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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 2 / Ausland
Neokolonialismus

Tragödie in der Karibik

Haiti: Nicht gewählter Übergangspräsident zurückgetreten
Von Philip Tassev
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Auch in Puerto Rico protestierten Haitianer gegen Henry und seine US-Unterstützer (San Juan, 8.3.2024)

»Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.« Diese von Mao zusammengefasste marxistische Analyse musste auch Ariel Henry – bis gestern nicht gewählter Übergangspräsident Haitis – einsehen. Am Dienstag morgen verkündete er von Puerto Rico aus seinen Rücktritt. Er war dort auf seiner Rückreise gestrandet, nachdem er in Nairobi mit dem prowestlichen Präsidenten Kenias, William Ruto, über die Entsendung von kenianischen Truppen nach Haiti gesprochen hatte. Henry trägt mit seinem Rücktritt der Tatsache Rechnung, dass er über keinerlei Rückhalt mehr in der haitianischen Bevölkerung verfügt. Port-au-Prince, die Hauptstadt des ärmsten Karibikstaates, wird inzwischen größtenteils von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Diese Gruppen, in westlichen Medien meist als »Banden« oder »Gangs« bezeichnet, sind in Wirklichkeit eher als Paramilitärs zu kennzeichnen. Viele ihrer Mitglieder sind Exsoldaten oder -polizisten. Einer der mächtigsten von ihnen ist der ehemalige Polizist Jimmy »Barbecue« Chérizier, Anführer der Gruppe »G9«. Er sieht sich in der Tradition des haitianischen Revolutionärs Jean-Jacques Dessalines (1758–1806), der die vormalige französische Kolonie 1804 in die Unabhängigkeit führte, und fordert schon lange Henrys Rücktritt.

Um die Aufstellung einer Eingreiftruppe ging es auch beim Treffen der »Karibischen Gemeinschaft« (Caricom) mit US-Außenminister Antony Blinken und Vertretern aus Brasilien, Kanada, Frankreich und Mexiko in Jamaika am Montag. Nach dem Willen Washingtons soll eine UN-Truppe die »Ordnung« in Haiti wiederherstellen und einen Präsidialrat einsetzen. Dieser Rat soll einen neuen Übergangsministerpräsidenten bestimmen und Wahlen vorbereiten. Wie bei solchen Einsätzen üblich, bezahlt die US-Regierung die Rechnung, während diverse arme Länder des globalen Südens die Soldaten stellen. Neben den angekündigten 1.000 kenianischen Polizisten haben Benin, Tschad, Bangladesch und die Caricom-Mitgliedstaaten Barbados und Bahamas Einsatzkräfte angeboten. Auch Nayib Bukele, der rechte Präsident von El Salvador, der Zehntausende Bürger seines Landes als vermeintliche Bandenmitglieder ins Gefängnis werfen ließ, kündigte am Sonntag auf X seine Bereitschaft an, Truppen nach Haiti zu entsenden.

Der Staat Haiti, der die westliche Hälfte der Antilleninsel Hispañola umfasst, leidet seit seiner formellen Unabhängigkeit unter neokolonialer Abhängigkeit, vor allem von den USA und von der alten französischen Kolonialmacht, die sich die Anerkennung der Unabhängigkeit teuer bezahlen ließ. Wie hoch die Summe ist, die aus den Taschen der haitianischen Bevölkerung an die enteigneten Sklavenhalter und Plantagenbesitzer in Frankreich floss, ist unklar. Der nach Jahrzehnten der Diktatur erste demokratisch gewählte Präsident Haitis, Jean-Bertrand Aristide, forderte von Paris jedenfalls rund 21 Milliarden US-Dollar zurück. 2004 wurde er durch einen Putsch gestürzt, für den Aristide die USA und Frankreich verantwortlich machte. Ein Bericht der New York Times von 2022 stützte diese Vermutungen.

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