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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 5 / Inland
Landwirtschaftspolitik

Konfliktfeld Acker

Erfurt: Frühjahreskonferenz der Agrarminister. Umweltverbände befürchten aufgeweichte Ökostandards. Bauern fordern weniger Auflagen
Von Oliver Rast
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Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter fordert seitens der Agrarminister mehr »Marktmacht« (Erfurt, 13.3.2024)

Es ist wieder soweit. Alle sind im Startblock, Protestierer aller Couleur, Umweltschützer, Bauern. Der Anlass: Am Mittwoch begann die Amtschef- und Agrarministerkonferenz (AMK), Freitag endet sie. Ausrichter der halbjährlich stattfindenden ministeriellen Fachrunde ist diesmal Thüringen, die Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft, Susanna Karawanskij (Die Linke).

Auch wie immer: die AMK-Tagesordnung, die jW vorliegt, ist prall gefüllt. 37 Diskussionspunkte samt inhaltlichem Zündstoff. Zuvorderst bei Rechtsregeln der Europäischen Union (EU) zur Landwirtschaft. Die sind in der sogenannten Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) fixiert. Ferner gibt es erstmals einen »Strategieplan« für die aktuelle GAP-Periode 2023 bis 2027. Der fordert Landwirte stark heraus, sie müssen neun Standards für einen »Guten landwirtschaftlichen ökologischen Zustand« (GLÖZ) erfüllen, um an Fördertöpfe zu kommen. Standards, die national umgesetzt werden können. Beispiel »GLÖZ 8«. Dort ist vorgeschrieben, dass ein Mindestanteil, vier Prozent, von Ackerland für nicht produktive Flächen (Brachen) oder Landschaftselemente (Hecken, Bäume) vorgesehen ist – der Biodiversität wegen.

Mitte Februar hatte die EU-Kommission Ausnahmen für 2024 veröffentlicht. Demnach erfülle ein bäuerlicher Betrieb die »GLÖZ 8«-Anforderung auch dann, »wenn er nicht vier Prozent des Ackerlandes brachliegend oder unproduktiv hält, sondern stickstoffbindende Pflanzen (wie Linsen, Erbsen, Favas) und/oder Zwischenfrüchte ohne Pflanzenschutzmittel auf vier Prozent des Ackerlandes anbaut«, so die Kommissionsmitglieder via Mitteilung.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hat mittlerweile die Ausnahmen übernommen. Damit reagierte das Bundeskabinett auf den Druck, »unter dem die Landwirtschaft steht«, so Özdemir in einem Statement. Und: Gleichfalls dürfte dies ein Zugeständnis an die rebellischen Bauern sein.

Für Florian Schöne ist das bereits zu viel. »Die Antworten auf die Probleme der Agrarbranche dürfen keinesfalls im Abbau von Mindestanforderungen für den Natur- und Klimaschutz liegen«, erklärte der Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am Mittwoch. Anstatt auf kurzfristige Scheinlösungen zu setzen, müssten Agrarbetriebe aktiv dabei unterstützt werden, mit Umweltleistungen Geld zu verdienen. Dazu gehörten höhere Budgets für Ökoregeln, etwa bei der Weidetierhaltung. Und: Ausnahmen sollten vorrangig vereinfachten Verwaltungsprozessen dienen, nicht als Deckmantel für abgesenkte Umweltniveaus der Agrarförderung.

Ähnlich argumentieren die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in einer Stellungnahme von Mittwoch. Beide Verbände erteilen einer einseitigen Aufweichung ökologischer und sozialen Standards eine »klare Absage«. Gleiches gelte für eine fortgesetzte ungerechte Vergabe von GAP-Mitteln. »Akteure mit sehr hohen Einkommen und außerlandwirtschaftliche Investoren erhalten unter dem Verwendungszweck der ›Einkommensgrundstützung‹ Milliarden an Steuergeldern«, moniert Ottmar Ilchmann, AbLer und Landwirt in Niedersachsen. Dass die AMK-Riege dieses System seit Jahren billigend in Kauf nehme, sei nicht nur extrem unsozial, sondern auch ursächlich für aktuelle agrarpolitische Konflikte.

Öffentlich Präsenz zeigen will der Thüringer Bauernverband. Donnerstag und Freitag mittels Kundgebungen und Landwirtecamp auf dem Theaterplatz in Erfurt. Motto: »Genug ist genug! Gegen Agrardieselkürzung und für Bürokratieabbau«. Die Rücknahme der Steuererhöhung beim Kraftstoff ist ferner bei der Vereinigung Freie Bauern zentral. Weiterhin. Anlässlich der AMK sagte deren Bundessprecher Alfons Wolff am Mittwoch gegenüber jW: Die für den Bundeshaushalt 2024 vorgesehene Erhöhung sei eine wettbewerbsverzerrende Mehrbelastung. Aber längst gehe es nicht nur um die Spritfrage. Das Grundproblem seien die niedrigen Einkommen, betonte Wolff. »Wir müssen über unsinnige Produktionsauflagen sowie über den Preisdruck durch Importe und Monopole reden, denen wir schutzlos ausgeliefert sind.«

Also, alles wie gehabt: konträre Interessen, konträre Akteure. Alle sind im Startblock, alle ringen um Etappensiege – auf dem Acker.

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