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Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Switch off Gigafactory

Gekappte Kontakte

Vermittlungsproblem: Stromsperre bei Tesla. Militante treffen auf Basisbewegte. Nicht immer passt das Timing
Von Oliver Rast
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Mitten in der Einöde: Sabotierte Oberleitung – Stromsperre bei Tesla (Spreenhagen, 5.3.2024)

Sie ist fragil, leicht auszutricksen: die kritische Infrastruktur. Verkehrs- und Transportwege, Informations- und Kommunikationskanäle, Wasser- und Stromversorgung. Zu letzterem: ein Schnitt an der richtigen Stelle – und schon wird es finster, zappenduster. Jüngster Beleg: Feuer an einer leitenden Leitung, Brandanschlag auf einen Hochspannungsmast in der Einöde, nahe der »Gigafactory« in Grünheide, Ostbrandenburg. Die Bekenner der Missetat: eine klandestin-militante »Vulkangruppe«. Ein fluider, gruppenübergreifender Zusammenhang mit wechselnden Namenszusätzen. Established 2011. Dem Giganten, dem US-Elektroautobauer Elon Musk, kappten die »vulkanischen« Nachtschwärmer die Elektrizität, Stromsperre bei Tesla.

Eine folgenreiche Kokelei. Fraglos: Erlaubt ist das nicht. Verboten, strengstens. Darum kümmern sich indes andere, von Berufs wegen, der Laufbahn wegen. Zu einigen Effekten – ohne Hascherei. Effekt eins: Die Bänder standen still in der »Gigafactory«, tagelang. Produktionsausfall bei tonnenschweren Vehikeln. Kostenpunkt rund eine Milliarde Euro, behaupten Tesla-Werksmeister. Effekt zwei: ein mediales Echo sondergleichen samt Sondersendung im TV, ein »feuriges Schurkenstück« mit internationaler Reichweite. Effekt drei: Militanter Aktivismus trifft auf Basisbewegung; Bürgerinitiative, Umweltverbände, Fabrikgewerkschafter, Waldbesetzer. Effekt vier: Verunsicherung, Distanzierung – und nicht zuletzt Repression. Recht prompt seitens der Bundesanwaltschaft (BAW). Konkret: Anfangsverdacht Paragraph 129 plus kleines »a« Strafgesetzbuch, Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung«. Ein Rußfleck allein hätte dafür nicht gereicht.

Fürs Verständnis, klandestin-militante Interventionen sind was? Geheime Taten, aber keine untergründigen; kämpferische, aber keine bewaffneten. Beispielkette: Glasbruch, Farbbeutel, Barrikaden, Brand- oder Sprengsätze, meist mit Zünder. Der Sammelbegriff dafür lautet abschätzig »Feierabendterrorismus«. Also Aktionen aus der Legalität heraus, gewissermaßen als extralegale Freizeitbeschäftigung. Nach (entlohntem) Werktag, (geförderter) Berufsfortbildung – oder sonstwie nach Unikursen, Jobcenter-Dates.

Das Ergebnis des Tatendrangs der »Vulkanologen« steht im ersten Bekenntnissatz: »Wir haben Tesla sabotiert.« Ziel erreicht, zeitweise. Sabotage ist zugleich Blockade. Typische Kampfmittel der Machtlosen gegen die Machtvollen. Zuvor mussten Basisbewegte Fehlschläge verkraften: überhaupt den Bau der Gigafactory. Spatenstich, Richtfest, Produktionsstart. Nun aber kein weiterer Ausbau, kein weiterer Wasserklau, kein weiterer Kahlschlag. Kurz: »Tesla stoppen«. Konsens aller Opponenten, ob friedlich oder militant. Nur – so einfach ist es dann doch nicht. Denn strittig ist und bleibt: Wahl, Moment, Ausmaß inkriminierten Handelns. Das Idealmotiv der Clandestinos ist dabei, mit Aktionen Bewegungsproteste zu begleiten, zu stärken, in einer Kampagne (informell) zusammenzukommen.

Aber: Militante sollten sich da nichts vormachen, ihre Taten sind »avantgardistisch«. Das klandestine Aktiv geht Basisbewegten voraus, ganz praktisch mit Streichholz und Benzinkanister. Für viele Protestler ein (strafrechtlicher, unmoralischer) Bruch, den sie nicht mitmachen, nicht wollen. Es folgt Abgrenzung zur Grenzverletzung. Reflexhaft. Sicher nicht von allen, aber von Lautstarken. Wie jetzt. Die »Vulkangruppe« ahnte es – und fragte im Bekennerbrief: »Wer sich genötigt fühlt, sich zu distanzieren, sollte sich fragen, warum eigentlich? Und wer daran ein Interesse hat?« Die Doppelfrage ist berechtigt, die Doppelantwort indes fehlt bislang. Zugute zu halten ist den »Vulkanologen«, einige Tage nach dem Hype nachgelegt zu haben. Mit einem offenen Brief an Bürgerini und Co. Ferner an Anwohner, die vom Stromausfall genervt waren. »Wir bitten alle Betroffenen um Entschuldigung.« Denn es ging um Tesla, nicht um Privathaushalte. Böswillige werden dies als plumpe Geste abtun, Gutwillige als echtes Bedauern lesen.

Unterm Strich: Timing, Vermittelbarkeit des Sabotageakts hätten nicht gestimmt, meinen einige (Alt-)Aktivisten, die wohlgemerkt Militanz als Option verteidigen. Umsetzung des Bürgervotums, Duldung der Wald-Wasser-Besetzung, Mobilisierung zu Großdemo und Aktionstagen – all das hätte abgewartet werden sollen. Vor allem, damit nicht (verfrüht) die Gewaltfrage dominant wird. Die »Vulkangruppe« meint hingegen im papiernen Nachschlag, ihr Akt habe der »Sache« nicht geschadet. Hm, das Meinungsspektrum dazu reicht von »doch«, »vielleicht doch«, »hoffentlich nicht« bis »stimmt, da hamse recht«.

Davon (zunächst) unabhängig: Die Tat hat in der Tat getroffen. Und auch das gibt es: basisbewegte Erfreute, klammheimliche; hinter vorgehaltener Hand, verklausuliert in Halbsätzen. Um so unverständlicher ist die »vulkanische« Ankündigung, andere (militante Gruppen) sollten nun Aktion samt Folgen weiter auswerten, einordnen. »Wir sind befangen.« Mit Verlaub, falsch. Weil: Der Blackout bei Tesla ist nicht Peak, sondern Prolog. Warum jetzt (schriftliche) Kontakte kappen, Diskussionsverlauf und Verantwortung abgeben?

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. März 2024 um 00:21 Uhr)
    Es ehrt die Vulkanologen, unbeabsichtigt Mitbetroffene um Entschuldigung zu bitten. Kritische Infrastruktur wird aber nur dann »kritisch«, wenn sie so dilettantisch implementiert ist wie in Grünheide und der Hauptnutzer keinerlei Vorsorge getroffen hat. In Uncle Sam’s own country hat jede Garagenfirma ein passendes Notstromaggregat wegen des dort wackeligen öffentlichen Stromnetzes. In Grünheide ist aber nicht einmal ein Netz vorhanden. Ein Netz besteht nämlich aus durch Kanten vermaschte Knoten. Nach Grünheide stehen Blätter an einer Kante, über die sie abstürzen können. Statt Geschwafel über Resilienz wäre da besser die Rede von Redundanz. Wahrscheinlich stellt sich bald heraus, das der Russe das Grünheide-Netz ohne Masche geplant und den Elon bei der Standortplanung hinterfotzig hereingelegt hat.

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