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Aus: Ausgabe vom 11.03.2024, Seite 2 / Kapital & Arbeit
Inflation und Proteste in Kenia

»Die Regierung agiert im Interesse des IWF«

Über Kenia als Neokolonie des Imperialismus und fehlende Nahrungsmittelsouveränität. Ein Gespräch mit Lewis Maghanga
Interview: Tim Krüger
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»Kolonialismus hörte niemals wirklich auf«: Protestierender wird in Nairobi festgenommen (8.8.2023)

Die ökonomische Krise in Kenia dauert an. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen der Situation in der ostafrikanischen Präsidialrepublik?

2023 gab es heftige Auseinandersetzungen auf den Straßen infolge von Protesten gegen die Steigerungen von Lebensmittelpreisen. Die Krise, die wir erleben, ist das Ergebnis des Neoliberalismus, der unser Land plagt. Das herrschende Regime hat dazu noch die Steuern auf Treibstoff und Grundnahrungsmittel weiter erhöht. Das trifft vor allem die einfachen Haushalte. Deshalb gab es die Demonstrationen. Die Verfassung von Kenia beinhaltet einen Absatz, der die Regierung dazu berechtigen würde, Preisbegrenzungen im Interesse der Bevölkerung einzuführen. Die Menschen wissen das und fragen sich: Warum ergreift unsere Regierung keine Maßnahmen, um uns zu schützen? Warum hört unsere Regierung lieber auf den Internationalen Währungsfonds, IWF, und treibt Steuern ein, um Schulden zu bezahlen, die wir niemals aufnehmen wollten?

Welche Rolle spielt die Institution mit Sitz in der US-Hauptstadt?

Der IWF gibt Kenia Kredite, und unsere Regierung nimmt diese verantwortungslos an, ohne die Bevölkerung zu fragen, ob wir sie überhaupt wollen. Die Bevölkerung versteht, dass unsere Regierung im Interesse des IWF, der Banken und all jener agiert, die von der Arbeit anderer Leute leben.

Wie hat sich Ihre Organisation zu den Protesten positioniert?

Wir haben aktiv teilgenommen und versucht, das politische Bewusstsein der Protestierenden zu schärfen. Wir starteten die Kampagne »Land, Essen, Freiheit«. Damit wollten wir die Verbindung zwischen der Land- und Nahrungsmittelversorgungsfrage aufzeigen. Warum haben wir nichts zu essen? Weil wir keinen Zugang zu unserem Land haben. Es ist das grundlegendste Produktionsmittel in Kenia, einem Land, das niemals wirklich vom Kolonialismus befreit wurde.

Woran machen Sie das fest?

Die koloniale Struktur, die geschaffen wurde, um die Ressourcen unseres Landes auszubeuten, ist immer noch intakt. Das Land, das von den Bauern genommen wurde, ist immer noch unter der Kontrolle derer, die es ihnen genommen haben. Weiße Siedler kontrollieren auch heute noch einen großen Teil des Landes. Aber es gibt heutzutage auch eine afrikanische Elite, die aus der politischen Klasse hervorgegangen ist. Und die besitzt auch einen großen Teil. Das ist der Hauptgrund, weshalb die Menschen sich nicht ernähren können. Wir wollen unser Land, damit wir Nahrungsmittel produzieren können. 2012 hat Kenia den »Seed Act« verabschiedet und damit die gesamte Kontrolle in die Hand der multinationalen Samenproduzenten gegeben. Das Gesetz verbietet den Bauern, Saatgut untereinander auszutauschen. Unsere Kampagne dreht sich deshalb grundsätzlich um die Frage der Nahrungsmittelsouveränität.

Seit wann gibt es die »Revolutionary Socialist League«?

Die RSL wurde 2019 gegründet, kann aber auf eine längere Geschichte als Studentenorganisation unter dem Namen »Young Socialist League« zurückblicken. Als RSL versuchen wir heute nicht nur, an den Universitäten von Kenia junge Menschen zu organisieren, sondern in allen Teilen der arbeitenden Bevölkerung. Die Arbeiterklasse, die bäuerliche Bevölkerung und die verarmte Stadtbevölkerung sind die Basis unserer Organisation.

Warum geht es Ihnen auch um Freiheit?

Das heißt für uns, dass wir alles das nur erreichen können, wenn wir die politische Macht ergreifen. Wir müssen uns von Organisationen wie dem IWF, den Firmen, die unsere Wirtschaft dominieren, und allen Faktoren befreien, die versuchen, von außen das Schicksal unseres Volkes zu kontrollieren. Das ist die Grundursache unserer Probleme. In der Zeit der Befreiungskämpfe im 20. Jahrhundert stand Kenia auf der Seite der Imperialisten und gegen die Befreiungsorganisationen in Mosambik, Simbabwe und anderswo. Noch immer ist unser Land eine strategische Basis der USA und von Großbritannien für Militäroperationen in Somalia, dem Roten Meer und der gesamten Region. Kenia ist eine Neokolonie des Imperialismus. Es ist unser Mangel an Souveränität, der dazu führt, dass wir immer noch der stärkste Knotenpunkt des Imperialismus in der Region sind.

Lewis Maghanga ist Mitglied der kenianischen »Revolutionary Socialist League« (RSL)

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