»Wir sind im Krieg«
Von Reinhard Lauterbach, PoznańWrześnia ist dem Gedächtnis jedes polnischen Patrioten teuer. In der Kreisstadt etwa 50 Kilometer östlich von Poznań begann 1901 ein Schulstreik polnischer Kinder, die sich weigerten, im Religionsunterricht auf deutsch gestellte Fragen zu beantworten. Beten wollten sie polnisch. Ein Denkmal erinnert heute an die 118 Kinder und Jugendlichen, die sich für ihre »Treue zum Polentum« vom deutschen Lehrer verprügeln ließen.
Heute ist der Volkswagen-Konzern größter Arbeitgeber der 30.000-Einwohner-Stadt, aber unter der alltäglichen Oberfläche sind bei einem Teil der Bewohner Animositäten gegen alles Deutsche erhalten geblieben. Man merkte es an diesem Dienstag, als im Saal eines örtlichen Hotels etwa 300 Interessenten zu einer Veranstaltung des örtlichen »Klubs der Gazeta Polska« gekommen waren. Die Gazeta Polska (GP) ist ein weit rechts stehendes Wochenblatt mit einer verkauften Auflage von knapp 20.000 Exemplaren. Ihre Klubs sind rechtskonservative Basisorganisationen. Wie der am Dienstag anwesende GP-Chefredakteur Tomasz Sakiewicz erläuterte, bewusst dezentral organisiert, um mögliche Repressionen zu erschweren.
Repressionen? Die einzig erkennbare besteht darin, dass die Zeitung seit dem Regierungswechsel in die Verlustzone gerutscht sein dürfte, denn über bezahlte Anzeigen öffentlicher Unternehmen erzielte das Blatt 2022 rund 42 Prozent seiner Einnahmen. Man kann auch sagen, dass die PiS-Regierung die Zeitung massiv subventioniert hat. Das ist jetzt weggefallen. So ist ein wesentlicher Inhalt des Abends die Werbung für die Gazeta Polska und das zweite Projekt von Tomasz Sakiewicz: Das konservative Meinungsfernsehen TV Republika. Auf der Versammlung werden Zettel mit der Kontonummer des Senders herumgereicht.
Um hierfür zu motivieren, dramatisieren Sakiewicz und seine Mitredner die innenpolitische Lage in Polen nach Kräften. Niemand wisse, was das »Tusk-Regime« nach seinem »brutalen Zugriff auf die freien Medien« noch vorhabe, unkt Sakiewicz. Sein Redaktionskollege Piotr Lisiewicz ruft in den Saal: »Wir sind im Krieg«, der im Wahlkreis Września gewählte PiS-Abgeordnete Zbigniew Dolata warnt davor, dass die neue Erziehungsministerin Barbara Nowacka patriotische durch »linksradikale« Unterrichtsinhalte ersetzen wolle. Ein anderer Abgeordneter agitiert für die »polnischen Bauern«, die »die besten Lebensmittel der Welt« produzierten, aber von den »Brüsseler Bürokraten« in den Ruin getrieben werden sollten – im Interesse von Bill Gates und den »Globalisten«. »Ich bitte euch, kauft polnische Lebensmittel direkt beim Bauern, nicht diesen ganzen deutschen Scheiß aus dem Supermarkt«, an dieser Stelle ist Robert Bąkiewicz in seinem Element. Der Anführer des nationalistischen »Unabhängigkeitsmarsches« in jedem November. Er nennt die EU eine »kommunistische Erfindung« und stellt in der deutschen Bundesregierung »Marxisten« fest, die Polen und alle anderen Nationalstaaten auflösen wollten. Prasselnder Beifall dankt es ihm.
In der Fragerunde dann geht es um die Zukunft der Rechten: Sollten sie sich nicht organisatorisch vereinigen? Bąkiewicz ist skeptisch: Man müsse verschiedene Zielgruppen ansprechen können, auch die, die von der PiS frustriert seien – gemeint sind vor allem die Schläger und Fußballfans, die auf seine Demonstrationen kommen. Sakiewicz deutet an, dass er es nicht für besonders weitsichtig halte, dass sich PiS-Chef Jarosław Kaczyński an seinem Posten festklammere. Auch dass es Kaczyński nicht für nötig gehalten habe, seine TV Republika schon zu eigenen Regierungszeiten zu einem kommerziellen Meinungskanal auszubauen – und ihm damit einen noch größeren Haufen Geld zuzuschanzen – räche sich jetzt, wo der Zugriff auf die öffentlichen Medien verloren gegangen sei. Der Abgeordnete Dolata ruft zum Schluss auf, trotz aller taktischen Differenzen am 7. April einheitlich für die Kandidaten der »Vereinigten Rechten« zu stimmen. Es knirscht vernehmlich auf dieser Seite der polnischen Szene.
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vom 14.03.2024