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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Popkultur

Dann auch noch von jungen Leuten

Hardcore altert nicht: der Abschluss der Rebellion-Tour 2024 im Astra-Kulturhaus Berlin
Von Maik Rudolph
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»Times are changing for the worse.« Oder doch nicht? Madball sind seit einer Dekade auf Rebellion-Tour

Alles kommt zurück, sogar weite Hosen sind wieder en vogue. Neue »O-Dog« von Dickies gekauft, durch die Wäschetrommel gejagt, bis der Hose jede Reststeifigkeit ausgetrieben wurde – und nun noch einmal wie 17 fühlen. Haare in Façon gebracht und auf geht es zu Madball.

Alles kommt zurück, auch der ­Bollo-Hardcore der 90er – musikalisch an der Schnittmenge zwischen stumpfem Metal und »Oi!«-Punk, einst Ausdrucksform marginalisierter Jugendlicher im großstädtischen Moloch von New York City, Boston oder Los Angeles. Neuen Genrevertretern, in diesem Jahr Sunami oder im vergangenen Jahr Drain, dient Madballs jährliche Rebellion-Tour als Werbevehikel. Die Ikone des Genres ist zum Patron geworden.

Ähnlich wie früher die vom Skateschuhschuppen Vans gesponsorte »­Warped Tour« den US-Punk in die Welt getragen und ihn zu Tode kommerzialisiert hat, wie böse Stimmen meinen – die kulturwissenschaftliche Hoffnung auf das Widerspenstige in Subkulturen oder die Suche nach den neuen Hobsbawmschen primitiven Rebellen scheint ohnehin passé zu sein –, ist die zehnte Rebellion-Tour unter der Markenobhut von Monster Energy.

Alles kommt zurück oder »Times are changing for the worse«, wie Sänger Freddy Cricien mit seinen noch recht frischen Bandmitgliedern in »Pride« am Sonntag konstatierte, dieses Jahr leider ohne Madball-Urgestein Jorge »Hoya Roc« Guerra am Bass. Dafür wurde man im wunderschön holzvertäfelten Astra-Kulturhaus in Berlin-Friedrichshain, dem ehemaligen Klubhaus der DDR-Reichsbahn, zum Abschluss der diesjährigen Tour nicht von Promoterinnen mit Monster-Dosen beworfen, wie 2023 vor dem SO 36.

Kommt wirklich alles bloß wieder, durchwandern die Moden Zyklen oder haben wir es mit dem Dreiklang der Aufhebung zu tun: konservieren, negieren und elevieren? Mindwar aus dem belgischen Lokeren eröffneten den Abend, pünktlich. Eigentlich gibt es wenig zu ihnen zu sagen – und das muss als Kompliment verstanden werden: Sie konservieren, ohne Spielereien bringen sie Hardcore auf den Punkt, den harten Kern – erinnern dabei an den Eurocore der 90er Jahre, an Bands wie Backfire!, Brightside oder Strife. Besser kann ein Opener auf den Abend nicht einstimmen.

Im Anschluss tobten Sunami wie ein Tsunami durch das alte Bahnerkulturhaus. Der Sound war auf den Kern verdichtet wie Mindwar, hatte sich aber allem entledigt, was auch nur musikalisch zu komplex anmutet. Das Schlagzeug preschte wie eine doppelte Kriegstrommel voran, ein dickes Brett von Sound, Neanderthaler-Hardcore. Das Publikum hatte es gedankt, selten sah ich so viel Violent Dancing in den Moshpits. Und dann auch noch von jungen Leuten. Im vergangenen Jahr prägte noch der Eindruck, dass Hardcore altert. Ewig Junggebliebene holten ihre Meshshorts, Army Caps, Hoodies mit Bandaufdrucken aus der Mottenkiste und quatschten über Kitaplätze und den Bausparvertrag. 2024 ist die Welt wieder heil: The Kids Are All Right! Hardcore wird eleviert, buchstäblich, da dieses junge Publikum nicht bloß zum Stagediving die Bühne erklommen hat, sondern um die waghalsigsten Kung-Fu-Moves, Windmilling und eigentlich alles zu performen, was Sick of It All im Video zu »Step Down« aufs Korn genommen haben. Next Level Selbstdarstellung für die Tik-Tok-Generation?

Für musikalische Vielfalt sorgten The Chisel, eine britische »Oi!«-Band. Auch ein Genre, das mit ihnen, Home Front und Conservative Military Image ein Comeback erlebt. Die Grenzen zwischen Hardcore, Punk und »Oi!« sind permeabel. Die Hardcoreszene war immer schon politisch, aber auch nie so wirklich: Über ein Wir gegen Die im poetischen Duktus à la Böhse Onkelz oder einer Verurteilung der US-Invasion des Iraks als ehrenlos durch Brooklyns Biohazard geht es oft nicht hinaus – außer man blickt über den Rand der toughen Hardcoreszene zu den verkopfteren Künstlern wie Jello Biafra oder Ian MacKaye, der 1985 mit dem »Revolution Summer« eine Bürgerbewegung in Washington, D. C. initiieren wollte. The Chisel haben Flagge gezeigt, ein Palästina-Banner schmückte die Bühne. Alles kommt wieder, aber doch eben anders. In früheren deutschen Szenehochburgen wie Leipzig – das Treuhand-Wasteland und die Lower East Side sind sich vielleicht gar nicht unähnlich – wäre das bis heute unmöglich.

Auch die Clowns sind wieder da, nein, nicht die Juggalos: Kat Moss, die Sängerin von Scowl, war der »Joker In The Pack« und mutete im knallbunten Outfit an wie Debbie Harry, hätte sie je in einer New-York-Hardcore-Band gesungen; ein Sound zwischen Blondies »One Way or ­Another« und dem Powerviolence der frühen Ceremony.

Madball waren Headliner der Nacht – die große Szenemama, die den einst authentischen Community-Geist aus der »living hell« Manhattans zwischen Central Park und Wall Street konserviert. Auch wenn die Lower East Side heute grundsaniert und gentrifiziert ist. Auf der Bühne wurde ein Fest gefeiert: Alle Musiker des abendlichen Line-ups waren mal zugegen, ein paar neue Stücke und die größten Kracher ihres ersten Studioalbums »Set It Off« wurden gespielt, das 2024 übrigens 30jähriges Jubiläum feiert. Publikum, Bands – alle hatten sichtlich ihren Spaß. Nächstes Jahr heißt es wieder: Noch einmal 17 sein zur Rebellion Tour 2025.

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