4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Rechtsruck in Portugal

Wer ist Chega?

Portugal: Neue rechte Partei mit wirtschaftsliberalem Programm und elitärem Personal verzeichnet Wahlerfolge
Von Susanne Knütter
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»Portugal braucht eine Säuberung«: Der Chega-Vorsitzende André Ventura zeigt, wo er angeblich ansetzen will

Rechtsruck in Portugal. So lautet das einhellige Urteil bei Betrachtung der Ergebnisse der vorgezogenen Parlamentswahlen in Portugal am Sonntag. Das Rechtsbündnis aus dem konservativen Partido Social Demócrata (PSD), dem Centro Democrático e Social (CDS) und dem Partido Popular Monárquico (PPM) – die »Demokratische Allianz« – gewann knapp vor den Sozialisten. Und was 50 Jahre lang als ausgeschlossen galt, ist nun auch in Portugal Realität: Eine extreme Rechte erntet Wahlerfolge. Die 2019 gegründete Partei »Chega!« (»Es reicht!«) errang 18 Prozent der abgegebenen Stimmen, nachdem sie bei den letzten Wahlen 2022 bereits sieben Prozent erreicht hatte. Und das bei einer deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung: Gut 66 Prozent der Wahlberechtigten suchten am Sonntag die Wahlurnen auf – die höchste Beteiligung seit 1995.

Wer ist Chega, was will sie und wer wählt sie? Ganz groß schreibt die Partei die »Eigenverantwortung«, in der sie die »Voraussetzung für Menschenwürde, gesellschaftlichen Zusammenhalt, Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden« sieht. »Soziale Dystopien« lehnt Chega ab. In ihrem Parteiprogramm bezieht sie sich explizit auf die Russische Revolution von 1917, mit der nach Meinung von Chega eine »Viktimisierung« einhergegangen sei, die sich in der ganzen Welt verbreitet habe. Individuen und Kollektive definierten sich demnach als Opfer und instrumentalisierten diesen Zustand, um diejenigen, die sie als Unterdrücker beschuldigten, zu belasten. Das widerspreche dem Grundsatz von »Freiheit und Gleichheit«, breche mit dem »Ideal nach der unaufhörlichen Suche nach Harmonie« und sei unvereinbar mit dem europäischen und portugiesischen Ursprungsgedanken. Entsprechend definiert sich Chega als liberal, konservativ, nationalistisch und rechts. Verbindungen mit dem extremistischen und fundamentalistischen politischen Spektrum lehnt sie nach eigenen Angaben ab.

Das Programm spiegelt sich in der sozialen Zusammensetzung der Abgeordneten und der Wähler. Die zwölf Abgeordneten im Parlament sind in der Hauptsache Juristen, Ärzte, Banker, Unternehmer oder Professoren, viele waren zuvor im PSD oder dem CDS. Überwiegend gewählt wird Chega laut Studien von Forschern der Universität Lissabon aus den Jahren 2020 und 2022 von Männern mit höherer Bildung, die jünger als 54 sind. Insgesamt habe sich bereits seit 2011 der Zusammenhang zwischen hohem Einkommen und der Neigung, Mitte-rechts zu wählen, verstärkt. Ihre größten Wahlerfolge hatte Chega am Sonntag im nach wie vor eher konservativ geprägten Norden, in den Bezirken Porto und Braga und mit Faro im touristischen Süden sowie in Santarém. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chega auch im einst kommunistisch dominierten Alentejo erheblich an Stimmen zugelegt hat.

Chega profitiert derzeit nicht nur von Korruptionsskandalen und einer stärkeren Zuwanderung, die die Partei nutzt, um Ängste vor Überfremdung und Kriminalität zu schüren. Sie erntet im Grunde die Saat einer jahrelangen Sparpolitik im Zuge der Währungskrise, die sich aktuell in einem drastischen Wohnraumproblem ausdrückt. Zwischen 2013 und 2022 wurden etwa 150.000 Wohnungen gebaut – laut der CGD-Bank in Portugal viermal weniger als in dem Jahrzehnt davor. Gleichzeitig wurde unter anderem durch die Vergabe »Goldener Visa« die Immobilienspekulation vorangetrieben. Das im letzten Oktober verabschiedete Programm »Mais Habitação« des seit 2022 allein regierenden sozialdemokratischen Partido Socialista (PS) sieht zwar Zwangsvermietungen von Wohnungen vor, die seit mehr als zwei Jahren leerstehen. Ferien- und Zweitwohnungen zur Eigennutzung oder zur vorübergehenden Vermietung sind davon aber ausgenommen. Dabei sei in Kernlissabon laut ZDF der Großteil bereits in Ferienwohnungen umgewandelt. Mittlerweile liegen die monatlichen Mieten in der Hauptstadt bei zehn bis 18 Euro pro Quadratmeter, die Löhne bei 800 bis 1.000 Euro.

Auch Chega hat keine besseren Ideen zur Lösung der Wohnungsnot: Sie setzt auf weniger Bürokratie, eine Rücknahme der Zwangsvermietung, »Public Private Partnership«, um Grundstücke für den Wohnungsbau bereitzustellen und eine Steuerbefreiung für »Built-to-rent-Projekte«, die sich verpflichten, Immobilien für einen Zeitraum von 15 Jahren auf dem Mietmarkt zu halten. Der einzige Unterschied: Die Partei skandiert »Portugiesen zuerst«. Und so ist es wohl: Não há capitalismo sem racismo (Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus).

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