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Aus: Ausgabe vom 09.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Chinesischer Volkskongress

Für den Ernstfall gewappnet

China: Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses unter dem Eindruck verschärfter Spannungen mit dem Westen
Von Jörg Kronauer
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Fotoshooting auf dem Platz des Himmlischen Friedens beim Warten auf Delegierte des Volkskongresses (Beijing)

Mehr noch als im vergangenen Jahr überschattet der große, sich immer weiter zuspitzende Machtkampf des Westens gegen China die diesjährige Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses in Beijing, die am Dienstag begonnen hat und am Montag zu Ende gehen wird. Deutlich wird das in zahlreichen Stellungnahmen von Experten, in Ankündigungen von Politikern und in Beschlüssen, die in diesem Jahr realisiert werden sollen und mit denen die Volksrepublik auf den wachsenden ökonomischen, politischen und nicht zuletzt militärischen Druck vor allem der Vereinigten Staaten reagiert. Beijing bereitet sich längst auf den schlimmsten denkbaren Fall vor – darauf, dass der erbitterte Machtkampf mit dem Westen bewaffnet eskaliert, dass aus dem kalten ein heißer Krieg wird.

Unmittelbar zur US-Politik äußerte sich am Dienstag Außenminister Wang Yi. Wang rief in Erinnerung, dass es im vergangenen Jahr im Vorfeld eines Treffens von Präsident Xi Jinping mit seinem US-Amtskollegen Joseph Biden im November, auf dem Treffen selbst und auch danach durchaus Bemühungen gegeben habe, die Beziehungen zwischen Beijing und Washington ein wenig zu entspannen. Das Problem sei, dass die Vereinigten Staaten dessen ungeachtet »die Methoden, mit denen sie China unterdrücken, beständig erneuern, dass sie die Liste unilateraler Sanktionen beständig verlängern«, konstatierte Wang. »Wenn die USA immer das eine sagen, aber das andere tun, wo ist dann ihre Glaubwürdigkeit als Großmacht?« fragte er und fuhr ein wenig spitz fort: »Wenn die USA nervös und ängstlich werden, sobald sie auch nur das Wort ›China‹ hören, wo ist dann ihr Selbstvertrauen?« Beijing rufe Washington auf, »pragmatisch mit China zu interagieren«.

Besonders hob Wang die sich gefährlich verschärfenden Spannungen im Südchinesischen Meer hervor. Dort ist in dieser Woche der Territorialstreit zwischen China und den Philippinen um das Second Thomas Shoal – ein Riff, das zu den Spratly-Inseln gehört – wieder einmal eskaliert. Diesmal stießen zwei Schiffe der Küstenwachen beider Staaten zusammen. Der Vorfall steht dabei in einem bestimmten Kontext: Nach dem Amtsantritt von Präsident Ferdinand »Bongbong« Marcos am 30. Juni 2022 haben die Philippinen begonnen, ihr Territorium für den militärischen Aufmarsch der USA gegen China zur Verfügung zu stellen, unter anderem, indem sie es den US-Streitkräften erlauben, Militärstützpunkte zu nutzen und auszubauen. Seitdem zeigt sich Beijing im Streit um das Second Thomas Shoal sowie um weitere Inseln im Südchinesischen Meer gegenüber Manila deutlich unnachgiebiger. Wang warnte nun, China rate »gewissen Ländern außerhalb der Region«, sich in dem Konflikt nicht auf eine Seite zu schlagen, nicht selbst »zu Störenfrieden im Südchinesischen Meer zu werden«. Beijing behalte sich sonst »legitime Gegenmaßnahmen« vor.

Dass die Warnung verfängt, darf man freilich bezweifeln. Das gilt auch für die Warnungen, die auf der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses mit Bezug auf Taiwan laut wurden. Zwar betonten Wang und andere in Beijing immer wieder, die offizielle chinesische Position habe sich nicht geändert; sie besagt, dass die Volksrepublik eine friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan anstrebt und sich ein gewaltsames Vorgehen gegen die Insel nur dann vorbehält, wenn diese sich formell von China abspaltet oder eine Wiedervereinigung anderweitig unmöglich gemacht wird. Im diesjährigen Bericht, den die Regierung dem Volkskongress vorlegte, wurde allerdings die Mitteilung, Beijing werde »die Sache der Wiedervereinigung Chinas« mit Festigkeit vorantreiben, nicht mehr wie noch im vergangenen Jahr um einen deeskalierenden Hinweis auf das primäre Ziel der »friedlichen« Wiedervereinigung ergänzt. Und um sicherzustellen, dass dies im Westen auch wahrgenommen wurde, wiesen Stellen in Beijing schon vorab auf das Fehlen der Formulierung hin.

