach Deutschland bringen zu können. Die Anreise, die nicht selten weit über 100 Kilometer beträgt, soll sich schließlich lohnen.

2011 führte das erste Kabinett von Mark Rutte (Rutte I) in den südlichen Provinzen Limburg, Zeeland und Noord-Brabant den »Wietpas« (Cannabis­pass) ein. Die Coffeeshops wurden zu privaten Clubs, in denen nur Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden Mitglied werden konnten. Das musste mit einem Auszug aus der städtischen Personendatenbank und einem gültigen Ausweis nachgewiesen werden. Die Zahl der Mitglieder pro Coffeeshop durfte 2.000 Mitglieder nicht überschreiten. Zu der geplanten Ausweitung des »Wietpas« auf alle anderen Provinzen kam es allerdings nie.

Der inzwischen verstorbene sozialdemokratische Bürgermeister von Amsterdam, Eberhard van der Laan, nannte den »Wietpas« von Anfang an ungeeignet für die Hauptstadt. »Ich fürchte, es wird kontraproduktiv sein. Das Passystem funktioniert in Grenzgebieten, wo Touristen gezielt zum Einkaufen in die Niederlande kommen. In Amsterdam ist die Situation ganz anders«, sagte er 2010 laut der öffentlich-rechtlichen NOS. Damals besuchten jährlich vier Millionen Touristen die Stadt der Grachten. Die Stadtverwaltung schätzte, dass ein Viertel von ihnen nicht nur, aber auch wegen der Coffeeshops kam. Van der Laan warnte davor, dass nach einer Einführung des »Wietpas« in Amsterdam der Straßenhandel mit weichen Drogen wieder stark zunehmen würde – und mit ihm Kriminalität und ein Übermaß an Belästigung für die Anwohnerinnen und Anwohner. »Wir drehen dann die Uhr 30 Jahre zurück«, so Van der Laan. Sein Parteifreund Rob van Gijzel, damals Bürgermeister von Eindhoven, kritisierte, der »Wietpas« regele nur den Zugang, lasse aber die Hintertür, das heißt den illegalen Anbau und Schmuggel unerlaubt weicher Drogen, sperrangelweit geöffnet.

Straßenhandel und Kriminalität

Sie sollten recht behalten. Der Versuch, auf diese Weise ausländische Hanftouristen abzuhalten, scheiterte krachend. Nicht nur die ausländischen Kunden blieben fern, sondern auch viele einheimische, die durch die Registrierung mit möglichen Konsequenzen auf der Arbeit oder bei ihrer Krankenversicherung rechneten. Die Folge: Der Straßenhandel mit all seinen negativen Folgen florierte wieder. Selbst die Polizeigewerkschaft ACP sah keinen Vorteil. Im Oktober 2012 wurde das Klubprojekt daher wieder eingestellt. Nur die Bestimmung, dass an Personen ohne Wohnsitz in den Niederlanden kein Haschisch und Marihuana verkauft werden darf, trat 2013 formell landesweit in Kraft. Der Staat überlässt es den Kommunen allerdings selbst, ob sie die Einschränkung umsetzen. In den allermeisten Coffeeshops bekommen Ausländer deshalb immer noch Cannabis.

Das Desaster mit dem »Wietpas« zeigt anschaulich: Gegen die vorhandene Nachfrage nach Gras und Hasch ist kein Kraut gewachsen. Die Konsumenten von Cannabis haben ebenso wenig den Eindruck, etwas Unrechtes zu tun wie Bier- oder Weintrinker. Als die USA 1920 ein Verbot von Alkohol erließen, um den Konsum und die damit einhergehenden sozialen Folgen zu unterbinden, führte das keineswegs dazu, dass die Menschen nicht mehr tranken. Sie besorgten sich den Alkohol eben auf dem florierenden Schwarzmarkt, der von kriminellen Banden kontrolliert wurde, die sich bis aufs Messer bekämpften. Die Prohibition verfehlte ihre Ziele. Sie sorgte für mehr Kriminalität, Korruption und schlimme gesundheitliche Folgen durch schlecht gebrannten Schnaps.

