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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 2 / Inland
Eigentum an Produktionsmitteln

»Wir wollen die Transformation statt Reförmchen«

Brandenburg: Strategiekonferenz ab Freitag zur Vergesellschaftung von Landwirtschaft bis Sorgearbeit. Ein Gespräch mit Mascha Schädlich
Interview: Gitta Düperthal
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Es geht ums Wesentliche: Demonstration für Enteignungen von Unternehmen am 1. Mai 2021 in Berlin

Vom 15. bis 17. März werden am Werbellinsee in Brandenburg rund 800 Aktivistinnen und Aktivisten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie andere Interessierte gemeinsam mit internationalen Referentinnen und Referenten Strategien für die Vergesellschaftung der Wirtschaft entwickeln. Was ist geplant?

Wir wollen Strategien für die Vergesellschaftung der Sorgearbeit, der Mobilität und der Landwirtschaft diskutieren. So stehen zum Beispiel immer mehr »Shopping Malls« leer. Man will sie abreißen und an der Stelle neue Büros bauen. Das ist aber nicht ökologisch und geht auch am Bedarf vorbei. Deshalb sollten dort gemeinwohlorientierte Zentren eingerichtet werden.

Wir müssen die Eigentumsfrage einfach neu stellen. Das gilt auch für die Energiewirtschaft. Die Kampagne »RWE und Co. enteignen!« will die Strom- und Wärmeproduktion vergesellschaften. Nicht nach den Profiten der Konzerne soll sich alles ausrichten, sondern nach gesellschaftlichen Bedürfnissen. Und im Bereich Landwirtschaft, Ernährung und Tierwohl droht auch infolge des Höfesterbens verstärkt Privatisierung. Hier sind Menschen mit der Kampagne »Tönnies enteignen!« aktiv. Ein vergesellschafteter Betrieb muss sich schließlich an mehr als bloß am Gewinn orientieren. Wer dort arbeitet, soll demokratisch an Entscheidungen beteiligt werden.

Sie wollen nicht hinnehmen, dass Konzerne Profit mit der Zerstörung der Lebensgrundlagen machen, während Arbeit und Leben für alle immer prekärer werden. Klingt gut, aber ist Vergesellschaftung unter den aktuellen Gegebenheiten nicht utopisch?

Nein, denn der Grundgesetzartikel 15 besagt: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum (…) überführt werden.« In Artikel 14 heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Auf Grundlage dieser Artikel war die Bürgerinitiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen!« in Berlin 2021 mit ihrem Volksentscheid für die Enteignung privater Wohnungsunternehmen erfolgreich. Zwar weigerte sich der Berliner Senat, ihn umzusetzen, aber die Initiative strengt nun einen Gesetzesvolksentscheid an, um das demokratische Votum dennoch durchzusetzen. Das kann Vorbildfunkton für andere Bereiche haben. Auch die Klimagerechtigkeitsbewegung ist müde, an die Politik zu appellieren.

Ist das beispielsweise mit einer Partei wie Die Linke umsetzbar? Diese zerlegte sich selbst, die außerparlamentarische Linke steht stark unter Druck – und die Rechten haben Aufwind …

Die Wagenknecht-Bewegung hat sich von der Linken abgespalten. In diese treten neue Leute ein, das muss sich nur verstetigen. Sicher, Umfrageergebnisse von drei Prozent sehen nicht gut aus. Deshalb bringen wir außerparlamentarischen Linken jetzt den Vergesellschaftungsgedanken voran und wollen die Transformation. Dazu haben wir einen gesetzlichen Diamanten in der Hand, denn kleine Reförmchen können den zerstörerischen Kapitalismus nicht mehr ändern. Wir müssen die Systemfrage stellen, Produktions- und Reproduktionsbedingungen komplett verändern.

Die Mehrheit im Bundestag jedenfalls hält von Ihrer Vision wenig bis gar nichts.

Man glaubt dort das Märchen vom »grünen Kapitalismus«, will alles belassen, wie es ist, und wieder gewählt werden. Die Menschen sind aber nicht blöd. Viele verstehen, dass es so nicht weitergehen kann.

Hat das eine Strahlkraft in die Breite der Gesellschaft?

Die Vergesellschaftungsbewegung ist erfolgreich, weil sie Kämpfe bündelt: Sie bringt Klimaaktive und Beschäftigte zusammen. Auch ist es ja nicht so, dass wir mit einer Transformation nur zu verlieren hätten. Wir können auch gewinnen, etwa verkürzte Arbeitszeit. Wir haben keinen Masterplan, wollen aber mit und in der Gesellschaft ins Gespräch kommen: uns über die Vision austauschen; neu bestimmen, wie wir in Zukunft leben wollen; und anerkennen, dass das alte System dazu nicht funktioniert.

Mascha Schädlich ist Mitarbeiterin beim »Konzeptwerk Neue Ökonomie« in Leipzig

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. März 2024 um 22:17 Uhr)
    Grundgesetz schön und gut, auch der Artikel 15. Allerdings ist die Argumentation mit dem Grundgesetz schwierig, denn inzwischen gibt es parallel dazu die fdGO. Da kann es ganz schnell gehen, dass eine, die sich gegen die fdGO ausspricht, als VerfassungsfeindIn denunziert wird.
    • Leserbrief von Gunther Gross aus Bad Kreuznach (13. März 2024 um 13:01 Uhr)
      Dem kann ich nur zustimmen, insbesondere wenn es um die »Ver­fas­sungs­schutz­re­le­van­te De­le­gi­ti­mie­rung des Staa­tes« geht. Ist aber meines Wissens noch in der Pipeline – mal sehen, was daraus wird.

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