junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 11. / 12. Mai 2024, Nr. 109
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Schön brutal

Unsung Heroes (21): Breslau
Von Frank Schäfer
imago101721080.jpg
Explizit weiblicher Ex-und-hopp-Hedonismus: Jutta Weinhold

Nach zwei Soloalben hat Jutta Weinhold genug vom Hamburger Bluesrock und will härter werden. Sie nimmt Demos auf und schickt sie an EMI. Ihre Stimme lässt das Label aufhorchen, man sucht nämlich gerade nach einem weiblichen Gesangspart für Alex Parches Band Breslau. »Das war AC/DC mit deutschen Texten«, erklärt Weinhold, »also schon ziemlich heavy. Alex Parche war ein guter Gitarrist, er hat das Konzept erfunden und die ganzen Texte geschrieben, und ich bin da eingestiegen. Leider ging das total in die Hose, weil es in die rechte Ecke gedrückt wurde.«

»Volksmusik« heißt ihr einziges, von Michael Wagner sehr roh und einfach, aber stimmig produziertes Album. Das etwas kuriose Cover spielt tatsächlich mit dem Tabubruch. Der in Fraktur gesetzte pastellgrüne Albumtitel überschreibt einen Schattenriss mit vier Wandervögeln, also Exponenten jener im Kaiserreich gegründeten Jugendbewegung, die sich vor den völkischen Karren spannen ließ. Und das Titelstück beginnt ebenfalls nicht ganz unverfänglich: »Die Musik ist schnell und hart, / nach der guten deutschen Art. / Die Menge jubelt, tobt und stampft, / es geht ab voller Dampf. / Jedes Lied singt ihr mit, / so hält sich der Deutsche fit. / Norddeutschland, Süddeutschland, / überall ist sie bekannt. / Volksmusik, so muss sie sein.«

So nach und nach wird aber klar, worum es hier eigentlich geht. Der Song ist nicht mehr als eine holzhammer­ironische Begründung, warum Weinhold nicht auf Englisch singt. Wir schreiben das Jahr 1982, die Neue Deutsche Welle beginnt sich durchzusetzen, aber im Metal ist die allgemeine Amts- und Verkehrssprache weiterhin Englisch – und da können ein paar Worte zur Erklärung, warum man plötzlich im Idiom des Musikantenstadels singt, nicht schaden. Offenbar will man die deutsche Sprache nicht so einfach denen überlassen, die Scheißmusik damit machen. Und so klärt die zweite Strophe, wie Volksmusik sein müsste. »Gitarren braten höllisch heiß, / von der Bühne fließt der Schweiß. / Das Schlagzeug hämmert wild drauflos, / Schlag auf Schlag, Stoß um Stoß. / Verstärker an, verzerrter Klang, / so hört sich ein Volkslied an.«

Auch der zweite inkriminierte Song, »Held im Traum«, erweist sich bei genauerer Textlektüre als ironisch-campige S/M-Phantasie. »Blondes Haar mit Seitenscheitel / und ein klarer heller Blick. / Schöne blanke Lederstiefel, / die Uniform ist schick. / Die Figur ist überragend. / Dein Körper ist so hart wie Stahl. / Ich fühle mich bei dir geborgen, / und du bist so schön brutal.«

Die anderen Songs des Albums verraten erst recht keine Fascho-Schlagseite, im Gegenteil, einige sind sogar dezidiert ideologiekritisch. »Kampfmaschine« etwa macht sich lustig über maskulinen Körperkult, und in »Exzess« spielt Weinhold die Femme fatale und propagiert einen explizit weiblichen Ex-und-hopp-Hedonismus, der das in der Rockmusik eingeführte Bild vom Ladykiller ironisch ins Gegenteil verkehrt. Das trägt schon beinahe feministische Züge. Und auch die Coverrückseite ist unbedenklich, sie zeigt einen irr grinsenden Jugendlichen mit einer Eistüte in der Hand und einem Ghettoblaster auf der Schulter. Ein stinknormales NDW-Backcover.

»Wenn man das vergleicht mit den Bands, die es heute gibt, dann war das Kindergarten«, meint Weinhold. »Es spielt schon so ein bisschen damit. Damals waren die Hools in den Fußballstadien gerade im Gespräch, und ­Breslau wurden dann einfach mit hineingenommen. Aber das stimmt nicht. Auch Alex war kein Nazi, der hat einfach sehr provokante Texte geschrieben. Außerdem hatten wir mit Zwiebel Truhöl sogar einen farbigen Bassisten in der Band.«

Die denunziatorische Medienkampagne verschreckte Jutta Weinhold so sehr, dass sie bald nach Erscheinen des Albums ausstieg. »Volksmusik« wurde trotzdem wahr- und alles in allem sogar wohlwollend aufgenommen in der jungen Metal-Szene. Und nicht mal besonders kontrovers diskutiert.

Breslau: »Volksmusik« (Harvest/EMI Electrola)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Mehr aus: Feuilleton