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Aus: Ausgabe vom 09.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Landwirtschaft

Überproduktion von EU-Weinen

Brüssel fördert Umwandlung in billigen Industriealkohol mit vielen Millionen Euro
Von Jens Walter
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Weinabfüllung in Cenicero in der Autonomen Region La Rioja (8.11.2021)

Riesling, Merlot, Chardonnay, Pinot Grigio: In der Europäischen Union wird mehr Wein angebaut als irgendwo sonst auf der Welt. Um die 165 Millionen Hektoliter pro Jahr. Deutlich mehr als die Hälfte der globalen Produktion. Und auch wenn kein EU-Agrarerzeugnis für die Exportbilanzen eine vergleichbare Bedeutung hat – längst nicht jeder Liter des vergorenen Rebensaftes findet irgendwo einen Abnehmer. Es gibt ein Überproduktionsproblem, und das nicht erst seit gestern. Die EU hat ihre eigene Art, damit umzugehen. Sie gibt Jahr für Jahr viele Millionen für die Umwandlung von Wein in billigen Industriealkohol aus. Seit Anfang 2023 wurden mehr als 105 Millionen Euro an EU-Geldern für die sogenannte Krisendestillation von Weinen gezahlt, hat die EU-Kommission gerade der Deutschen Presseagentur mitgeteilt. Im vergangenen Jahr wurde die Destillation überschüssigen Weines für die Verwendung zu Industriezwecken demnach mit rund 34 Millionen Euro gefördert. Im Januar wurden dafür knapp 71 Millionen Euro ausgegeben.

Der höchste Anteil dieser Fördergelder entfiel dabei auf Frankreich mit insgesamt 68,5 Millionen Euro für das Jahr 2023 und Januar 2024 zusammen, gefolgt von Portugal mit mehr als 18 Millionen Euro und Italien mit rund 15 Millionen Euro. In Deutschland wurde in diesem Zeitraum kein Wein mit EU-Geld zu Industriealkohol verarbeitet. Ermöglicht wurde der Geldfluss mit einer Sondermaßnahme, die im vergangenen Juni von der EU-Kommission beschlossen wurde. Es ging dabei darum, überschüssigen Wein mittels Krisendestillation vom Markt zu bekommen. Die Subventionen sollen den Weinmarkt stabilisieren, also den Preisdruck senken und Rabattschlachten verhindern. Außerdem sollten Lagerkapazitäten für neue Jahrgänge frei werden.

Begründet wurde die Maßnahme mit einem weltweit sinkenden Verbrauch. Die Inflation habe Lebensmittel und Getränke so teuer gemacht, dass die Menschen inner- und außerhalb von Europa weniger Wein kaufen, hieß es seitens der Kommission. Und dann seien auch noch die Ernten sehr gut ausgefallen. Zuvor war eine ganz ähnliche »Sondermaßnahme« allerdings mit der Coronapandemie begründet worden. Im Jahr 2020 wurde die Krisendestillation mit 250 Millionen Euro gefördert, 127 Millionen davon gingen an französische Winzer. 2021 wurden dann noch 43 Millionen Euro für die Umwandlung in Industriealkohol ausgegeben – diesmal vor allem für rumänischen Wein (23 Millionen Euro). Deutscher Wein wurde auch in den beiden Jahren der Pandemie nicht mit Hilfe von EU-Geldern destilliert. Hier habe es in diesem Zeitraum keine signifikanten Absatzschwierigkeiten gegeben, erklärt der Deutsche Weinbauverband auf Nachfrage.

»Wein wird durch Lagerung nicht besser«, erklärt Simone Loose, Professorin für Weinwirtschaft an der Hochschule Geisenheim. Der Weinkonsum gehe weltweit zurück, die Rebanlagen seien allerdings oft für eine Nutzungsdauer von 30 bis 40 Jahren angelegt. Wenn die Lager voll sind und der alte Wein für neuen Platz machen muss, könne der Wein destilliert und für Industriezwecke genutzt werden. »Damit hat das Produkt noch einen Nutzen – auch wenn man Industriealkohol über Zellulose deutlich günstiger produzieren könnte«, so Loose. »Das ist also ein sehr unwirtschaftlicher Prozess.« Einigermaßen zu rechtfertigen sei die Krisendestillation nur, wenn es sich tatsächlich um Ausnahmesituationen handle.

Der Weinkonsum wird in den kommenden Jahren aber kaum irgendwo sein ursprüngliches Niveau erreichen. 2023 lag der Rückgang in Portugal im Vergleich zum Vorjahr bei 34 Prozent, in Deutschland bei 22 Prozent, in Frankreich bei 15 Prozent, in Spanien bei zehn Prozent. Nur in Italien (sieben Prozent) war die Zahl einstellig. Und auch die EU-Weinausfuhren lagen um 8,5 Prozent niedriger als im Vorjahr. Am stärksten vom Einbruch betroffen waren Rot- und Roséweine aus Frankreich, Spanien und Portugal.

Simone Loose plädiert für eine Umwidmung von Rebflächen. Sie könnten etwa für den Anbau anderer Agrarprodukte, die Wiederherstellung von Biodiversität oder die alternative Energieerzeugung besser genutzt werden.

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