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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 6 / Ausland
Indien

Muslime fürchten Diskriminierung

Indien: Einbürgerungsgesetz von hindu-nationalistischer BJP-Regierung kurz vor Beginn der Wahlen in Kraft
Von Thomas Berger
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»Nein zum Faschismus«: Studentenprotest gegen die hindu-nationalistische Politik der Modi-Regierung (Neu-Delhi, 12.3.2024)

Ist der Zeitpunkt ein Zufall? Wohl kaum, meint nicht nur die politische Opposition – ausgerechnet wenige Wochen vor den Parlamentswahlen, die im April in den ersten Regionen beginnen, hat Indiens hindu-nationalistische Regierung ein umstrittenes Einbürgerungsgesetz in Kraft gesetzt, das eigentlich schon vor vier Jahren beschlossen, nach Protesten aber vorerst auf Eis gelegt worden war. Nun rühmt sich die regierende Bharatiya Janata Party (BJP), noch ein weiteres ihrer Wahlversprechen von 2019 umgesetzt zu haben. Mit dem Citizenship Amendment Act (CAA) sollen aus religiösen Gründen verfolgte Angehörige von Minderheiten aus Pakistan, Bangladesch und Afghanistan, die schon vor Ende 2014 in Indien lebten, die Staatsbürgerschaft in einem vereinfachten Verfahren erhalten. Mit Inkraftsetzung des CAA erfülle Premier Narendra Modi »das Versprechen, das die Schöpfer unserer Verfassung den Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jains, Parsen und Christen, die in diesen Ländern leben, gemacht haben«, so Innenminister Amit Shah, ein BJP-Schwergewicht und engster Vertrauter Modis.

Auffällig ist zweierlei: Das betonte Aufzählen all der anderen zahlenmäßig weitaus kleineren Religionsgruppen neben den Hindus, um die es der BJP primär geht, ebenso wie das betonte Fehlen der Muslime in dieser Liste. Genau die fühlen sich mit dem CAA abermals ins Visier genommen. Denn bei ihnen wächst die Sorge, mit einem Staatsbürgerschaftsregister, dass als möglicher nächster Schritt im Raum steht und allein von Shah 2019 mindestens fünfmal in Reden erwähnt wurde, könnte ihr Status als legitime Einwohner des Landes in Zweifel gezogen werden. Viele Menschen in Indien verfügen über keine amtlichen Papiere, wissen nicht einmal ihr genaues Geburtsdatum, weil solcherlei nicht regulär von behördlicher Seite registriert wird. Auch wenn führende BJP-Vertreter immer wieder betonen, niemand wolle den indischen Muslimen ihre Staatsbürgerschaft entziehen, befürchten viele doch, dass das auf dem weiteren Weg der Verordnungen in Zukunft möglich gemacht werden könne.

Dass die Befürchtungen so abwegig nicht sind, hatte sich 2019 im nordöstlichen Bundesstaat Assam gezeigt, wo 1,9 Millionen Menschen, ganz überwiegend seit Jahrzehnten ansässige Muslime, schlicht aus dem dortigen Nationalen Bürgerregister (NRC) ausgeschlossen worden waren. Entsprechend hatten sich von Assam aus die mehrmonatigen Massenproteste entfaltet, die insbesondere den gesamten Nordosten erfassten, aber auch auf Unionsstaaten in anderen Landesteilen übersprangen. Daraufhin hatte die Zentralregierung den CAA als landesweite Regelung 2020 in der Umsetzung gestoppt.

Dass die BJP mit der Inkraftsetzung zum jetzigen Zeitpunkt bewusst die Spaltung nach Religionsgruppen im Wahlkampf schüren wolle, wird ihr nicht nur von Jairam Ramesh, dem Sprecher der größten Oppositionspartei Indischer Nationalkongress (INC), vorgehalten. Auch andere liberale, linke und regionale Modi-Gegner äußern deutliche Kritik. Umgehend gab es noch am 11. März, dem Tag der Entscheidung, erste studentische Proteste auf dem Gelände der Jamia Millia Islamia (Nationale Islamische Universität) in der Hauptstadt Delhi. Am Dienstag wurden laut einem Bericht des Indian Express 60 bis 70 Studierende der Delhi University nach einem Protest von Polizisten abgeführt, seien aber laut einem Polizeisprecher umgehend wieder freigelassen worden. »Mit dem CAA (…) hat die BJP-geführte Zentralregierung der Demokratie und der säkularen Basis der Nation einen weiteren Schlag versetzt«, äußerten sich am gleichen Tag in einer gemeinsamen Erklärung Nilasis Bose und Prasenjeet Kumar, Präsident und Generalsekretär der kommunistischen Dachvereinigung All India Student Association (AISA). Die in Westbengalen regierende säkulare und liberale Regionalpartei Trinamool Congress (TMC) hielt am Mittwoch eine erste eigene Protestaktion ab. Chefministerin Mamata Banerjee kündigte bereits weiteren Widerstand an. Ihr Amtskollege M.K. Stalin von der tamilischen Regionalpartei DMK im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu wiederum sagte, seine Regierung werde den CAA dort »nicht umsetzen«.

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