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Aus: Ausgabe vom 12.03.2024, Seite 4 / Inland
Opfer von Anschlägen

Gedenken auf Halbmast

Bundesweiter offizieller Tag für Opfer »terroristischer Gewalt«
Von Marc Bebenroth
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Mit dem »Nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt« hat sich am Montag auch die Bundesrepublik an der Gleichsetzung von Islamisten und Faschisten mit »Linksextremisten« beteiligt. »Nicht die Täter, sondern die Opfer müssen in unserer Erinnerung bleiben«, ließ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verlautbaren, bevor sie an der für den Nachmittag geplanten zentralen Veranstaltung im Berliner Humboldt-Forum teilnahm. »Ihnen muss unsere Aufmerksamkeit gelten«, heißt es in Faesers Stellungnahme weiter. Der Opfer staatlichen Terrors wurde am Montag jedoch nicht offiziell gedacht.

Die Innenministerin vertrete demnach die Ansicht, dass es für »das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat« unerlässlich sei, dass sich alle staatlichen Stellen »mit größtmöglicher Empathie und Unterstützung« um die Opfer und Hinterbliebenen kümmern. Die für Montag vom Protokolldienst der Bundesregierung ausgerichtete Veranstaltung begrenzte sich laut Vorabmitteilung auf eine Gedenkstunde und einen »daran anschließenden Imbiss mit der Möglichkeit zu informellen Gesprächen«. Neben Faeser sollten auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sowie der Regierungsbeauftragte für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland, Pascal Kober (beide FDP), teilnehmen.

Seit zwei Jahren ist der 11. März in der BRD offiziell Gedenktag für Opfer von Gewalttaten, die offiziell als Terroranschlag eingestuft werden. Einrichtungen des Bundes und der Länder verordnen dazu Trauerbeflaggung. Der Gedenktag knüpft an den »Gedenktag für die Opfer des Terrorismus« der EU an, der anlässlich der Madrider Zuganschläge vom 11. März 2004 begründet worden war.

Es gehe darum, den Menschen ein Gesicht zu geben, die bei einem »terroristischen oder extremistischen Anschlag aus dem Leben gerissen« worden seien, sagte Kober laut Mitteilung vom Montag. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nannte die Anschlagsorte »Berlin, München, Hanau, Halle«. Er meinte damit vermutlich den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt von 2016, in dessen Zusammenhang sowohl die Rolle staatlicher Dienste als auch das Wirken Anis Amris als »Einzeltäter« bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind. Tatsächlich den Opfern ein Gesicht gegeben hatten am 19. Februar in Berlin Tausende Menschen, die anlässlich des vierten Jahrestages des Hanau-Anschlags an die aus rassistischen Motiven Getöteten erinnerten: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.

Mit München könnte Buschmann das Oktoberfest-Attentat von 1980 gemeint haben, zumindest nennt der Protokolldienst der Regierung diesen rechtsterroristischen Anschlag als Beispiel. Hanau und Halle verweisen dagegen eindeutig auf den ebenfalls von einem Neonazi verübten Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau und den eines Faschisten auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019.

Wohl um das »Ungleichgewicht« in der Auflistung von Anschlägen in der BRD irgendwie nach links »korrigieren« zu wollen, kam Faeser in ihrer Stellungnahme auch auf die Ende Februar erfolgte Festnahme der 65jährigen Daniela Klette wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der 1998 aufgelösten Rote Armee Fraktion (RAF) zu sprechen. Der Fall beweise, dass der Rechtsstaat einen »langen Atem« habe.

Am Wochenende hatte die Ministerin eine Demonstration in Berlin verurteilt, bei der die Teilnehmenden ihre Solidarität mit Klette und dem ebenfalls wegen mutmaßlicher RAF-Mitgliedschaft gesuchten 55jährigen Burkhard Garweg sowie dem 69jährigen Ernst-Volker Staub bekundeten. »Die RAF hat 34 Menschen brutal ermordet. Da gibt es nichts, aber auch gar nichts zu verklären«, dozierte Faeser am Montag. »Auch hier sind wir es vor allem den Opfern schuldig, nichts unversucht zu lassen, um alle Verbrechen vollständig aufzuklären«, teilte die Ministerin mit. »Denn sonst bleiben quälende Fragen für immer unbeantwortet.«

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