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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 5 / Inland
Wissenschaftszeitvertragsgesetz

FDP als Geistesblitzableiter

Einigung zu Befristungsregeln im Wissenschaftsbetrieb verspricht kaum Besserung und erntet Kritik von Beschäftigtenvertretern
Von Ralf Wurzbacher
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Zapp: Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zeigt, wo es nicht einschlägt

Für das Feld der Lohn- und Beschäftigungspolitik in der Wissenschaft gilt seit langem: öfter mal nichts Neues. Im vermeintlichen Bemühen, den prekären Arbeitsbedingungen im akademischen Mittelbau beizukommen, haben schon diverse Bundesregierungen allerhand Verrenkungen unternommen. Aber stets änderte sich im Ergebnis nichts. An deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen wird ausgebeutet wie eh und je.

Auch der nächste Anlauf durch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat das Zeug zum Rohrkrepierer. Am Sonntag verkündete sie die Verständigung der Ampelkoalition auf »neue« Regeln für Befristungen. Es sind dies aber dieselben, die sie vor zehn Monaten per Referentenentwurf zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) präsentiert hatte. Und der stieß schon damals auf deutliche Ablehnung.

Entsprechend ernüchtert zeigt man sich bei der Gewerkschaft GEW. Die Inhalte glichen »eins zu eins« der Vorlage von Anfang Juni, wobei diese damals selbst von SPD und Bündnis 90/Die Grünen kritisiert worden sei, erklärte die GEW am Montag per Medienmitteilung. Aber warum läuft das Ganze dann unter »Einigung« nach zuvor monatelangen Verhandlungen?

Kern der Pläne, die das Bundeskabinett zeitnah beschließen soll, ist eine künftig nur noch auf vier statt bisher sechs Jahre festgesetzte Befristung von Wissenschaftlern nach der Promotion (Postdoc-Phase). Weitere zwei Jahre sollen allein im Falle einer verbindlichen Anschlusszusage zulässig sein. Für die GEW ist das eine Einladung an die Hochschulen, die Betroffenen in vier Jahren durch die Postdoc-Phase zu schleusen, um sie danach auf die Straße zu setzen oder mit weiteren Zeitverträgen in Drittmittelprojekten einzusetzen. Die geforderten Dauerstellen unterhalb der Professur blieben damit weiterhin ausgeschlossen.

2007 in Kraft gesetzt, wurde das WissZeitVG mittlerweile einmal generalüberholt und zweimal zur Inspektion geschickt. Verbesserungen? Fehlanzeige. Nach der jüngsten Beurteilung, deren Ergebnisse vor zwei Jahren vorgestellt wurden, waren 2020 knapp 85 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten an Universitäten und 78 Prozent an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) auf Zeit angestellt. Die durchschnittliche Vertragslaufzeit lag an den Unis bei 18 Monaten, an den HAW bei 15. An den Unis liefen 42 Prozent der Kontrakte nicht einmal ein Jahr, an den HAW sogar 45 Prozent.

»Diese Zustände sind untragbar – sie belasten nicht nur die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern unterminieren auch die Kontinuität, Qualität und Innovationskraft von Lehre und Forschung sowie die Attraktivität des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung«, monierte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller. Der Bundestag müsse sich diesen Herausforderungen stellen und »eine umfassende Reform durchsetzen«.

Das erscheint unwahrscheinlich. Wie inzwischen üblich verfährt die Ampel auch in der Bildungspolitik nach dem Motto »Augen zu und durch«. Dabei ähnelt der Fall dem Geeiere um die BAföG-Reform. Auch da haben SPD und Bündnisgrüne Vorbehalte gegen den Kurs von Stark-Watzinger, weil die sich gegen eine überfällige Erhöhung der Bedarfssätze sperrt. Trotzdem passierte ihre Vorlage unlängst das Kabinett, und es steht zu befürchten, dass sich ihre Widersacher am Ende der Koalitionsräson beugen werden oder ihr bestenfalls minimale Zugeständnisse abringen.

Substanzlose Formelkompromisse drohen in puncto WissZeitVG. So pochen die GEW und das »Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft« (NGAWiss) seit jeher auf eine Streichung der Tarifsperre, die es den Gewerkschaften verbietet, vom Gesetz abweichende Befristungsregelungen auszuhandeln. Diese Bestimmung könnte laut »Zuleitungsschreiben«, mit dem der Gesetzentwurf ins Kabinett geht, allenfalls punktuell aufgeweicht werden, und zwar dort, wo es um die Aspekte Höchstbefristungsdauer und Zeitpunkt der Anschlusszusage geht. Voraussetzung dafür wäre jedoch eine Übereinkunft zwischen den Ampelfraktionen. Die scheiterte bisher stets an der FDP.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. März 2024 um 21:40 Uhr)
    Ein Blitzableiter muss gewisse positive Eigenschaften haben, nämlich das, was er ableiten soll oder will, auch leiten können. Solche Eigenschaften sind bei der FDP aber nicht zu finden. Im Wesentlichen stellt man dort Monaden wie »Steuersenkung«, »Markt«, »Privateigentum«, etc. fest, die allerdings nicht oder beliebig kombiniert werden. Bei der FDP »Geist« zu suchen, ist verlorene Liebesmühe. Selbst zur Ableitung eines Geistesblitzes müsste sie selbigen wenigstens kurzzeitig führen können, also »haben«. Die Frage zum Schluss: Welche künstliche Intelligenz hat das Bild zum Artikel generiert? Oder war nur eine Morphingsoftere im Einsatz, die eine Harry-Potter-Szene In Richtung 13. Fee von Dornröschen verfremdet hat?

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