junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 6 / Ausland
Arabische Halbinsel

Machtverschiebungen im Jemen

Al-Qaida-Chef gestorben. Ansarollah rekrutieren Hunderttausende
Von Jakob Reimann
6.JPG
Der Einsatz für das bedrängte Gaza hat das Ansehen der Ansarollah im Jemen nur gesteigert (Sanaa, 21.2.2024)

Der Emir ist tot: Am Sonntag hat der jemenitische Ableger der Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) per Videobotschaft den Tod seines Anführers Khalid Al-Batarfi verkündet. Die Todesumstände sind unklar, doch wird der Mittvierziger im Video in einem Leichentuch gezeigt. Die US-Regierung führte Al-Batarfi auf ihrer Terrorliste und hatte ein Kopfgeld in Höhe von fünf Millionen US-Dollar auf ihn ausgesetzt. 1999 ging er nach Afghanistan und kämpfte ab 2001 gegen die US-Invasion, heißt es in The Hindu. Im Februar 2020 übernahm er die Führung der AQAP, nachdem sein Vorgänger durch einen US-Drohnenschlag getötet wurde. In dem Video vom Sonntag wurde zugleich Saad bin Atif Al-Awlaki als neuer Anführer gepriesen. Auf dessen Kopf wiederum haben die USA sechs Millionen Dollar ausgesetzt.

Der jemenitische Ableger der Al-Qaida galt lange Zeit als einer der mächtigsten und gefährlichsten Zweige des Netzwerks. So sollen der Charlie-Hebdo-Anschlag 2015 sowie der Angriff auf den US-Zerstörer USS Cole im Jahr 2000 auf dessen Konto gehen. Nach Eroberung des Gouvernements Abjan im Jahr 2011 wurde der jüngst verstorbene Al-Batarfi in Tais festgenommen und saß dann vier Jahre im Gefängnis in der Küstenstadt Mukalla. Anfang April 2015 wurde er kurz nach Beginn des Jemen-Kriegs zusammen mit rund 300 Insassen, darunter viele hochrangige AQAP-Kommandeure, bei einem Gefängnisausbruch befreit, wie CBS News damals berichtete. Mukalla, das zu der Zeit noch unter Kontrolle der mit dem Westen und Saudi-Arabien verbündeten Regierung von Abed Rabbo Mansur Hadi stand, wurde daraufhin von AQAP eingenommen und galt als Hauptstadt ihres ausgerufenen »Emirats«. Der britische Telegraph veröffentlichte Fotos von Al-Batarfi im eingenommenen Gouverneurspalast, die den Machtanspruch der Gruppe über die Region verdeutlichen sollten. Ein Jahr später wurde Mukalla im April 2016 zurückerobert, so dass AQAP nur noch kleinere Areale zumeist in den dünn besiedelten Wüstengebieten im Landesinneren kontrolliert.

Der zumindest zeitweilige Erfolgszug der AQAP konnte nur gelingen, da die Islamisten es verstanden, das nach dem Kriegsbeginn im März 2015 entstandene Machtvakuum in weiten Teilen im Zentrum, Süden und Osten des Landes geschickt für sich zu nutzen – die Truppen der Zentralregierung waren im Kampf gegen die Ansarollah (»Huthis«) im Westen und Norden gebunden. Damals begann die von Saudi-Arabien und den Emiraten geführte neunköpfige arabische Koalition ihren Krieg gegen die Bevölkerung des Jemen und hat damit eine der größten humanitären Katastrophen der jüngeren Geschichte zu verantworten. Vorgebliches Ziel war die Niederschlagung des Aufstandes der Ansarollah, die in den Monaten zuvor weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle brachten.

Während AQAP nur noch ein randständiger Akteur im Jemen ist, sind die Ansarollah zur dominierenden Kraft aufgestiegen. Sie kontrollieren die Hauptstadt Sanaa, alle Ministerien und jene bevölkerungsreichen Landesteile, in denen rund Dreiviertel der jemenitischen Bevölkerung leben. Die restlichen Gebiete im Süden und Zentrum werden teils von verschiedenen separatistischen Bewegungen beherrscht oder von der jemenitischen Exilregierung, die von Saudi-Arabien und verschiedenen westlichen Mächten unterstützt wird. Die werfen den Ansarollah eine zunehmend »autoritäre« Regierungsweise vor, gestützt auf Berichte über die angebliche Verfolgung politisch Andersdenkender und verhängte Todesstrafen aufgrund vermeintlicher Spionage oder Homosexualität. Auch gab es im vergangenen Jahr vereinzelte Proteste gegen die Herrschaft der Ansarollah. Seit sie jedoch aktiv als Partei gegen Israel in den Gazakrieg eingetreten sind, schließen sich die Reihen, und politischer Dissens weicht der Solidarität mit den Menschen in Palästina. Es gab mehrfach Massenkundgebungen mit Hunderttausenden Teilnehmern. Nach eigenen Angaben konnten die Ansarollah seit Kriegsbeginn 200.000 Kämpfer rekrutieren, berichtete Al-Dschasira Mitte Februar, während ein Forscher aus Sanaa die Neurekruten auf 150.000 beziffert. Mit neuen Kämpfern in dieser Größenordnung könnten sie zu einer der größten und kampfstärksten Streitkräfte der gesamten Region aufsteigen.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Ähnliche:

  • Kriegspartei: Soldaten der Vereinigten Arabischen Emirate 2015 a...
    18.08.2018

    Folter im Geheimgefängnis

    Schwere Vorwürfe gegen Vereinigte Arabische Emirate im Krieg gegen den Jemen. Inhaftierte werden misshandelt, zivile Ziele bombardiert
  • Rücksichtslose Einmischung. Seit März 2015 führt eine von Saudi-...
    24.08.2017

    Krieg im Armenhaus

    Die saudische Militärintervention im Jemen ist ein einziger Fehlschlag und hat zu einer humanitären Katastrophe in dem arabischen Land geführt

Mehr aus: Ausland