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Aus: Ausgabe vom 11.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Drei Gemälde für Hitler

»Mythos Spanien«: Das Hamburger Bucerius-Kunstforum zeigt die erste deutsche Retrospektive mit Werken von Ignacio Zuloaga – einem Maler Francos
Von Monika Köhler
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Ignacio Zuloaga: »Das Opfer der Fiesta« (1910)

Wer kennt Ignacio Zuloaga? Wenige Hände heben sich bei der Pressekonferenz, mit der das Bucerius-Kunstforum gleich neben dem Hamburger Rathaus »die große Wiederentdeckung« eines Künstlers feiert, dessen Bilder »bis heute die Identität Spaniens verkörpern«.

Ein Maler (1870–1945), der von sich glaubte, das wahre, echte Spanien zu zeigen. Außerhalb des Landes fand er mehr Bewunderung als in der Heimat. Seine Bilder von Toreros – er nahm selbst an Stierkämpfen teil –, die männliche chauvinistische Härte, die Eleganz der Flamencotänzerinnen, das Verführerische. Und daneben Szenen aus dem (einfachen) Volk, wild und ungebändigt. Das liebte man. Bilder von riesigen Ausmaßen. Das großartige Gemälde »Das Opfer der Fiesta« (1910), das in der Ausstellung eine ganze Wand einnimmt, bekam man nur schwer durch die Tür. Vor dem schwarzen Himmel hebt sich das Weiß des Pferdes ab, das wie der Reiter den Kopf hängenlässt. Ein Bein blutig, Blutspritzer überall. Kein siegreicher Held. Ein Picadero oder gar Don Quijote, wie einige Spanier in ihm zu erkennen glaubten.

Ein Bild der Niederlage. Das Land steckte in einer tiefen Krise nach dem verlorenen Krieg gegen die USA. 1898 musste Spanien seine letzten Überseekolonien aufgeben. Das schmerzte die sogenannte Generation von 1898. Der spanische Kunstkritiker Francisco Alcantara schrieb 1926, dass Zuloaga eine Bildsprache für die »rassische, nationale und geographische Tragödie« gefunden hatte, als die die damalige »Krise« erlebt wurde.

Zuloaga wurde 1870 im Baskenland geboren, fühlte sich aber dem unwirtlichen Kastilien verbunden. Dort wohnte sein Onkel Daniel, ein Keramiktöpfer, mit seinen drei Töchtern, die Zuloaga oft Modell saßen. 1898 zog er nach Segovia. Zwischendurch war er oft in Paris und lernte dort berühmte Künstler kennen. 1899 heiratete er Valentine Dethomas, die Schwester von Maxime Dethomas, einem französischen Kollegen. 1900 hatte Zuloaga seine erste Ausstellung in Berlin, die auch Rainer Maria Rilke besuchte. 1903 erhielt er die Goldmedaille der Biennale von Venedig, 1938 den Gran Premio Mussolini.

Er malt nicht nur seine liebreizenden drei Cousinen, sondern auch »Hexen« und andere irritierende Bilder älterer Frauen. »Die Frauen von Sepulveda« (1909), kaum erkennbar, so eingehüllt in ihren voluminösen gelbgrünen Umhängen. Die Gesichter hart, so wie die Landschaft im Hintergrund, in der Provinz Segovia. Eine Ansammlung von grauen Steinhäusern in den Bergen. Sepulveda war auch ein spanischer Theologe, der etwa von 1489 bis 1573 lebte. Er propagierte die Vereinbarkeit von Christentum und Krieg. So rechtfertigte er das Verhalten der Spanier in Amerika. Gewaltsame Missionierung: erlaubt, ja Gottesgebot. Zuloaga könnte an den Theologen gedacht haben. So wird die Landschaft zum symbolischen Raum, auch mit den Figuren darin.

