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Aus: Ausgabe vom 12.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Lyrik

In den Rohren klöppelt es

Peter Wawerzinek schreibt auch Lyrik. Und ist quietschfidel wie eh und je
Von André Dahlmeyer
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Man bekam sofort gute Laune: Peter Wawerzinek unterwegs (1991)

Erinnern Sie sich noch an die Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße (UVA) in Berlin-Mitte? Gelegen am Koppenplatz war dort einer der ersten neuen (offiziellen) unabhängigen Buchverlage der DDR angesiedelt, gegründet nach der Wende von dem Ehepaar Dorothea und Matthias Oehme. Deren Buchhandlungskneipe hieß Village Voice. 1991 erschien dort »Moppel Schappiks Tätowierungen« von Peter Wawerzinek, ein Buch, das mich umhaute. Das letzte Buch dort war 1993 »Keynkampf« von Key Pankonin, dem Sänger der Ichfunktion, der damals besten Ostpunkband (der Sänger trat in Sandalen auf). Dann übernahm Matthias ­Oehme den Eulenspiegel-Verlag, die tolle UVA war schon wieder Geschichte. Die »Tätowierungen« waren so besonders für mich, dass es der Band bei meiner Auswanderung bis in meine Wahlheimat Argentinien schaffte, obgleich ich ansonsten nur Bücher mitnahm, die ich noch nicht gelesen hatte. Dort steht er neben der Luchterhand-Erstausgabe von Paul-Gerhard Hübsch, »Mach, was du willst«, und stinkt bis heute gegen das subtropische Klima an.

Später traf ich Schappi, wie Wawerzinek genannt wird, hin und wieder bei meinen nächtlichen Streifzügen durch die grasovkagetränkten Straßen des Prenzlauer Bergs, in der Regel zu unwirtlichen Zeiten, weil wieder die Wirte schlapp gemacht hatten. Meist hopste er herum wie ein tollkühner Flummi, man bekam sofort gute Laune. Am schönsten war jedoch, jedenfalls für mich, dass mich dieser Sportsfreund nie mit Literatur vollmasselte. Ich ging raus, wenn mir die Literatur bis zum Halse stand.

Damals hoffte ich inständig, dass Wawerzinek nicht auch mit einem dieser Schwachmatenpreise für sogenannte Ostdissidenten behängt würde, um sie wegzujubeln wie einst Thomas Brasch. Dass Schappi ab 2010 triumphierte, ist mehr als gerecht. Es war ein anderer Kontext, und dass es bei seinem Roman »Rabenliebe« wieder um die DDR ging – was soll’s, niemand kann sich seine Herkunft aussuchen. »Ich kann nicht Antistaat mimen, wie es der Müllerheiner tat oder der Johnson versucht hat dran zu zerbrechen. (…) Ich gebe in meinem oheimlosen Kurzleben für keinerlei Deutschland den kämpferisch Wallraff oder Castorfbrussig«, schrieb Wawerzinek 2001 im Freitag. Niemand schlug solche Töne an. Das war was.

Praktisch alle Buchstabenschmieden schreiben autobiographisch. Die meisten verkleistern es, lassen ihre Erfahrungen und Gedanken in ihren Textausdünstungen anderen angedeihen, um sich zu verstecken, schon wegen dem bösen Ich-Erzähler. Wawerzinek? Hält die autobiographische Fahne hoch, beharrt darauf, stimmen wird nicht alles, muss es auch nicht. Kann es auch nicht. Wawerzinek hat über Wurzelbehinderungen geschrieben, tragikomisch, ein großer Verdienst. Roland Adelmann war ein Trinkhallengutachter, Jörg Fauser ein Frittenbudenfeldforscher, Wawerzinek ist ein Heimatdichter, ein Stegreifpoet wie Thomas Kapielski. Meinetwegen auch ein »Wanderdichter«. Oder doch ein Bänkelsänger? Schublade zu, Affe tot.

Am 28. September 2023 ist Wawerzinek 69 geworden. Aus diesem Anlass hat der Schweizer Engeler-Verlag in seiner Reihe roughbooks, die seit 2010 erscheint, Wawerzineks ersten Lyrikband ever mit dem Titel »Die letzte Buchung« herausgebracht. Der Band ist schmal, monochrom und hat eine eher existentialistische Anmutung, was gleichermaßen angenehm wie kalt wirkt. Kein Inhaltsverzeichnis, keine Angaben zum Autor. Einige Texte sind sehr kurz, Aphorismen und Momentaufnahmen, es sind die schwächeren. Uhren und Zeit sind ein scheinbar nebenläufiges Thema, der gute alte Schnitter. Leben oder Überleben. Ruhe und Stille. Wawerzinek macht klar, dass mit dem Zeigefinger zu tippen nicht gleichbedeutend damit ist, ihn zu heben, stirnzubohren. Schon im Prolog heißt es: »Möchte Sophie heißen …« Meint er die Kältesophie, die von Helga M. ­Novak?

Die Gedichte sollen eine Auswahl aus 50 Jahren sein. Lässt sich so an. Um das Chronologische zu persiflieren, hat der Schelm Wawerzinek daraus ein Konzeptalbum gemacht. Da nur ich es bemerkt habe, funktioniert es. »Das ­leise Klöppeln in den Rohren« erinnert an Knast, Verlies, ans Eingemauertsein. Oder, wie Erich Fried mal sinngemäß meinte: Wir sind alle verdammt zu lebenslanger Einzelhaft in unseren eigenen Körpern. Laut MDR soll Schappi noch sieben oder acht Bücher fabrizieren wollen. Ich wünsche mir Sonette im Zappa-Style!

Peter Wawerzinek: Die letzte Buchung. Gedichte. Engeler-Verlag, Schupfart 2023, 66 Seiten, 8 Euro

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