junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Freitag, 10. Mai 2024, Nr. 108
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 11.03.2024, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

»Regelrecht düpiert«

Vor dem zweiten Bewegungsgipfel könnte die Stimmung zwischen Politik und Sportverbänden nicht schlechter sein
Von Andreas Müller
a-16-online.jpg
Wenn Sportpolitiker euphorisch werden: Bewegungsgipfel der Bundesregierung (13.12.2022)

»Von den Landessportbünden wird da niemand hingehen. Darauf haben wir uns verständigt. Wir sehen keinen Sinn in dieser Veranstaltung«, sagt Christoph Niessen gegenüber jW. Deutlicher könnte der Vorstandsvorsitzende des Landessportbundes (LSB) Nordrhein-Westfalen vor dem zweiten Bewegungsgipfel am 12. März die Verärgerung und den Protest des organisierten Sports gegenüber der Bundespolitik kaum formulieren. Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) indes werden teilnehmen. »Weil sie ja nicht alle Türen zuschlagen können«, so Niessen. Die jüngsten Konflikte um ein Spitzensportgesetz, um einen »Entwicklungsplan« für den Vereins- und Breitensport sowie die Ignoranz des Bundes gegenüber der nationalen Sportstättenmisere werfen die Frage auf, was dieser Gipfel eigentlich werden soll: Farce, Tragödie, Komödie – alles ist drin. Das Verhältnis zwischen Dachverband und Bundespolitik scheint belastet wie seit dem Zwist um einen Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau nicht mehr. Manche sagen, es sei zerrüttet.

»Die Situation ist vertrackt«, urteilt Sportwissenschaftler Lutz Thieme von der Hochschule Koblenz. »Die Probleme drängen. Man weiß auf beiden Seiten, dass man auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen ist und schafft es trotzdem nicht, dauerhaft eine gemeinsame kooperative und zielführende Ebene zu finden. Dieser Zustand hat sich über Jahre verfestigt«, erklärt Thieme gegenüber jW. Obwohl es seit 2021 eine neue Innenministerin und eine neue DOSB-Spitze gebe, hätten »beide Seiten nicht so zusammengefunden, dass gemeinsam begonnene Prozesse auch zu beiderseits akzeptierten Ergebnissen« führten.

Einen »Vertrauensverlust« gebe es, vornehmlich gegenüber dem für Sport zuständigen Bundesinnenministerium (BMI) und Ministerin Nancy Faeser (SPD), heißt es derzeit immer wieder. Es ist noch das harmloseste Wort, das fällt. Dabei sah es bei der Premiere des Formats »Bewegungsgipfel« im Dezember 2022 alles noch sehr harmonisch aus. Der DOSB und Vertreter von über einem Dutzend Bundesministerien wollten dem Sport einen kräftigen Schub verleihen, indem man ihn zeitgemäß als »Querschnittsaufgabe« definierte. Fünf Arbeitsgruppen wurden gebildet, um die Sportlandschaft »ganzheitlich zu denken und für die Zukunft bestmöglich aufzustellen«, wie es beinahe euphorisch hieß. 15 Monate später ist nichts davon zu sehen. Einzig das Gruppenfoto mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der damals im Trainingsanzug erschien, bleibt in Erinnerung.

Statt eines Aufbruchs reihenweise Enttäuschungen. Den »Entwicklungsplan Sport«, als »erste bundesweite Strategie zur Förderung von Bewegung und Sport für alle Menschen« gepriesen, verwandelte das BMI in ein Paradoxon auf Papier. Die Mitglieder der fünf Arbeitsgruppen erkannten zum Teil nicht wieder, was sie da lasen. Der Bund bekannte sich zwar erfreulicherweise zur Unterstützung auch der sportlichen Basis. Er machte aber sofort einen Rückzieher, wich ins Nebulöse aus und spielte den Ball an die Länder und Kommunen zurück, sobald es um vor Ort benötigte finanzielle Hilfen ging. Besonders fest verschließt man in Berlin die Augen vor den maroden Sportstätten, für deren Sanierung und Instandhaltung in diesem Jahr gerade noch 200 Millionen Euro an Fördermitteln aus dem Bauministerium fließen. Danach droht auch diese Quelle zu versiegen. Dabei wären milliardenschwere Investitionen »dringend erforderlich«, mahnte der Dachverband wiederholt an.

»Die Erwartungen, die wir an einen Entwicklungsplan Sport gestellt haben, sind im ersten Entwurf nicht erfüllt worden«, erklärt DOSB-Vizepräsidentin Kerstin Holze auf jW-Anfrage. In der Konsequenz weigerte sich der Dachverband, dieses – vom BMI inzwischen zurückgezogene – Dokument zu unterschreiben. Faeser will am Dienstag auf dem Gipfel berichten, wie es nun weitergeht. Derselbe Frust herrscht wegen des gerade vorgelegten Entwurfs eines »Sportfördergesetzes« zur Reform des Spitzensports. Dabei geht es nicht nur um den Streit, wer in der für 2025 geplanten Agentur zur Verteilung des Fördergeldes das Sagen hat. Moniert werden zudem die Umgangsformen des BMI, das mit seiner Vorlage »vollendete Tatsachen geschaffen« und damit die Verhandlungs- und Gesprächspartner aus dem Sportbereich Christoph Niessen zufolge »regelrecht düpiert« habe.

Bleibt das »Großprojekt Olympia«. Für die angestrebte Bewerbung um die Sommerspiele 2036 oder 2040 bedeute die aktuelle Situation »nichts Gutes«, so der zweimalige Bahnradolympiasieger und CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Lehmann. »Nach dem offiziellen Fahrplan müssten wir uns ja derzeit in einer Phase befinden, in der bei den Menschen die Begeisterung und Zustimmung geweckt werden sollen, wie wir das in Leipzig bei der Bewerbung für die Sommerspiele 2012 erlebt haben. Ich bin zwar ein Fan einer Bewerbung, kann aber von einer solchen Atmosphäre momentan kaum etwas spüren«, so der 56jährige gegenüber jW. »Ich stelle eher fest: Still ruht der See.«

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.