Ein anderes Bild: »Gregorio in Sepulveda« (1908) zeigt einen kleinwüchsigen Mann vor der Berglandschaft. Dann »Gregorio el botero« (Gregor der Beutelmacher, 1907) mit einem ihn fast erdrückenden Fell über den Schultern, mit geöffneter Hose und brutalem Gesichtsausdruck. Im Hintergrund die grauen Mauern einer Stadt. Ein Bild, das José Ortega y Gasset 1911 in einem Essay ausführlich und genüsslich beschrieb: »Eine deformierte Gestalt mit schrecklichem Antlitz, breit, mit stumpfer Nase und schielend«. Die Stadt: »barbarisch, finster«. Die Bewohner: »grausam gegeneinander und sich selber der eigene Feind«. Der spanische Nachkriegsphilosoph der Deutschen grub sich ein in das Bild.

Kannte Alfred Rosenberg, der Nazichefideologe, den Text von Ortega, als er in seinem Werk »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« von 1933 schrieb: »Wenn Velázquez einen Kontrast zu einer blondlockigen kleinen Infantin schaffen möchte, so setzt er eine ›Zwergin‹ neben sie d. h. eine jener Bastardtypen, mit denen Spanien übervölkert ist. Alles Stumpfe und Erdversklavte ist von Velázquez bis Zuloaga in diesen schiefäugigen armen Krüppeln verewigt.«

In Hamburg hängt »Dona Mer­cedes« (1899), ein kleinwüchsiges Mädchen mit traurigem Gesicht, keine Landschaft im Hintergrund, im engen dunklen Zimmer. Auf dem Bild daneben zwei der Cousinen des Malers, lächelnd, kokett mit Fächern, als Gegengewicht zu der Kleinen, die eine viel zu große Kugel im Arm hält, die sie noch gedrungener erscheinen lässt.

Zuloaga setzte sich für Goya ein und für El Greco, von dem er einige Bilder kaufte. Im baskischen Zumaia richtete er 1914 im neuen Haus ein Atelier ein sowie ein Museum für sich und seine Sammlung. Das Glanzstück ist El Grecos Gemälde »Apokalypse«.

Während des Ersten Weltkriegs konnte er keine Bilder ausstellen. Danach porträtierte Zuloaga reiche US-amerikanische Touristinnen. Das verschaffte ihm Ausstellungen. Verständlich, dass er 1929 beim Börsencrash in den USA schwere Verluste erlitt. Während des spanischen Kriegs hielt er sich oft in Paris auf. 1937 bekannte er sich ganz offen zur »Sache der Nationalisten«. Zuloaga klammert sich an Traditionen und beklagte die zunehmende Europäisierung Spaniens. Er behauptete, die Republikaner hätten zahlreiche Bankfächer von ihm geplündert und auch ein El-Greco-­Gemälde mitgehen lassen.

General Francisco Franco hatte Zuloaga schon gleich nach Beginn des Kriegs für seine Zwecke gewonnen. Er ließ im Juli 1936 die – frei erfundene – Nachricht verkünden, Zuloaga sei durch die Republikaner umgebracht worden. So stand es dann auch im Goebbels-Organ Der Angriff: »Die Kommunisten ermordeten den größten spanischen Maler der Gegenwart.« Der erwies sich jedoch als sehr lebendig, malte Franco und seine Familie und andere Würdenträger des Regimes. Franco zeigte seine Verbundenheit mit Hitler 1939 durch die Schenkung von drei Zuloaga-Gemälden als Dank für die Hilfe durch die »Legion Condor«. Ganz frisch gemalt, eine »spanische Maja«, sehr konventionell, bekleidet mit allen Insignien spanischer Folklore. Wiederum als Gegengabe sollte (oder wollte) General Franco eine »große Mercedes-Benz-Limousine oder einen dreiachsigen geländegängigen Personenkraftwagen« bekommen, »wie ihn der Führer als oberster Befehlshaber der Wehrmacht benutze« (Mitteilung des stellvertretenden Protokollchefs an Ribbentrop vom 15.7.1939). Ob Franco die Gegengeschenke erhielt, ist nicht bekannt.

Diese Ausstellung mit 80 Gemälden kam zustande, weil zwei wichtige spanische Museen geschlossen hatten. Sie ist in Kooperation mit der Kunsthalle München entstanden – und noch bis zum 26. Mai 2024 zu sehen.

»Mythos Spanien. Ignacio Zuloaga 1870–1945«, Bucerius-Kunstforum, Hamburg, bis 26. Mai, Katalog: 48 Euro

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