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Aus: Ausgabe vom 08.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Frohes Leben

Kunst des Vergnügens: Ivan Illich

Von Marc Hieronimus
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»Versuch, mit großer Traurigkeit die Tatsache der westlichen Kultur zu akzeptieren«: Ivan Illich

Ivan Illich (1926–2002) war Priester, bis die katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil in seinen Augen die falschen Entscheidungen traf, verkürzt: Ja zur Atombombe, Nein zur Verhütung. 1969 legte er sein Priesteramt nieder und widmete sich fortan als »radikaler Humanist« (Erich Fromm) vor allem der publizistischen Tätigkeit. Er kam noch aus einer Zeit, in der »menschliche« Strukturen, wenn schon nicht mehr vorherrschend, so doch noch möglich und durchaus verbreitet waren. Er erlebte in Lateinamerika die Auswirkungen der forcierten Industrialisierung und »Verwestlichung« über Jahrhunderte entstandener Strukturen und Beziehungen. Er sah seine Arbeit als einen »Versuch, mit großer Traurigkeit die Tatsache der westlichen Kultur zu akzeptieren«. Dabei war er kein verhärmter Kritiker der Gegenwart oder Prophet einer düsteren Zukunft: »Ich vermute sehr, dass es möglich ist, eine Lebenskunst in der Jetztzeit zurückzugewinnen. Ich glaube an die Kunst zu leiden, an die Kunst zu sterben, an die Kunst zu leben, und, wenn es in einer nüchternen und hellsichtigen Weise passiert, glaube ich an die Kunst des Vergnügens – die Kunst, ein frohes Leben zu führen.«

Illichs Überlegungen lassen ermessen, wie viel wir im 20. Jahrhundert verloren haben und wie radikal der Sinneswandel sein müsste, der eine wirklich andere Welt überhaupt erst wieder denkbar machte. Seine bekanntesten Thesen – Schule macht dumm, das Gesundheitssystem macht krank, Verkehrsmittel machen langsam, unsere Art zu wohnen entmündigt – klingen dumm und polemisch, doch der zuletzt zehnsprachige Denker hat über jede mindestens in Buchlänge nachgedacht. Aber wie anders? »Ich plädiere für eine Erneuerung asketischer Praktiken, damit unsere Sinne in den durch die ›Show‹ verwüsteten Welten, inmitten überwältigender Informationen, lebenslänglicher Beratung, Intensivdiagnostik, therapeutischem Management, Invasion von Beratern, Terminalpflege, Geschwindigkeit, die einem den Atem raubt, lebendig bleiben.« Das kriegt jeder alleine hin.

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