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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Museumslandschaft

Mama, es mieft so germanisch

Was Hänschen im Berliner »Deutschland-Museum« nicht lernt, erklärt Hans ihm hinterher nur schwer
Von Norman Philippen
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Wer summt hier Becher? Auferstanden aus Ruinen im »Deutschlandmuseum«

Historisch clever war es vielleicht, dass das sogenannte Deutschland-Museum an »dem 17. Juni« 2023 eröffnete. Nur klug im Sinne der PR war es nicht, da (Hauptstadt-)Presse wie Volk zu diesem Datum für einen Museumstag zu sehr in Volksaufstandsfeiereien verstrickt waren. So erfuhr auch der Autor erst jüngst von der die Berliner Museumslandschaft bereichernden 4D-Immersion zur zweitausendjährigen »deutschen« Geschichte, die in Berlin-Mitte gleich rechts vom »Deutschen Spionagemuseum« erzählt wird – das per Kombiticket gleich mitbesucht werden kann, da es praktischerweise denselben Leuten gehört.

Da die Betreiber um ihren historischen Auftrag zugunsten auch zukünftiger Generationen bestimmt wissen, fällt die deutsche Deutung der des Dutzends präsentierten deutschen Epochen denn auch dezidiert familienfreundlich aus. Hinter dem Drehkreuz erwarten die kleinen und großen Besucher daher, historisch durchaus haltbar, nicht gleich Hakenkreuze. Sondern ein zu Familienspaziergängen einladender, fast natürlich die Schuhsohlen schmeichelnder Kunststoffwaldboden. Dem entwachsen zu kurz geratene Betoneichen so echt, dass ihr Plastiklaub das wenige Licht im Dunkeldeutschland anno 9 u. Z. derart täuschend bricht, dass man die links und rechts über breite Bildschirme huschenden, digitalen Römer und Germanen aus dem Augenwinkel für real halten und »Arminius« und die »Varusschlacht« als germanischen Gründungsmythos historisch fast verbürgen könnte. Dank auch der vierten Dimension, die die erste Epoche »Die Germanen« so waldmeisterlich duften lässt.

Modriger müffelt›s nebenan im »Frühmittelalter«, wo, lange, nachdem ein großer Karl auch den Sachsen seine karolingische Minuskel samt Christentum zur Übernahme präsentiert hatte, 955 ein anderer gekrönter Otto eine ebenso kinderfreundlich unblutig errungene »Herrschaft des Königs über alle Stämme« erzielen konnte. Treppauf versteigt es sich ins Hochmittelalter bzw. in die »Zeit Friedrichs II.«, wo »wir uns mitten in der Blütezeit des Rittertums, des Burgenbaus und des Minnesangs« befinden. In einem Wehrgang, wo, hält man links den Kopf durch die Gitter, um einen genaueren Blick auf das virtuelle Lanzenturnier unten zu erhalten, eine Brise durch den Pony geht, wie sie 1212 hätte wehen können. Bevor oder nachdem per mäßig interaktiver Bildschirmpräsentation Bildung erfahren und an den Nachwuchs simultan apostrophiert werden kann, lässt sich in einer Art Beichtschrank noch ein Minnesangschlager komponieren.

Den kann man dann im Epochenraum »Reformation« summen, derweil sich in den wenigen unverklebten Seiten eines dicken Buchs zu Martin Luther nachschlagen lässt: »Luther sieht wie viele seiner Zeitgenossen Juden negativ. Mit zunehmendem Alter wächst sein Hass auf sie und er fordert die Landesherren zu ihrer Vertreibung auf. / Luthers Fähigkeit, seine Gedanken eingängig und bildhaft zu äußern, hinterlässt in der deutschen Sprache ihre Spuren.« Auf den Punkt gebracht. Es folgt eine entsprechend wortkarge Präsentation der bekanntlich so wortreich wie erfolglos durchgespielten »Aufklärung«. Während sich schon größere Besucher noch fragen dürfen, ob ein scheibenloses Diorama zur Einführung der Kartoffel durch den großen Kartoffelkönig Friedrich, Kants durch den Raum hallende Definition der Aufklärung als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit plus zwölf – durch nichts als Name, Geburtsdatum und Profession (Johann Wolfgang von Goethe / 1749–1832 / Schriftsteller) kontextualisierte – Gipsbüsten genügen, um ihren Kleinen später beantworten zu können, wie es 1848 »wegen der weitverbreiteten Unzufriedenheit der Bevölkerung zur Revolution« (Epoche sechs) kommen konnte, sind die meisten schon im »Kaiserreich« angekommen. Manche gar schon in der »Weimarer Republik«. Einer schlimmen Zeit: »Die Rechten hetzen gegen den Friedensvertrag, den Linken ist der Staat zu ›bürgerlich‹.« Ein Schattenspiel wirft zwei sich nach einem Schwarzmarkt­deal hinter Gittern prügelnde Halbweltschatten auf eine Mauer. Ein paar Meter weiter rechts kann man ermitteln, wer Drogen aus einer Apotheke stahl. Spoiler: eine Mutter. Für ihr Kind.

Ungemütlich dunkel wird es in den drei Gängen zur Naziherrschaft, durch die Stiefeltritte schallen, wenn es vorbei an Dutzenden schwarzen, den rechten Arm reckenden Holzschnitten, die muffigen 50er und 60er durchs Wohnzimmer in den Hausflur und die Treppe wieder hinunter in die etwas hellere Epoche »Zwei Staaten« geht. Da gibt es orange Infotafeln zum Um-die-Achse-drehen. Tafel fünf zum »Terror« zum Beispiel. Darauf steht unter »West« was von der RAF, die im Zuge von 1968 versuchte, »durch ­Terror gegen den Staat das westdeutsche System umzustürzen«. Dreht man ostwärts, kann man lesen: »Als Organ der Machtsicherung baut das Ministerium für Staatssicherheit ein weitreichendes Überwachungssystem …« Die DDR-Kultur repräsentiert im wesentlichen Karat. Doch auch westlichen Staatsterror verschweigt die museale Immersion am Ende nicht: Ins »Wiedervereinigte Deutschland« fährt man bis zum Ausgangsdrehkreuz wie gewohnt per Westberliner S-Bahn. Aus den Fenstern kann man deutsche Zäsuren wie den Bau des Potsdamer Platzes bewundern. Und die Sportfreunde Stiller singen, was seit spätestens 2006 alle größeren Deutschen wissen: »Vierundfünfzig, vierundsiebzig, neunzig, zweitausendzehn / Ja, so stimmen wir alle ein / Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein / Werden wir Weltmeister sein.« Oder demnächst wenigstens Europameister. Gut für Land und Leute, dass das »Deutschland-Museum« den »Museums-Oscar« Thea Award längst gewann und nun ein heißer Anwärter für die World Travel Awards in der Sparte »Europe‹s Leading New Tourist Attraction 2024« ist.

Hinweis:

In einer früheren Fassung des Artikel wurde angemerkt, auch das Berliner »DDR-Museum« befände sich im Besitz »derselben Leute« wie das »Deutsche Spionagemuseum« und das »Deutschlandmuseums«. Dies ist falsch und wurde gestrichen. (jW)

Deutschland-Museum, Leipziger Platz 7, Berlin

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