Das Problem mit dem Erdgas
Von Wolfgang PomrehnUm die (unzureichenden) Ziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen, muss der Erdgasverbrauch in Deutschland drastisch reduziert werden. Das ist das Ergebnis einer sogenannten Metastudie, die das Freiburger Ökoinstitut im Auftrag des Projekts »Gaswende« durchgeführt und Ende Februar veröffentlicht hat.
Für diese wurden fünf Studien über den Weg zur Klimaneutralität sowie sieben verschiedene Szenarien ausgewertet und miteinander verglichen. Fazit: Schon in den nächsten zehn Jahren muss der Erdgasverbrauch um 28 bis 63 Prozent sinken und danach noch stärker, denn auch bei der Verbrennung von Erdgas wird das Klimagas CO2 freigesetzt. Verbraucht wird das hauptsächlich aus Methan bestehende Gasgemisch in ganz unterschiedlichen Sektoren. Nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft wurden 2022 36 Prozent des Erdgases in der Industrie abgesetzt, 33 Prozent an Haushalte verkauft, 20 Prozent an Unternehmen der Strom- und Fernwärmeversorgung und elf Prozent im Verkehrssektor. In der Industrie wird Erdgas unter anderem zur Wasserstoffherstellung eingesetzt, hauptsächlich jedoch in Kraftwerken für den eigenen Stromverbrauch sowie die Erzeugung von Prozesswärme verbrannt.
In allen Bereichen muss also der Erdgasverbrauch dringend zurückgefahren werden. Zum Beispiel muss für die Beheizung von Gebäuden und Warmwasserversorgung, die beide bislang zu etwa 50 Prozent mit Erdgas erfolgt, dringend Ersatz her. Wasserstoff, dessen Produktion und Einfuhren drastisch massiv ausgebaut werden sollen, wird dafür nach Ansicht der Autorinnen und Autoren dauerhaft zu teuer sein.
Eine Konsequenz ist, dass das Erdgasnetz weitgehend abgebaut oder anderweitig genutzt werden kann. »Statt 600.000 Kilometern Erdgasnetz werden wir in Zukunft nur noch wenige 10.000 Kilometer benötigen, um grünen Wasserstoff in die Industriezentren zu transportieren. Die meisten Leitungen, insbesondere die in die Wohngebiete, können dann stillgelegt werden. Kostspielige Umrüstung auf Wasserstoff lohnt hier also nicht. Für die meisten Kommunen und Stadtwerke würde Wasserstoff zur teuren Falle«, erläutert Tina Loeffelbein, Projektleiterin bei »Gaswende«, eine Initiative, die vom Oldenburger Verein »Werkstatt Zukunftsfragen« angestoßen wurde.
Die Studienergebnisse stellen allerdings auch die jüngsten Investitionen in neue Flüssigerdgasterminals an den Küsten in Frage, die selbst für den derzeitigen Bedarf überdimensioniert sind. Letzteres hatten im Februar Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin gezeigt. Die verschiedenen Studien lassen sich also so zusammenfassen: Entweder wird das Klimaschutzgesetz (weiter) missachtet, oder die neuen Anlagen werden nie völlig ausgelastet und frühzeitig abgeschrieben.
Das Klimaschutzgesetz hält fest, dass bis 2030 die Treibhausgasemissionen gegenüber dem 1990er Niveau um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent reduziert sein müssen. 2045 soll dann die sogenannte Nettoklimaneutralität erreicht sein. Das heißt, alle dann noch anfallenden Emissionen müssen mit anderen Maßnahmen wie etwa dem Filtern von CO2 aus der Luft und seiner anschließenden langfristigen Bindung kompensiert werden. Erreicht sind nach den Zahlen des Umweltbundesamtes bisher etwa 40 Prozent Emissionsminderung.
Das Gesetz benennt für die einzelnen Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Industrie und Stromerzeugung jährlich Minderungsziele, die allerdings im Verkehrs- und Gebäudesektor wiederholt verfehlt wurden. Eigentlich hätten die zuständigen Ministerien laut Gesetzestext Maßnahmenpakete vorlegen müssen, mit denen das Versäumte hätte nachgeholt werden können. Dem ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) jedoch bisher nicht nachgekommen.
Die Forderungen der zuletzt stark kriminalisierten, durch ihre Straßenblockaden bekannt gewordenen »Letzten Generation«, die von einigen Staatsanwaltschaften gar für eine kriminelle Vereinigung gehalten wird, laufen im wesentlichen darauf hinaus, dass sich die Bundesregierung an dieses Gesetz halten muss.
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– Kabinettsbeschluss zum Klimaschutzgesetz vom 12. Mai 2021: Anhebung der jährlichen Minderungsziele pro Sektor für die Jahre 2023 bis 2030 und gesetzliche Festlegung der jährlichen Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040
– 2024: Festlegung der jährlichen Minderungsziele pro Sektor für die Jahre 2031 bis 2040
– Spätestens 2032: Festlegung der jährlichen Minderungsziele für die Jahre 2041 bis 2045
– 2034: Festlegung der jährlichen Minderungsziele pro Sektor für die letzte Phase bis zur Treibhausgasneutralität von 2041 bis 2045« (https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672)
Schlicht und ergreifend: Letzte Phase soll die Treibhausgasneutralität sein. Da wird man viel CO2 in irgendwelchen geologischen Speichern einlagern, für wie lange das gelingt, weiß keiner. Nach 40 Jahren hört dann die betriebliche Haftung auf.
Ein Beispiel (es war vor dem Brexit ein »PCI«, project of Common Interest) sei zitiert: https://www.theacornproject.uk/projects: »Acorn CCS is a CO2 transportation and storage (T&S) system which reuses legacy oil and gas infrastructure to transport captured industrial CO2 emissions from the Scottish Cluster, to permanent storage 2.5km ... under the North Sea. The Scottish Cluster is a collection of industrial, power and hydrogen businesses ... to decarbonise their operations.« Ein Blick auf die Seite lohnt sich!