4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 4 / Inland
Staat und AfD

Staat steuert noch nicht

Berufungsverfahren: Inlandsgeheimdienst will Material zur Einstufung der AfD fast ausschließlich aus Reden und Social-Media-Posts geschöpft haben
Von Kristian Stemmler
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Gericht und Prozessbeteiligte am Mittwoch in der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes in Münster

Einen kurzen Prozess, das zeichnete sich am Dienstag ab und bestätigte sich am Mittwoch, will die AfD nicht. Mit immer neuen Beweisanträgen haben die Vertreter der Partei am zweiten Tag das Berufungsverfahren um ihre Einstufung als »rechtsextremistischer Verdachtsfall« in die Länge gezogen. Bei jW-Redaktionsschluss sah es nicht danach aus, dass der 5. Senat des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts in Münster noch ein Urteil würde sprechen können. Maximalziel der AfD dürfte sein, ein für sie ungünstiges Urteil – also eine erneute Bestätigung der von ihr angefochtenen Einstufung durch ein Gericht – vor der EU-Parlamentswahl im Juni und den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen zu verhindern.

Die AfD-Anwälte Michael Fengler und Christian Conrad stellten am Mittwoch mehrfach fast wortgleiche Anträge zur Benennung von Zeugen, in denen nur die Namen von Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes ausgetauscht wurden. Zum wiederholten Mal beantragt wurde auch eine Vertagung, und zwar um mindestens sechs Wochen. Am Nachmittag stellte die Prozessvertretung zudem erneut einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter, Gerald Buck, den dieser zurückwies.

Conrad beantragte zudem wie schon am Tag zuvor, vorübergehend die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen. Begründet wurde dies mit dem Wunsch nach detaillierteren Angaben zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegen die Partei durch den Verfassungsschutz. Am Dienstag abend hatte Thilo Korte, »Erster Direktor« des Bundesamtes für Verfassungsschutz, erklärt, »nur zwei der einigen Tausend Belege«, die dem Gericht dazu vorgelegt worden seien, würden »Äußerungen oder Verhaltensweisen von menschlichen Quellen des Verfassungsschutzes beinhalten«. Ob es sich dabei um V-Leute oder verdeckte Ermittler handelt, blieb offen.

Am Mittwoch betonten die Vertreter des Inlandsgeheimdienstes, die Belege für die Einstufung der AfD stammten hauptsächlich aus Reden und Social-Media-Posts von Mandatsträgern und Funktionären. Es sei auszuschließen, dass Mitarbeiter oder Informanten des Verfassungsschutzes diese provoziert haben könnten. Der Anwalt des Bundesamtes warf der Gegenseite vor, sie habe bei ihren Nachfragen zu möglicher Einflussnahme von Informanten keine Anhaltspunkte vorgetragen, die auf eine »Fremdsteuerung« oder »Manipulation« hindeuten könnten.

Bei dem Thema agiert der Verfassungsschutz erkennbar vorsichtig: Im März 2003 war das erste von zwei erfolglosen Verbotsverfahren gegen die faschistische NPD, die sich heute Die Heimat nennt, wegen der zahlreichen V-Leute auch in der Führungsriege der Partei eingestellt worden, da das Bundesverfassungsgericht deren steuernden Einfluss auf die Partei für nicht vereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren hielt – es war nicht mehr auseinanderzuhalten, wo die NPD begann und der Staat aufhörte.

Der Inlandsgeheimdienst versicherte, gründlich geprüft zu haben, ob im Zuge der »Verdachtsfall«-Bearbeitung der AfD und ihrer Jugendorganisation Mitglieder von Landes- oder Bundesvorständen als V-Personen eingesetzt wurden, von denen eine »steuernde Einflussnahme« hätte ausgehen können. Das sei im relevanten Zeitraum nicht der Fall gewesen. Thema am Mittwoch war auch der Einsatz von sogenannten virtuellen Agenten, also Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die online mit einer anderen Identität unterwegs sind.

Unterdessen wurde am Mittwoch eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht, laut der es mit der oft beschworenen »Brandmauer« anderer Parteien zur AfD zumindest in der Kommunalpolitik nicht weit her ist. Die Autoren fanden bei der Recherche in Sitzungs- und Abstimmungsprotokollen in den ostdeutschen Bundesländern aus dem Zeitraum 2019 bis 2023 insgesamt 105 Beispiele, bei denen Lokalpolitiker von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP oder Linkspartei mit der AfD stimmten oder sich mit der Rechtsaußenpartei zusammentaten. In 52 Fällen betrifft das die CDU, in 22 Fällen die FDP, 13 Mal die SPD, 10 Mal die Linke und fünfmal Bündnis 90/Die Grünen.

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