4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Freitag, 3. Mai 2024, Nr. 103
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Polens Rechte

»Wir sind im Krieg«

Polens Rechte versucht, ihre Anhänger bei kämpferischer Laune zu halten
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
imago0096971961h.jpg
Applaudieren sich gern gegenseitig: PiS-Chef Jarosław Kaczyński und GP-Chefredakteur Tomasz Sakiewicz (Warschau, 16.2.2020)

Września ist dem Gedächtnis jedes polnischen Patrioten teuer. In der Kreisstadt etwa 50 Kilometer östlich von Poznań begann 1901 ein Schulstreik polnischer Kinder, die sich weigerten, im Religionsunterricht auf deutsch gestellte Fragen zu beantworten. Beten wollten sie polnisch. Ein Denkmal erinnert heute an die 118 Kinder und Jugendlichen, die sich für ihre »Treue zum Polentum« vom deutschen Lehrer verprügeln ließen.

Heute ist der Volkswagen-Konzern größter Arbeitgeber der 30.000-Einwohner-Stadt, aber unter der alltäglichen Oberfläche sind bei einem Teil der Bewohner Animositäten gegen alles Deutsche erhalten geblieben. Man merkte es an diesem Dienstag, als im Saal eines örtlichen Hotels etwa 300 Interessenten zu einer Veranstaltung des örtlichen »Klubs der Gazeta Polska« gekommen waren. Die Gazeta Polska (GP) ist ein weit rechts stehendes Wochenblatt mit einer verkauften Auflage von knapp 20.000 Exemplaren. Ihre Klubs sind rechtskonservative Basisorganisationen. Wie der am Dienstag anwesende GP-Chefredakteur Tomasz Sakiewicz erläuterte, bewusst dezentral organisiert, um mögliche Repressionen zu erschweren.

Repressionen? Die einzig erkennbare besteht darin, dass die Zeitung seit dem Regierungswechsel in die Verlustzone gerutscht sein dürfte, denn über bezahlte Anzeigen öffentlicher Unternehmen erzielte das Blatt 2022 rund 42 Prozent seiner Einnahmen. Man kann auch sagen, dass die PiS-Regierung die Zeitung massiv subventioniert hat. Das ist jetzt weggefallen. So ist ein wesentlicher Inhalt des Abends die Werbung für die Gazeta Polska und das zweite Projekt von Tomasz Sakiewicz: Das konservative Meinungsfernsehen TV Republika. Auf der Versammlung werden Zettel mit der Kontonummer des Senders herumgereicht.

Um hierfür zu motivieren, dramatisieren Sakiewicz und seine Mitredner die innenpolitische Lage in Polen nach Kräften. Niemand wisse, was das »Tusk-Regime« nach seinem »brutalen Zugriff auf die freien Medien« noch vorhabe, unkt Sakiewicz. Sein Redaktionskollege Piotr Lisiewicz ruft in den Saal: »Wir sind im Krieg«, der im Wahlkreis Września gewählte PiS-Abgeordnete Zbigniew Dolata warnt davor, dass die neue Erziehungsministerin Barbara Nowacka patriotische durch »linksradikale« Unterrichtsinhalte ersetzen wolle. Ein anderer Abgeordneter agitiert für die »polnischen Bauern«, die »die besten Lebensmittel der Welt« produzierten, aber von den »Brüsseler Bürokraten« in den Ruin getrieben werden sollten – im Interesse von Bill Gates und den »Globalisten«. »Ich bitte euch, kauft polnische Lebensmittel direkt beim Bauern, nicht diesen ganzen deutschen Scheiß aus dem Supermarkt«, an dieser Stelle ist Robert Bąkiewicz in seinem Element. Der Anführer des nationalistischen »Unabhängigkeitsmarsches« in jedem November. Er nennt die EU eine »kommunistische Erfindung« und stellt in der deutschen Bundesregierung »Marxisten« fest, die Polen und alle anderen Nationalstaaten auflösen wollten. Prasselnder Beifall dankt es ihm.

In der Fragerunde dann geht es um die Zukunft der Rechten: Sollten sie sich nicht organisatorisch vereinigen? Bąkiewicz ist skeptisch: Man müsse verschiedene Zielgruppen ansprechen können, auch die, die von der PiS frustriert seien – gemeint sind vor allem die Schläger und Fußballfans, die auf seine Demonstrationen kommen. Sakiewicz deutet an, dass er es nicht für besonders weitsichtig halte, dass sich PiS-Chef Jarosław Kaczyński an seinem Posten festklammere. Auch dass es Kaczyński nicht für nötig gehalten habe, seine TV Republika schon zu eigenen Regierungszeiten zu einem kommerziellen Meinungskanal auszubauen – und ihm damit einen noch größeren Haufen Geld zuzuschanzen – räche sich jetzt, wo der Zugriff auf die öffentlichen Medien verloren gegangen sei. Der Abgeordnete Dolata ruft zum Schluss auf, trotz aller taktischen Differenzen am 7. April einheitlich für die Kandidaten der »Vereinigten Rechten« zu stimmen. Es knirscht vernehmlich auf dieser Seite der polnischen Szene.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

  • Oihana Goiriena darf mit ihrem inhaftierten Mann nicht einmal te...
    08.03.2024

    »Er wird zum Schweigen gebracht«

    Nicht genehme Berichterstattung zum Ukraine-Krieg: Spanischer Journalist seit zwei Jahren in Polen inhaftiert. Ein Gespräch mit Oihana Goiriena
  • »TEMS« fördert den Aufbau von Plattformen in Konformität mit dem...
    09.02.2024

    Ziel Datenhoheit

    Europaweites Medienprojekt »TEMS« soll Gegengewicht zu US-amerikanischen Plattformen schaffen. Involviert sind auch Partner aus Non-Profit-Bereich
  • 09.01.2024

    Lizenz zum Hetzen

    Polens Exregierungspartei PiS hat den Verlust der Kontrolle über das staatliche Fernsehen schnell kompensiert

Regio:

Mehr aus: Schwerpunkt