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Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 8 / Ansichten

Unvereinbar

TAURUS-Debatte im Bundestag
Von Arnold Schölzel
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Olaf Scholz am Donnerstag im Bundestag

Seit Donnerstag steht fest: Die Koalition ist im Unvereinbarkeitsstadium. Bündnis 90/Die Grünen stehen mit CDU und CSU im Überbietungswettbewerb, wer beim Wettrennen zum Bombardieren von Moskau die Nase vorn hat. Die Vertreter beider Fraktionen – die FDP kann ihrer Neigung wegen Absturzgefahr nicht ungehemmt folgen – demonstrierten in der Debatte um TAURUS-Lieferungen, dass Verstand als zu Ende Denken von Folgen politischen Handelns für sie ein Fremdwort ist, Vernunft als Erfassen des Ganzen einer Problemlage in ihrem geistigen Kosmos unerträgliche Feindpropaganda.

Das Ganze wahrnehmen hieße, russische Interessen in eigene Überlegungen einzubeziehen – ein rationales Verfahren, das Vernunftbegabte aller Zeiten und Länder, vom chinesischen Strategen Sun Zi vor 2.500 Jahren bis zum amtierenden Papst, immer wieder vorgeschlagen haben. Wer hörte, was die Grünen-Vertreter Agnieszka Brugger und Robin Wagener nun im Bundestag vortrugen, weiß erneut: Da redet die zeitgenössische Antivernunft – eine hasserfüllte, ressentimentgeleitete Herrenvolkirrationalität, ersetzen der Druck auf die Tränendrüsen und der Ritt auf dem hohen moralischen Ross jedes Argument, sind Gespräche oder gar Verhandlungen nicht nur unerwünscht, sondern werden als Kapitulationsverlangen zertrampelt. Der Irrationalismus dieser Gesellschaft mag sich vordergründig wieder einmal in faschistischen Tendenzen offenbaren, die Kriegshetze einer Brugger übertrifft das an Gefährlichkeit. Sie formulierte mit Blick auf den von ihrer Fraktion noch mitgetragenen SPD-Kanzler: »Auch Zögern und Zaudern kann zur Eskalation beitragen.« Folgerichtig bedankte sich der Sprecher der CDU/CSU, Johann Wadephul: Sie denke wie seine Fraktion. Bereits am Montag hatten der Grüne Anton Hofreiter und Norbert Röttgen (CDU) in einem gemeinsamen Beitrag für die FAZ dem Kanzler »katastrophalen Defätismus« vorgehalten, sprich: Bruch des Amtseids. Mehr Gemeinsamkeit geht nicht, das ähnelt der Vorbereitung des Sturzes von Helmut Schmidt 1982.

Grüne und FDP stimmten diesmal noch mehrheitlich gegen den CDU/CSU-Antrag, TAURUS nach Kiew zu liefern. Brücken zum SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich sind in dieser Frage nicht mehr vorhanden. Er bezog sich neben Sahra Wagenknecht als einziger Redner in der Debatte auf den Verhandlungsappell des Papstes und merkte an, dass außerhalb Europas anders auf den Ukraine-Krieg geblickt werde, nämlich auch als Symptom für das »Ende der 500jährigen Dominanz« des Westens.

Der Anflug von Antichauvinismus war aber nicht von Dauer. Weder Mützenich-SPD noch Kanzler, der den Papst kritisiert, ziehen aus solchen Vernunftsplittern Konsequenzen. Der Treueschwur zum Krieg bleibt und TAURUS die Ausnahme. Der Sprengsatz für die Koalition hat so immerhin einen Namen, falls es über den nächsten Wahltag hinaus überhaupt beim Nein bleibt.

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