Was hat das zu bedeuten? Xin Qiang, stellvertretender Leiter des Center for American Studies an der Fudan-Universität, wurde von der Global Times mit der Einschätzung zitiert, China werde den Kampf gegen Separatismus sowie gegen Unabhängigkeitsbestrebungen auf Taiwan in Zukunft mit größerer Dringlichkeit führen. Der Wahlsieg von Lai Ching-te, der eine größere Offenheit für eine etwaige Abspaltung an den Tag gelegt hat, in der Präsidentenwahl erfordere das. Beijing werde die Wiedervereinigung von nun an wohl aktiver betreiben, urteilte Li Fei, Professor am Taiwan Research Center der Universität Xiamen. Was dies genau bedeuten soll, bleibt freilich offen. Klar scheint allerdings: Die Bereitschaft in Beijing, sich vom Westen mit der Unterstützung antichinesischer Kräfte in Taipeh endlos provozieren zu lassen, nimmt ab.

Nicht gerade zur Beruhigung trägt bei, dass die Regierung laut dem Bericht, den sie dem Volkskongress vorgelegt hat, die Förderung von Erdöl, Erdgas und strategischen Mineralien im eigenen Land ebenso ausweiten will wie den Anbau von Sojabohnen, um die Versorgung mit Rohstoffen und mit Nahrungsmitteln im eigenen Land zu sichern. Dass dies notwendig ist, wenn man in einen eskalierenden Konflikt mit dem Westen gerät, hat Beijing spätestens aus den westlichen Sanktionsorgien gegen Russland gelernt.

Hintergrund: Beijings ­Militärhaushalt

China steigert den Militärhaushalt, wie die Regierung auf der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses bekanntgab, dieses Jahr erneut um 7,2 Prozent und damit erneut stärker, als seine Wirtschaft wächst. Betreibt es also eine martialische Aufrüstung? Nun, in Beijing wird gern darauf hingewiesen, dass sich der chinesische Wehretat auf rund 231 Milliarden US-Dollar beläuft, nur wenig mehr als ein Viertel der 886 Milliarden US-Dollar, die US-Präsident Joseph Biden Ende 2023 autorisiert hat. Weil China seine Rüstungsgüter zum Großteil mit Vorprodukten aus dem eigenen Land herstellt, ist es sinnvoll, sein Rüstungsbudget nicht absolut, sondern nach Kaufkraftparität mit dem US-amerikanischen zu vergleichen. Die Berechnungen, die in den vergangenen Jahren dazu angestellt wurden, zeigen allerdings, dass der Umfang des chinesischen Wehretats auch dann jeweils nur einem Drittel bis zur Hälfte des US-Etats entsprochen hat.

Die Erhöhung des Militärhaushalts ist – bislang – vor allem in der Abwehr eines möglichen Angriffs der USA sowie ihrer Verbündeten begründet. Die Streitkräfte müssen zu einer »Großen Mauer aus Stahl« werden, hat Präsident Xi Jinping im vergangenen Jahr verlangt. Nun wurden Militärs am Rande der Jahrestagung des Volkskongresses mit der Äußerung zitiert, die Volksrepublik verfüge inzwischen zwar über modernste Waffen, etwa über die Tarnkappenjets J-20, über die Hyperschallrakete DF-17 oder über den erst 2022 in Dienst gestellten Flugzeugträger »Fujian«, von dem Flugzeuge mit Hilfe elektromagnetischer Katapulte starten können. Doch hätten die chinesischen Streitkräfte noch nicht genug Exemplare dieser Waffen, um sich in einem etwaigen Krieg im Pazifik behaupten zu können. Und in der Tat: Sie rüsten auf. In Kürze soll zum Beispiel der vierte Flugzeugträger in Betrieb genommen werden. Zum Vergleich: Die Vereinigten Staaten besitzen elf.

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