Die zu ziehende Lehre: Wer in der Drogenpolitik – und wir zählen hier einfach mal Alkohol dazu – auf Repression setzt, kämpft am Ende mit noch größeren Problemen. Bei Alkohol ist ein Verbot längst kein Thema mehr, obwohl die direkten und indirekten gesellschaftlichen Folgen von Alkoholmissbrauch weitaus größer sind als die weicher Drogen. Würde in Fußballstadien mehr gekifft als gesoffen, wären gewalttätige Ausschreitungen sicher nicht an der Tagesordnung, um nur eines von vielen, vielen Beispielen zu nennen.

Das Problem ist die Schattenwirtschaft, die durch die Kriminalisierung weicher Drogen gefördert wird. »Organisierte Kriminalität hat viele Formen, aber das Rückgrat ist der Drogenhandel. Es geht um enorm viel Geld«, stellt Pieter Tops, Professor an der niederländischen Polizeiakademie, in seinem Buch »De Achterkant van Nederland« (Die Rückseite der Niederlande) fest. »Aus Sicht der Kriminalitätsbekämpfung sind nicht die Drogen selbst das Problem, sondern das Drogengeld.« Die Drogenmafia unterminiere den Rechtsstaat und infiltriere das niederländische Finanzsystem. Die beiden niederländischen Großbanken Ing und ABN Amro mussten bereits hohe Bußgelder bezahlen, weil über ihre Konten illegale Drogengelder gewaschen worden waren.

Auf dem niederländischen Drogenmarkt sind Milliarden zu verdienen, das macht ihn anfällig für mafiöse Strukturen. Besonders die Hauptstadt ist betroffen. »Amsterdam hat eine kriminelle Schattenwelt, die von Drogen lebt«, berichtete im August 2019 die öffentlich-rechtliche NOS. Laut dem Professor an der niederländischen Polizeiakademie, Pieter Tops, sind mehrere tausend Kuriere in Amsterdam unterwegs, die weiche und harte Drogen verteilen. Wie viele es genau sind, weiß niemand. »Das sind oft Leute, die wenig andere gesellschaftliche Perspektiven haben«, so Tops.

Vorbild Deutschland

»Wir reden von kleinen Jungen, manchmal zwölf oder 13 Jahre alt, die bereits Pakete ausliefern«, berichtete der Kriminologe Anton van Wijk im Juli 2022 gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmagazin Een Vandaag. Sie aus den kriminellen Kreisen wieder herauszuholen sei wie »Wischen bei geöffnetem Wasserhahn«. Die Kinder und Jugendlichen werden mit Drohungen, Erpressung und Gewalt bei der Stange gehalten. »Diese Netzwerke stehen und fallen mit der Geheimhaltung. Es kommt nichts heraus«, so van Wijk. »Drogen gibt es und wird es immer geben. Es ist eine Illusion, das man das Drogenproblem lösen kann. Das wird nicht geschehen.«

Die enormen Geldsummen, die mit illegalem Drogenhandel zu verdienen sind, »üben eine enorme Anziehungskraft aus und sorgen dafür, dass Kriminelle mit illegalem Vermögen wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht- und Einflusspositionen erlangen«, beschreibt das niederländische Zentrum für Prävention und Sicherheit (CVV) die subversiven Folgen für die Gesellschaft. Der Kampf um die Milliarden, die praktisch auf der Straße liegen, wird mit harten Bandagen geführt. »Wer bei der Drogenproduktion oder einer Schießerei ums Leben kommt, hat Pech gehabt«, schreibt die Internetseite Rijksoverheid sarkastisch.

Jahrzehntelang galten die Niederlande als Vorbild für den straffreien Gebrauch weicher Drogen wie Marihuana und Haschisch. Sehnsüchtig schauten deutsche Kiffer ins Nachbarland, wo scheinbar Hanf in allen Gassen dampft. Doch die Zeiten ändern sich: Mit dem neuen Gesetz, das wahrscheinlich schon am 1. April in der BRD in Kraft tritt, ist plötzlich Deutschland das Paradebeispiel, dem die Niederlande nachstreben sollten, findet Machteld Busz, die Direktorin der Stiftung »Mainline« aus Amsterdam. Das Gesetz sei ein »sehr wichtiger Schritt in der Cannabiswelt«, so Busz am 23. Februar gegenüber der Onlineausgabe von RTL Nieuws. »Als G7-Staat hat Deutschland einen ganz anderen Status in der Welt als die Niederlande. Ich denke, dass viele Länder dem folgen werden.«

Gerrit Hoekman schrieb an dieser Stelle zuletzt am 6. Januar 2024 über den Wahlsieg von Geert Wilders in den Niederlanden

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