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Aus: Ausgabe vom 09.03.2024, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Macron legt nach

Französischer Präsident droht bei Verlust von Odessa oder Kiew mit Intervention. Spekulationen über russische Frühjahrsoffensive
Von Reinhard Lauterbach
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Gilt nun zu den Falken in der EU: Macron vor Soldaten in Cherbourg (19.1.2024)

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat seine Drohung konkretisiert, französische Truppen direkt in die Ukraine zu schicken. Auf einem Treffen mit Vertretern der Fraktionen der Nationalversammlung sagte er nach Angaben von Fabien Roussel von der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), dies könne notwendig werden, »wenn sich die Front Odessa oder Kiew nähert«. Manuel Bompard von der Partei La France insoumise (LFI) sagte, er habe das Treffen mit Macron mit größerer Sorge verlassen, als er es betreten hatte.

Auf russischer Seite konterte Generaloberst Wladimir Sarudnizki, Chef der Militärakademie des russischen Generalstabs, mit der Warnung, dass die Auseinandersetzung in der Ukraine zu einem Krieg von gesamteuropäischem Ausmaß werden könnte, wenn sich NATO-Staaten zu einer direkten Intervention entschlössen.

Dass Macron diese Drohung ausgesprochen hat, mag vordergründig die Aufforderung an Russland sein, von entsprechenden Vorstößen Abstand zu nehmen. Das von ihm skizzierte Szenario ist allerdings eines, das auf russischer wie auch auf westlicher Seite zunehmend ernsthaft als eines der möglichen für die Weiterentwicklung des Ukraine-Krieges in diesem Jahr diskutiert wird. Demnach könnte Russland im Verlauf des Frühjahrs – sobald die aktuelle Schlammperiode vorüber ist – versuchen, sich durch eine Luftlandeoperation die Kontrolle über die Dniprobrücken in Saporischschja bzw. Dnipro zu sichern und über diesen Weg erneut den Übergang über den wichtigsten Fluss der Ukraine zu erzwingen, um anschließend bis auf den Rest der ukrainischen Schwarzmeerküste vorzustoßen. Es falle auf, hieß es zudem in einer Analyse des russischen Portals Swobodnaja Pressa, dass die russischen Luftlandebrigaden seit einigen Monaten von der Front zurückgezogen worden seien. Dies könne darauf hindeuten, dass sie für eine Operation dieser Art trainiert würden. Ein solcher Angriff wäre jedoch auch für Russland mit hohen Risiken verbunden, insbesondere auch dem, dass die beteiligten Elitetruppen aufgerieben werden könnten. Eine Luftlandeoperation auf den Flughafen Gostomel bei Kiew war in den ersten Kriegstagen unter hohen Verlusten für Russland gescheitert, weil sie an westliche Geheimdienste verraten worden war und die Ukrainer darauf vorbereitet waren.

An der Front im Donbass ist unterdessen der russische Vormarsch etwa zehn Kilometer westlich von Awdijiwka wieder zum Stillstand gekommen. Die ukrainische Seite hat offenbar Reserven an die Front verlegt und versucht auch örtliche Gegenangriffe. Das US-amerikanische »Institute for the Study of War« sieht hierin aber nicht umgekehrt Anzeichen für eine Erschöpfung der russischen Verbände. Offenbar versuche die russische Seite statt dessen, die ukrainische zur Verausgabung ihrer Reserven zu nötigen, damit diese dann im Moment und am Ort des von Russland geplanten Frühjahresangriffs nicht mehr zur Verfügung stünden.

In dieser Situation, in der auf beiden Seiten alle Anzeichen darauf hindeuten, dass die militärische Auseinandersetzung fortgesetzt werden soll, hat das Wall Street Journal Anfang dieser Woche Details aus dem im Frühjahr 2022 ausgehandelten, dann aber vom Westen torpedierten Friedensvertrag veröffentlicht. Demnach soll die Ukraine zugestimmt haben, die NATO-Mitgliedschaft nicht anzustreben, während Russland gegen ihre EU-Mitgliedschaft keine Einwände gehabt haben soll. Der Vertrag habe relativ niedrige Obergrenzen für den Umfang der ukrainischen Streitkräfte (bis zu 85.000 Mann) und ihre schweren Waffen vorgesehen, vor allem aber ein völliges Verbot ausländischer Stützpunkte auf ukrainischem Gebiet. Was die Krim angeht, habe die Ukraine zugestimmt, die Frage ihrer Zugehörigkeit auf 15 Jahre zu vertagen, nicht jedoch, der russischen Sprache wieder Gleichberechtigung mit dem Ukrainischen im öffentlichen Leben zuzugestehen.

Da das Wall Street Journal keine Fachzeitschrift für Zeitgeschichte ist, sondern sich an Börsianer richtet, stellt sich die Frage, warum es aus diesem – allem Anschein nach von den Tatsachen überholten – Dokument so ausführlich zitiert hat. Klar scheint am ehesten, dass eine Rückkehr zu den damals vereinbarten Lösungen heute nicht mehr möglich sein dürfte. Russland würde im Falle neuer Friedensverhandlungen sicherlich mehr verlangen, die Ukraine vermutlich ebenfalls, soweit sie dazu noch in der Lage ist.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (10. März 2024 um 17:16 Uhr)
    Zunächst Macrons Beistandsabkommen mit Moldawien, dann seine Erklärung, die französische Unterstützung für die Ukraine sei ohne rote Linien, und nun die Ankündigung, französische Soldaten an die Ukraine-Front zu schicken, sollte Russland Richtung Odessa vorrücken: Ist Macron verrückt geworden? Giert er nach den riesigen, von russischen Friedenstruppen bewachten sowjetischen Munitionsbeständen in Transnistrien? Oder bekommt die Ukraine jetzt die heiß ersehnte Atombombe geliefert? Es sollte eigentlich bekannt sein, dass die ukrainische Drohung mit nuklearer Wiederaufrüstung den russischen Kriegseintritt final ausgelöst hatte. Der Westen benimmt sich wie ein Glücksspielsüchtiger, der nach jedem Verlust den Einsatz erhöht, um eventuell doch noch gewinnen zu können. Was da aufs Spiel gesetzt wird, ist unser aller Wohlstand und Friede. Und das nur, um der Ukraine die Diskriminierung der russischen Minderheit zu ermöglichen. In Anlehnung an Michael Kohlhaas scheint das Motto zu lauten: »Es soll dem Diktat des Westens gefolgt werden, und gehe auch die Welt daran zugrunde!«

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