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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 7 / Ausland
Korsika

Autonomie für die Insel

Korsika: Einigung auf Pläne für eingeschränkte Selbstverwaltung
Von Hansgeorg Hermann
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Der »Maurenkopf« (Testa Mora) ist seit dem 18. Jahrhundert das Wappen Korsikas (Ajaccio, 3.2.2018)

Die französische Regierung will der Insel Korsika eine begrenzte Autonomie zugestehen. Wie es in Paris hieß, berücksichtige die in der Nacht zum Dienstag zwischen Innenminister Gérald Darmanin und korsischen Verhandlungsführern nach mehr als zwei Jahren Diskussion gefundene Formel für eine Verfassungsänderung die speziellen »Interessen« Korsikas. Diese seien eng verknüpft mit der für den Landesteil spezifischen »Inselsituation im Mittelmeer« sowie mit der dortigen »historischen Gemeinschaft, Sprache und Kultur, die zu einer einzigartigen Verbindung mit der korsischen Erde geführt« hätten.

Die »Insel der Schönheit«, mit 8.680 Quadratkilometern Land und rund 340.000 Einwohnern sowie eigener Sprache und Kultur viertgrößtes Eiland im Mittelmeer, ist den politischen Entscheidungsträgern im fernen Paris seit Jahrzehnten ein Klotz am Bein. Radikale Befürworter eines unabhängigen Korsika lieferten sich über Jahrzehnte hinweg einen zeitweise bewaffneten Kampf mit aus der Hauptstadt geschickten Einsatzkräften, der am 6. Februar 1998 in dem Attentat auf den Präfekten Claude Érignac gipfelte. Die bei weitem überwiegende Mehrheit der korsischen Bevölkerung drängte allerdings nie auf eine völlige Loslösung von Frankreich, sondern auf einen in der französischen Konstitution festgeschriebenen autonomen Status »an der Seite der Republik«.

Der nun ausgehandelte »Accord« ist zunächst nur der Beginn eines politischen und staatsrechtlichen Prozesses. Die geplante Änderung der Verfassung muss zuerst im Regionalparlament der Insel verabschiedet werden, bevor sie nach Paris zurückkommt und dort vom Verfassungsrat überprüft wird. Danach muss sie die beiden parlamentarischen Kammern, Nationalversammlung und Senat, passieren. Die endgültige Entscheidung liegt schließlich beim Kongress, der Vereinigung beider Kammern, wo 925 Abgeordnete ihr mit Dreifünftelmehrheit zustimmen müssen.

Ein schwieriges Unterfangen, wie französische Medien nach Bekanntwerden der Einzelheiten des ausgehandelten Abkommens urteilten. Vor allem die Forderung der korsischen Delegation nach einer eigenen gesetzgebenden Gewalt sei unklar. Offenbar für ausgemacht halten Gilles Simeoni, Präsident des Exekutivrates der Insel, sowie Paul-Félix Benedetti, Anführer der korsisch-nationalistischen Bewegung Core in Fronte, dass ihrer künftig autonomen Heimat politische Macht »von legislativer Natur« zugestanden wird. Dies müsse in einem Gesetz festgeschrieben werden, das »im Rang der Verfassung untergeordnet, aber gewöhnlichen Gesetzen übergeordnet« sei.

Der angepeilte Sonderstatus der Insel ist in der von Darmanin vorgelegten und von Staatschef Emmanuel Macron offenbar gewollten Fassung eine Antwort auf ein Gesellschaftsmodell, dessen Traditionen und Regelungen – ähnlich wie auf Sizilien, Sardinien oder auch Kreta – von patriarchalisch beherrschten Clans geprägt sind. Von der übrigen Republik und vor allem im kulturell weit entfernten Paris seit jeher mafiöser Strukturen und der Vetternwirtschaft verdächtigt, geriet die Insel als »korsisches Problem« seit Beginn der 70er Jahre oft zum Alptraum der Regierenden. Anders als die griechischen Kreter oder die italienischen Sarden, so der Vorwurf, hätten die politisch extrem lästigen Korsen immer beides, »le beurre et l’argent du beurre« – die Butter und das Geld für die Butter –, einsacken wollen.

Immerhin wollen Macron und Darmanin der korsischen Bevölkerung, die Festlandfranzosen traditionell als Kolonialisten verachtet, ein Mitspracherecht über die endgültige Fassung der künftigen franzöisch-korsischen Verfassungsartikel einräumen. Dies sei über eine Art Volksabstimmung anhand der nationalen Wahllisten möglich. Franzosen, die als Haus- und Landbesitzer die Insel nur als zweiten Wohnsitz für die Sommerfrische anlaufen, seien demnach ausgeschlossen. Auch die Preise für Mieten und Immobilien, die im Rahmen des sich ausweitenden Besitztourismus explodiert und für Einheimische unerschwinglich geworden sind, könnten künftig eher in korsischem Interesse reguliert werden.

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