4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 4 / Inland
Staat und AfD

AfD spielt auf Zeit

Münster: Verhandlung zur Einstufung der Partei. Recherche zu Fraktionsmitarbeitern
Von Kristian Stemmler
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Roman Reusch (2. v. r.) und Carsten Hütter (beide AfD) am Dienstag in Münster

Mit Händen und Füßen wehrt sich die AfD vor den anstehenden Wahlterminen dagegen, dass der Inlandsgeheimdienst sie als »rechtsextremen Verdachtsfall« klassifiziert. Vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster hat am Dienstag das Berufungsverfahren zur Einstufung der Partei begonnen.

Zum Auftakt versuchte der Anwalt der AfD, Christian Conrad, die Verhandlung mit diversen Anträgen zu verzögern. Er forderte unter anderem eine Vertagung, weil die Zeit zur Einarbeitung nicht gereicht habe, sowie die Feststellung der Befangenheit des Senats. Doch das Gericht lehnte sämtliche Anträge ab. Der Vorsitzende Richter, Gerald Buck, warf der Partei »Rechtsmissbrauch« vor; der Befangenheitsantrag sei offensichtlich grundlos.

Verhandelt wird in Münster, weil die AfD gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln Berufung eingelegt hatte. Dieses hatte im März 2022 die Einstufung der Partei und ihrer Jugendorganisation »Junge Alternative« (JA) als »Verdachtsfall« durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt, und eine Klage der AfD dagegen abgewiesen. Partei und Jugendorganisation dürfen seitdem mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Ein Vertreter des Inlandsgeheimdienstes betonte allerdings vor Gericht, die Einschätzung der AfD durch seine Behörde sei nicht final – »es gibt kein fertiges Gutachten«.

Die AfD war in Münster nur mit der zweiten Garnitur vertreten: dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Roman Reusch und Bundesschatzmeister Carsten Hütter. Die Prozessvertretung der Partei ließ sich demonstrativ Tee und Kekse in den Gerichtssaal kommen – wohl ein Zeichen, dass man einen längeren Prozess erwartet. Das Gericht hat für Mittwoch einen zweiten Verhandlungstag angesetzt. Wann es ein Urteil geben wird, blieb am Dienstag offen. Der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Peter Boehringer sagte im Deutschlandfunk, angesichts des Umfangs der zu klärenden Fragen sei eine Entscheidung nach maximal zwei Tagen mündlicher Verhandlung allein schon Grund für eine Revision.

Unterdessen veröffentlichte der Bayerische Rundfunk am Dienstag Resultate einer Recherche zu Beschäftigten der 78köpfigen AfD-Bundestagsfraktion. Demnach sind mehr als 100 Beschäftigte in Organisationen aktiv, die vom Verfassungsschutz als »rechtsextrem« eingestuft werden, darunter in der Jugendorganisation der AfD sowie in den drei Landesverbänden Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Dem BR lagen demnach mehrere interne Namenslisten aus dem Bundestag vor. Er konnte zudem Mitarbeiterverzeichnisse der Fraktion einsehen und so insgesamt mehr als 500 Personen identifizieren, die für die Fraktion oder ihre Abgeordneten arbeiten. Darunter seien Teilnehmer von Neonaziaufmärschen, Personen aus dem Umfeld der faschistischen »Identitären Bewegung«, von »Reichsbürger«-Gruppierungen und einer Gruppe rechter »Prepper«.

Mehr als die Hälfte der AfD-Abgeordneten beschäftigt demnach Personen, die in den genannten Organisationen aktiv sind. Darunter seien auch die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, bezeichnete die Recherche am Dienstag als »Teil einer üblen Kampagne« und verwies auf die in Münster laufende Gerichtsverhandlung. Die Veröffentlichung an diesem Tag sei kein Zufall.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser brachte unterdessen eine Verschärfung der Regelungen für Beschäftigte im Bundestag ins Spiel. »In Regierung und Behörden dürfen nur Menschen arbeiten, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes agieren«, versicherte die SPD-Politikerin der Rheinischen Post.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in manfred g. aus Berlin (12. März 2024 um 20:59 Uhr)
    Mit der Einschätzung der Gerichtsvorgänge sollte man sehr vorsichtig sein. Die Ausschöpfung von Rechtsmitteln sind kein »Rechtsmissbrauch«, sondern legitimes Recht und liefert die besten Gründe, um rechtsstaatliche Mittel weiter abzuschaffen. Auch die entstandene Praxis, dass Befangenheitsanträge von dem Gericht, dass damit angegriffen wird, darüber selbst entschieden wird, wurde damit begründet, dass Befangenheitsanträge nur der »missbräuchlichen« Verschleppung von Gerichtsentscheidungen dienen würden. (Das war früher nicht so und ist nachprüfbar.) Richterlichen Willkür ist damit kaum noch etwas entgegenzusetzen. Grundrechte und Rechtsmittel gelten auch für die AFD! Den Schaden bei Verstößen gegen Grundrechte und Rechtsmittel haben alle Bürger bis hin zum früheren KPD-Verbot usw. Daher Vorsicht! bei angeblichem Rechtsmissbrauch.

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